Hypno birthing

Gastbeitrag

In dem Moment, in welchem mir mein Kind nach der Geburt auf die Brust gelegt wird, werden alle Zweifel, Sorgen und Ängste weggespült werden, denn die bedingungslose Mutterliebe zu meinem Kind wird da sein, sie wird mich überwältigen und einnehmen. Wieso auch nicht? Wie käme ich auf die Idee, dass es bei mir anders sein wird? Keine Mutter, Frau oder Hebamme hatte mich in meiner Schwangerschaft darauf vorbereitet, dass die Welle der Emotionen und Gefühle, die man als Mutter gegenüber seinem Kind empfindet, auf sich warten lassen kann oder gar ausbleibt.

Ich wurde ungeplant schwanger, als mein Freund und ich gerade einmal 2 Monate zusammen waren. Er war sofort bereit sich dieser Herausforderung zu stellen, überließ mir jedoch die Entscheidung – die Entscheidung für oder gegen mein Baby. Schon immer war mir klar, dass ich gerne früh Mutter werden wollte, aber der Zeitpunkt war nicht gerade günstig. Ich stand kurz vor dem Abschluss meiner Ausbildung und nach psychisch sehr belastenden Jahren schien es mit meiner Stimmung endlich bergauf zu gehen. Ein Baby und alle damit verbundenen Krisen und Umstellungen schienen da nicht unbedingt perfekt hinein zu passen. Aber ich habe schon immer die Herausforderung geliebt, bin immer einen anderen Weg als alle anderen gegangen und war mir sicher, dass mein Freund der Mensch ist, mit dem ich meine Familie aufbauen möchte. Vom positiven Schwangerschaftstest bis zur Entscheidung für mein Kind vergingen nur wenige Tage, in welchen ich kaum zweifelte, denn es fühlte sich von Anfang an falsch an, abzutreiben. 

Nie zuvor da gewesene Liebe

Ich durfte eine unkomplizierte Schwangerschaft und eine wunderbare Geburt erleben, doch bereits im Kreißsaal stellte ich fest, dass keine „nie zuvor da gewesene Liebe“, wie es so gerne propagiert wird, mich überkam. Darauf war ich vorbereitet – meine Hebamme hatte im Geburtsvorbereitungskurs davon gesprochen, dass viele Eltern ihre Kinder erst ein wenig kennenlernen müssen, damit eine Bindung entstehen kann. Ich hatte zwar nicht erwartet, dass dies bei mir so sein würde, aber ich gab mir erst einmal Zeit.

Die ersten Lebenstage meines Sohnes verbrachten wir alle gemeinsam in einem Familienzimmer im Krankenhaus. Ich versuchte mich so gut wie möglich um mein Kind zu kümmern, kuschelte und stillte viel, aber wirkliche Muttergefühle kamen nicht auf. 

Noch am selben Nachmittag, an welchem wir mit unserem Sohn aus dem Krankenhaus nach Hause kamen, fing ich das erste Mal an zu weinen. Ich wusste nicht genau wieso, aber verstand, dass das der berühmte Babyblues sein musste. Das Weinen hörte zwar auf, aber die Bindung zu meinem Sohn wuchs nicht. Ich war immer froh, wenn ich ihn nach dem Stillen zu seinem Papa geben konnte, der sich wunderbar um uns beide kümmerte. Langsam bekam ich das Gefühl, dass etwas falsch sei, aber mein Freund beruhigte mich und meinte, ich müsse mir einfach Zeit geben, um in der neuen Situation anzukommen. Aber ich spürte, wie es mir einfach nicht gelang, mich auf die neue Situation einzulassen, ich wollte raus gehen und den Sommer genießen und nicht mit kaputten Beckenboden und wunden Brustwarzen im Bett liegen. Ich kämpfte so gegen meine neue Rolle als Mutter an, dass ich meinem Kind den Zutritt zu meinem Herzen verweigerte. 

