teneriffa Elternzeit

Damals, im Spätsommer 2018, wussten wir nicht, dass es das letzte Mal für eine lange Zeit sein würde, dass wir Sand zwischen den Zehen haben werden, weil wir zuvor durch eine Flugzeugtür ein anderes Land betreten haben. Unsere Tochter Alma stand damals kurz vor ihrem ersten Geburtstag und wir irgendwo zwischen Elternglück, Forderung und dem großen Fragezeichen: und jetzt nach der Elternzeit? Wie wollen wir in Zukunft leben? Die Frage – so viel kann ich schon einmal vorweg nehmen – ist wohl eine, die man sich nie verbindlich beantworten wird und die (wenn es gut läuft), auch immer irgendwie im Raum stehen wird, denn ein wenig rastlos zu sein ist wohl die beste Strategie, um nicht stehen zu bleiben. 

In uns ist der Wunsch, an einem Ort zuhause zu sein, dafür aber so frei wie möglich zu leben. Wir sprachen es damals noch nicht konkret aus, aber dieses Hamsterrad des deutschen Vorzeigebürgers war wirklich nichts, was im Entferntesten zu uns passte.  

Dort auf Mallorca waren wir damals mit meinem Vater und seiner Frau. Es war ein schöner Urlaub und bleibt uns ganz besonders in Erinnerung, denn er war der bislang letzte Sommerurlaub, aber auch der, der uns bestärkte, dass die Welt von uns gesehen werden sollte. Kurz vor dem Ende meiner Elternzeit sprachen mein Mann Hörby und ich nämlich dort darüber, wie es weitergeht. Selbstständig, frei… denn die Welt liegt uns zu Füßen. 

Doch wie es immer so ist, kam alles anders. Und es ist gut so. Ich hörte gestern einen Podcast, in dem es hieß, dass diese weltweite Pandemie zur Zeit die Antwort auf viele Gebete ist und so makaber das auch klingen mag, irgendwie blieb es hängen. Wir wünschen uns so oft, dass wir aufwachen, dass wir uns trauen, uns zu verändern. Wir beschweren uns so oft, dass wir unglücklich sind und dass wir (sowie die Menschen um uns herum) aufwachen sollen, dass so etwas (wie aktuell) die logische Konsequenz sein muss. Also halten wir es nun aus, machen das Beste draus und passen uns an. Denn es kommt… ich wiederhole mich… alles anders als man denkt. 

Ein halbes Jahr nach unserem Mallorca-Urlaub wurde ich wieder schwanger. Schön. Sehr schön. Die Schwangerschaft war dafür schlimm. Sehr schlimm. Ich lag, blutete, hatte unzählige Untersuchen, Krankenhausaufenthalte und Kummer. Den Wunsch eines freien Lebens, unserer Tochter die Welt zu zeigen und sich beruflich wie privat neu aufzustellen, wurde vertagt. Es ging in dieser Zeit nur noch ums Überleben – und ja, es war so dramatisch wie es klingt. 

Als unser Sohn endlich auf der Welt war, hieß es für uns: aufatmen. Die Sonnen scheint wieder und wir blicken nun nach vorne. Wir haben es geschafft, doch dann zog nur wenige Wochen nach der Geburt ein großer Schatten über unsere Welt uns legte sie lahm. Covid. Stillstand. Doch wir durften das Atmen nicht vergessen, denn es geht weiter. Im Kleinen. Jeder für sich. Wir schaffen diese Krise. Alle zusammen für einander. Für Alleingänge ist jetzt nicht die Zeit. 

Ein Jahr verging. Viele Tode musste es sterben – leider wortwörtlich. Existenzen standen und stehen auf dem Spiel. Und das Lachen verblasste immer mehr auf vielen Gesichtern. Ich muss euch nicht erzählen, wie es uns allen im letzten Jahr erging. Doch das Gesicht meiner Tochter, die die Welt ohne Schatten kennt, das sehe nur ich und das ist genügsam, aber betrübt. Doch wir ziehen das jetzt durch. Den dritten Geburtstag ohne Freunde, Eltern die sich immer öfter streiten, Überforderung an allen Fronten, Weihnachten ohne Oma und Opa, die Geschichten von Flugreisen fühlen sich nach weiten Träumen an. Doch wir halten durch. Alle für einen und einer für… 

Anfang des Jahres dann Gewissheit: Mein Mann wird seinen Job verlassen und gleichzeitig stornieren wir unsere Baliflüge, die wir vor über einem Jahr gebucht haben. Wir werden nun noch mehr Familienzeit haben, aber nach wie vor ist diese Krise (noch lange nicht) überstanden. Doch das bringt auch etwas mit sich: Gewissheit, dass wir raus aus dem Coronakoma in eine neue Normalität finden müssen. Denn auch, wenn „einer für alle“ immer noch zählt, ist es kein „jetzt-reißt-euch-mal-zusammen“-Ding, was wir hier überstehen müssen. Es wird unser neues Leben werden. Für die nächsten Jahre… wer weiß das schon. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich beugen werde. Dem Versprechen eine gute Mutter für meine Kinder zu sein. Dem Versprechen, dass wir auf uns achten. Dem Versprechen, ganzheitlich zu agieren und das bedeutet für mich ganz klar, dass nicht nur alle zählen, sondern auch wir. 

Wir überlegten die letzten Monate viel. Sehr viel. Wogen ab. Was können wir tun? Mit unserer Idee zu leben? Wie können wir auf unsere Kinder achten? Auf unsere Bedürfnisse als Paar? Wir können wir solidarisch handeln? Wie geht das alles unter einen Hut? 

Denn ja, wir haben etwas zu verlieren. Wir für uns, so viel wie du für dich. Jeder sein Leben. Drastisch. Aber so siehts aus. Im schlimmsten Fall die Gesundheit, im besten Fall die Freiheit. Was mehr wiegt? Für jeden das, was er gerade nicht hat, würde ich sagen.

Wir haben noch zwei Jahre – wurde uns dann letztens bewusst. Zwei Jahre, an denen wir flexibel sind, bis wir einer neuen Verantwortung nachgehen müssen: die Schulbildung unserer Tochter. Zwei Jahre, in denen wir uns verkriechen sollen oder zwei Jahre in denen wir uns anpassen? 

Wir haben uns fürs Anpassen entschieden. Wir werden uns den neuen Umständen anpassen, aber nie gegen den Strom schwimmen. Wir wollen die Möglichkeiten, die wir uns mühsam erarbeitet haben, nicht verpuffen lassen, wir wollen sie nutzen, so wie wir es dürfen. 

Also wurde Bali gestrichen. Aus Gründen. Italien. Aus Gründen. Griechenland. Aus Gründen. Österreich. Aus Gründen. Mallorca. Aus Gründen. Teneriffa wird es. Aus Gründen. 

Wir steigen also nach drei Jahren und unzähligen zerrissenen Tickets wieder in den Flieger. Auf Zeit – wie lange wird sich eben zeigen. Wir verlagern unseren Wohnort. Haben dort eine Ferienwohnung gemietet. Können dort arbeiten. Es ist alles wie hier – nur anders. Vielleicht beschwerter, vielleicht schöner. Die Maske und der Schatten über uns bleibt gleich. Die Vorsicht ebenso. Aber wir machen es, um nicht irgendwann zu sagen: hätten wir bloß!