geschrieben von Jacqueline Wirner
Hexen sind alte Weiber. Mit schrumpeligen Nasen und schwarzen Hüten. Aber keine Babymamas, die rot gepunktete Gummistiefel tragen und ständig Windeln wechseln. Das zumindest denken die meisten Menschen. Dass sie damit falsch liegen, kann ich mit Bestimmtheit sagen. Denn moderne Hexen sind meiner Meinung nach alles andere als alt und schrumpelig. Und ich muss es ja wissen.
Mir gegenüber sitzt Alice. Ihre schwarzen Haare trägt sie zum Zopf geflochten, eine einzelne blonde Strähne fällt über ihr Gesicht. Alice ist 23 Jahre jung, studiert Archäologie und hat zwei Katzen. Bei einer Tasse Kaffee verrät sie mir, was Magie ist und welche unterschiedlichen Rituale es gibt. Das alles sagt sie mir nicht einfach so. Sie macht das, weil ich sie darum gebeten habe. Weil ich etwas lernen will. Über ihre Religion, die sich Wicca nennt und deren Anhängerinnen und Anhänger Hexen sind. Echte Hexen.
Und ich möchte eine davon werden. Deswegen lasse ich mir eine kleine Einführung in die Welt der Wicca geben und hocke neugierig mit meinem Notebook an unserem Küchentisch. Denn Zauberei existiert tatsächlich, ist aber nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt. „Magie funktioniert nicht wie im Film“, stellt Alice lachend klar, „Es gibt keinen Zauberspruch, den ich aufsage und hinterher habe ich eine neue Haarfarbe oder viel Geld auf dem Konto. Stattdessen ist Magie vergleichbar mit einem Gebet. Sogenannte Rituale und Meditationen sind hilfreiche Begleiter, wenn es darum geht, sich persönlich weiterzuentwickeln.“ Ich nicke zustimmend und frage dann, woran die Hexen des Wicca-Kults noch glauben. „Karma ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Außerdem verehren wir die Natur und ihre allumfassenden Kräfte. Auch die Kommunikation mit Göttern und übernatürlichen Wesen spielt eine wichtige Rolle“, erklärt Alice.
Erheitert nippe ich an meiner geblümten Kaffeetasse und stelle mir vor, wie ich abends auf der Couch liege und mit übernatürlichen Wesen spreche. Natürlich erst, nachdem ich meine Tochter ins Bett gebracht habe. Die sollte besser nicht erfahren, dass ich mich für solche Dinge interessiere. Wie soll sie ihren Kita-Freunden später einmal erklären, dass Mama vor dem Schlafengehen Geister beschwört? Was werden da die anderen Eltern denken? Von unserer Nachbarschaft ganz zu schweigen! Als ich einer Bekannten auf Nachfrage gestanden habe, dass ich unser Kind nicht taufen lassen werde, ist ihr ein schockiertes „Oh-Oh“ entfahren. Wenn ich jetzt noch erzähle, dass ich der Religion der Hexen angehöre, bekommt sie wahrscheinlich Schnappatmung oder fällt in Ohnmacht.
Stirnrunzelnd blickt mich Alice an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ob ich denn noch offene Notizen hätte, will sie wissen. Die habe ich tatsächlich, und so frage ich, ob Halloween für ihre Religion eine besondere Bedeutung hat. „Unbedingt. Halloween, auch Samhain genannt, ist der Tag, an dem die Schwelle zwischen den Welten am geringsten ist. Sie markiert das Ende des Herbstes und den Beginn des Winters. Halloween ist das Totenfest unserer Religion, weshalb wir an diesem Tag den Verstorbenen gedenken. Deswegen gestalten wir Hexen an diesem Tag einen ganz besonderen Altar. Mit Fotos von Verstorbenen. Und Kürbissen. Ich persönlich schmücke den Tisch außerdem mit Gegenständen, die von Bäumen gefallen sind.“ erklärt sie mir. Begeistert schaue ich Richtung Bücherregal und überlege, wie sich dort ein solcher Altar machen würde. Erneut aber überkommt mich der Gedanke, welchen Eindruck das auf andere machen könnte. Ein Hexen-Altar mitten im Wohnzimmer? Wahrscheinlich würde uns niemand mehr besuchen kommen. Mich und meine Familie für verrückt erklären. Habe ich also wirklich den Mut dazu, eine Hexe zu werden? Spiritualität hat mich schon immer fasziniert. Genauso die Schönheit der Natur. Trotzdem will ich nicht als durchgeknallte Mutti gelten, für die sich meine Tochter schämen muss.
Dann bleibt mein Blick an ihr hängen. Friedlich liegt mein Baby da. In ihrer Wippe, in der sie eben noch gespielt hat. Und da weiß ich es plötzlich. Ich muss meinem Kind nicht vorenthalten, dass ich mich für Hexen und deren Praktiken begeistere. Denn sie sind wertvoll. In einer Welt, die voller Egoismus ist. Und die unsere Natur mit Füßen tritt. Die sich selbst nicht mehr wahrnimmt. Die nicht mehr weiß, wie man Kräuter anbaut oder wie nasse Erde riecht. Also bin ich stolz. Darauf, dass ich eine Hexe werden will und darauf, dass meine Tochter es später ihren Freunden erzählen wird.
Mehr von Jacky und Wiccas im Allgemeinen findet ihr hier.