angst vor Arzt

 

 

geschrieben von Michaela, Fachärztin für Allgemeinmedizin  

Oder: „Wie kriege ich einen Arztbesuch mit Kleinkind entspannt über die Bühne?“

Welche Mutter kennt das Gefühl nicht? Heute steht beim Kinderarzt eine U-Untersuchung an, am besten gepaart mit einer Impfung – und der Stresspegel steigt bereits vor Abfahrt.

Im Untersuchungsraum dann der erwartete Super-Gau: Dein Kleinkind schreit, weint, tritt um sich, lässt niemanden an sich heran und ist sicherlich auch noch beim Nachbarn um die nächsten drei Ecken deutlich zu hören.

Mamas, ich kann euch nachfühlen!

Als Mama von 2 Kindern im Alter von mittlerweile 6 und 10 Jahren weiß ich nur allzu gut, welche Gefühle in eurer Brust mit sich streiten. Angst – um das eigene Kind, um seine Unversehrtheit. Panik – der Situation nicht gewachsen zu sein und keine Kontrolle mehr zu haben. Schmerz – das eigene Kind (offensichtlich) leiden zu sehen. Wut – auf die Arzthelferin, die das Kind (unnötig?) so quält. Sorge – weil die Untersuchung jetzt aber wichtig ist. Hilflosigkeit – weil das geliebte Kind sich einfach nicht beruhigen lassen will. All diese Gefühle haben ihre Berechtigung… und ihr habt das Recht, sie zu fühlen!

Aber ich kenne eben auch die andere Seite: Ich bin selbst Ärztin, mittlerweile in einer Allgemeinarztpraxis tätig, in der wir sehr viele Kinder betreuen – inklusive U-Untersuchungen, Impfungen, Blutabnahmen und allem, was eben dazu gehört. Und das oben beschriebene Horror-Szenario, das sicher viele von euch kennen, MUSS nicht sein. Mit einigen Tipps, ein bisschen Zeit und Einfühlungsvermögen können wir das ganz gut meistern.

Hier sind also meine persönlichen 10 Top-Ten-Tipps aus der täglichen Praxis für einen entspannteren Arztbesuch mit Kleinkind.  

 

Top 1: Entspannte Mutter – entspanntes Kind

Die goldene Regel schlechthin! Tagtäglich sehe ich Mamas, die bereits beim Betreten der Praxis in angespannter Stimmung sind… die Schultern angezogen, die Atmung flach, die Stimme einige Nuancen höher als üblich. Tatsächlich ist in den allerseltensten Fällen das Kind das „Problem“. Euer Kind ist ein kleiner Seismograph… jede eurer Schwingungen wird erfasst und aufgesogen wie bei einem Schwamm. Und unsere Kinder reagieren darauf. Sprich: wenn ihr nicht cool seid, dann ist es auch euer Kind nicht!

 

Top 2: Atmen!

Klingt banal? Ist aber so wichtig! Habt ihr schon mal beobachtet, was passiert, wenn ihr Stress habt? Richtig – euer Körper verkrampft, der Puls steigt, Schweißausbrüche sind die Regel und ihr atmet flacher. Oder ihr haltet sogar unbewusst die Luft an! Wenn euch diese Stressreaktion überrollt, haltet einmal kurz inne und tut ganz bewusst etwas: ATMEN! Ein, aus, ein, aus… ganz tief und achtsam Allein dadurch könnt ihr euch selbst wieder ins Hier und Jetzt zurückholen. Denn du bist der Fels in der Brandung, der Ruhepol, den dein Kind jetzt braucht!

Top 3: Einen Schritt zurücktreten… nochmal das Gespräch suchen

Du hast wirklich versucht, entspannt zu sein? Du hast dich bemüht, zu atmen – aber es funktioniert nicht? Du verkrampfst weiterhin und kannst dich selbst nicht beruhigen, wenn du dein weinendes Kind im Arm hältst? Dann geh nochmal einen Schritt zurück und geh aus der Situation. Bitte den behandelnden Arzt/Ärztin um ein Gespräch unter vier Augen, während dein Kind in der Spielecke spielen darf. Schildere ihm/ihr deine Ängste… viele deiner Sorgen können in so einem vertrauensvollen Gespräch meistens aus dem Weg geräumt werden.

Top 4: Vertrauen aufbauen lassen

Gib dem Arzt/Ärztin die Chance, ein Vertrauensverhältnis zu deinem Kind aufzubauen. Nicht immer müssen bereits beim ersten Kontakt alle Untersuchungen laufen. Ich persönlich unterhalte mich beim Kennenlernen oft einfach nur mit den Kindern und versuche, sie ein bisschen besser zu verstehen, bevor ich mich für eine körperliche Untersuchung auf sie stürze. Kinder haben ein Recht auf ihren Körper und das Recht, ihren Raum zu haben. Geben wir ihnen diesen Raum…

Top 5: Sich zurückziehen und einen Ersatzspieler aufs Feld schicken.

Es hat alles nicht funktioniert? Dein Kind brüllt sich weiter die Seele aus dem Leib und verweigert die Impfung? Du bist am Ende deiner Kräfte und weinst mit deinem Kind? Höchste Zeit für einen neuen Einwechselspieler…!

Gib dem Papa (oder im Zweifel einer anderen Bezugsperson) den Vortritt. Aus Erfahrung kenne ich den kleinen Schmerz, der in uns ist, wenn wir unser Liebstes in diesem Moment jemandem anderen anvertrauen – auch, wenn es der Papa ist. Aber glaub mir, es kann eine riesige Erleichterung sein! Viele männliche Begleiter händeln die klassischen Situationen häufig relaxter.

 

Top 6: Der Arzt ist auch nur ein Mensch!

Viele Mütter versuchen, ihr Kind bereits zuhause oder spätestens beim Betreten der Praxis mit guten Worten auf das Kommende „vorzubereiten“. „Die Ärztin ist GANZ nett, du brauchst wirklich KEINE Angst zu haben. Siehst du, die Ärztin ist GAR NICHT böse!“

Je hektischer wir unsere Kinder bereits vor Arztkontakt versuchen, zu „beruhigen“… umso mehr spüren sie, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Die Anspannung überträgt sich.

Seht den Arztbesuch als etwas normales. Es muss nicht eure Lieblingsbeschäftigung sein, aber für euer Kind muss es wirken, als sei es auch nicht wirklich etwas besonderes. Und ganz wichtig: der Arzt/Ärztin ist ein STINKNORMALER Mensch… insbesondere Ärzte, die mit Kindern arbeiten, werden sich euren Kindern gegenüber sehr bodenständig zeigen. Also baut uns durch solche Äußerungen – auch wenn sie gut gemeint sind – nicht vorab ein Podest… von dem aus kommen wir sehr viel schwerer auf eine Augenhöhe zu euren Kindern.

Top 7: Niemals lügen!

„Der kleine Pieks tut jetzt GAR NICHT weh!“  Falsch – jeder Nadelstich durchbricht die Hautbarriere und tut selbstverständlich weh. Inwieweit jeder das als schlimm oder als aushaltbar definiert, ist dann Ansichtssache.  Fakt aber ist: eine Impfung oder eine Blutabnahme piekst und es kann sein, dass es ein wenig weh tut. Also besser: „Der Pieks ist schnell vorbei… und er hilft uns, dass du gesund bleibst. Ich werde aber die ganze Zeit an deiner Seite sein.“  Ehrlichkeit haben auch unsere Kleinsten verdient. Und nur so kann ich ihnen als Mama und auch als Arzt Respekt zeigen.

Top 8: Indikation überdenken

Ist es tatsächlich nötig, einem 3jährigen Blut abzunehmen, weil er uns nachmittags gerade immer so müde und lustlos vorkommt? Oder ist es vielleicht so, dass der kleine Mann seit kurzem keinen Mittagsschlaf mehr macht oder viele neue Eindrücke im Kindergarten verarbeiten muss? Oder ist es nicht ein kleines bisschen so, dass wir als Mamas gerne einfach „schwarz auf weiß“ hätten, dass unser Kind „gesund“ ist?

Auch wir sind nach einem Tag im Büro erschöpft… gestehen wir also auch unseren Kleinsten ein wenig Durchhängen und Müdigkeit zu. Nicht immer ist der Eisenspiegel im Blut das Maß aller Dinge… oft hilft auch tatsächlich ein gesunder Menschenverstand. (Ganz klar: Fälle ausgenommen, in denen wirklich ein begründeter Verdacht auf eine Erkrankung besteht!!!)

Top 9: Einen neuen Termin ausmachen!

Manche Situationen sind so verfahren, dass gar nichts mehr geht. 4 Arzthelferinnen, eine weinende Mama und ein Arzt kleben auf deinem panischen Kind und versuchen, es mit allen Mitteln zu „beruhigen“?!?! Versetz dich mal in die Lage eines kleinen Menschen… wir alle würden wahrscheinlich schreiend das Weite suchen!

Manchmal ist es so. Dann brechen wir das Experiment ab! Fertig! So einfach! Kein Kind sollte zu etwas gezwungen werden oder gar mit Gewalt festgehalten werden, wenn es um eine reguläre Untersuchung/Impfung geht, die keinen Zeitdruck erfordert. Manchmal war der Tag einfach falsch oder die Tageszeit… und eine Woche später sieht alles schon viel entspannter aus.

Top 10: Kleine Tricks

Ganz klar! Ohne Ablenkung läuft nichts. Gute Ärzte verstehen es, mit deinem Kind eine entspannte Ebene zu finden, bereiten während des Gesprächs heimlich ihre Utensilien vor und… alles ist vorbei, bevor das Kind überhaupt realisiert, dass es gerade geimpft wurde. Kein Scherz… viele Kinder merken den Pieks tatsächlich nicht, insofern sie gut abgelenkt sind.

Das Lieblingskuscheltier ist der beste Freund? Na klar… das muss natürlich mit zum Arzt. Und auch das wird selbstverständlich geimpft und mit einer Tapferkeitsmedaille versehen. Logisch, oder?

Dein Kind hat schlechte und schmerzhafte Erfahrungen gemacht? Zauberpflaster helfen Wunder. Es gibt spezielle Pflaster mit schmerzstillender Wirkung… diese werden ca. 30 Minuten vor dem Blutabnehmen auf eine geeignete Stelle geklebt. Und wie durch Zauberhand spüren die Kinder wirklich nichts mehr. Tolle Sache für geplante Blutabnahmen!!!  (Für Impfungen lohnt sich das tatsächlich nicht… dafür ist die Nadel zu fein und der Pieks zu rasch vorbei. Aber bei Blutabnahmen arbeiten wir teilweise schon etwas länger…)

Ich hoffe, diese kleinen Tipps können einigen von euch ein wenig weiterhelfen. Liebe Mamas, ihr könnt das. Und eure Kinder sowieso… die Kleinen sind von Natur aus Superhelden!

Alles Liebe, eure Micha

Zusatz:

Bewusst nehme ich hier ganz kleine Säuglinge und Babys aus, hierfür gelten noch völlig andere Maßstäbe. Ebenso ist es mir wichtig zu betonen, dass es in diesem Artikel NICHT um kleine Patienten gehen soll, die schwerst erkrankt sind (zB. durch Tumoren etc…). Auch Notfallsituationen gehören nicht hierher… das würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Ich spreche heute wirklich nur von regulären, geplanten Arztbesuchen eines ansonsten gesunden und integren Kindes.

Ein weiterer Hinweis: kleine Kinder sind kleine Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Wesen und individuellen Charaktereigenschaften. Sicher wird nicht jeder Tipp bei jedem Kind zu 100% funktionieren… unsere Kleinen sind keine Maschinen, für die es ein Patentrezept gibt. Und ganz sicher kommt es auch bei jedem Kind auf seine Vorerfahrungen an. Sei es eine prägende Erfahrung in einer Notaufnahme oder eine frühere unschöne Begegnung mit einem nicht sehr feinfühligen Arzt. Aber vielleicht helfen ja folgende Anregungen dennoch, um ein wenig „Grund-Entspannung“ zum nächsten Arztbesuch mitzunehmen.  

Und noch eine Bemerkung: Meine eigenen Kinder kann ich nicht als allgemeinen Maßstab nehmen… die beiden sind von Babywindel an damit aufgewachsen, dass blutende Nachbarn, kranke Bekannte oder Notfälle bei uns vor der Haustüre stehen, die versorgt werden wollen… so wie sie von klein auf sowohl meinen Mann als auch mich in Notarzt-Kleidung kennen.  Entsprechend „normal“ ist das für unsere Beiden. Und entsprechend entspannt sehen sie auch Untersuchungen und Impfungen entgegen, da wir das insgesamt sehr unaufgeregt handhaben.