Ich fing an, zu hinterfragen

In der Schwangerschaft hatte ich mir jedoch so ein präzises Bild von mir als Mutter aufgebaut, dass ich genau zu wissen schien, wie ich mich verhalten müsse, um meinem Kind eine gute Mutter zu sein. Wenn Besuch da war, kuschelte und küsste ich mein Baby, strahlte mit meinem Freund um die Wette und erzählte, wie wunderbar alles sei. In mir drin wuchs jedoch die Verzweiflung und Trauer. Langsam fing ich an, zu hinterfragen, ob ich den richtigen Weg eingeschlagen hatte, traute mich aber kaum, den Gedanken zu denken, geschweige denn ihn auszusprechen. 

Etwa zwei Wochen nach der Geburt kam ich an einen Punkt, der nicht mehr aushaltbar schien. Ich fühlte mich so fremd in mir selbst, dass ich sterben wollte. Gleichzeitig spürte ich diese Verantwortung meinem Kind gegenüber, die mir die Möglichkeit, mein Leben zu beenden nahm. Ich beschloss, dass ich von nun an ein Leben führen müsse, in dem ich nicht glücklich war.

Nachdem ich diese Gedanken in mein Tagebuch geschrieben hatte, ging ich wieder nach drinnen zu meinem Baby und meinem Freund und tat so, als wäre nichts gewesen. Mittlerweile hatte ich mir eine perfekte Fassade aufgebaut und spielte sogar mir selbst die Rolle der liebenden Mutter vor. 

Eines Tages erzählte ich meinem Freund, wie schwer es mir fallen würde unseren Sohn zu lieben. Daraufhin sprachen wir gemeinsam mit meiner Hebamme, die mich mit Verdacht auf eine Wochenbettdepression an eine Therapeutin verwies. Diese konnte mir aber in keinster Weise weiterhelfen, sondern machte mir noch mehr Schuldgefühle und versuchte meine Gefühle ständig zu relativieren. 

Ich beneidete diese Frau

Also war ich wieder auf mich alleine gestellt. Während mein Baby neben mir friedlich schlief, googelte ich, wie man ein Kind zu Adoption frei geben kann. Mir war eigentlich klar, dass dies keine Option ist, da mein Sohn zumindest einen Vater hat, der alles für ihn geben würde, aber ich war so traurig. Ich war traurig darüber, was aus mir uns meinem Leben geworden war und wünschte mir, es würde anders sein. Eines Tages schaute ich einen Film, in dem eine Frau mit dem Gedanken spielte, ihr Kind abtreiben zu lassen, und da wurde es mir klar: Ich beneidete diese Frau, denn sie hatte noch die Option ihre Schwangerschaft zu beenden. Langsam aber sicher gestand ich mir selbst ein, dass ich mir wünschte, mich damals für eine Abtreibung entschieden zu haben. Zwar hatte ich es in den letzten Monaten geschafft, eine Beziehung zu meinem Kind herzustellen, die ich sogar Liebe nennen würde, aber hätte ich noch einmal die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung zu treffen, würde ich nun anders handeln. 

Aber hier saß ich nun, mit meinem Baby, von dem ich mir wünschte, es würde nicht existieren, dass ich aber gleichzeitig liebte. Diese Gefühle sind bis heute so paradox und ich habe noch keinen Weg gefunden, adäquat damit umzugehen. Denn trotz all der Trauer, Wut und Verzweiflung, die ich empfinde, wenn ich an meinen Sohn denke, möchte ich meinem Kind eine guter Mutter sein und es nicht für meinen Fehler verantwortlich machen. Und das es ein Fehler war, mein Kind zu bekommen, ist eine schmerzliche aber wahre Erkenntnis, für die ich über ein Jahr gebraucht habe. Es mag schlimm klingen, aber ich weiß heute, dass ich noch nicht bereit war, Mutter zu werden. Nicht weil ich jung war, sondern weil ich noch zu viele Baustellen in mir selbst hatte, um die ich mich zuerst hätte kümmern müssen. 

Auch wenn ich besonders im ersten Babyjahr so oft voller Verzweiflung zusammengebrochen bin, weiß abgesehen von meinem Freund und meiner (seit kurzem neuen) Therapeutin niemand davon, wie es mir wirklich geht. Oft bekomme ich zu hören, wie wunderbar wir alles meistern würden und was für eine glückliche Familie wir abgeben würden. Und jedes Mal tut es unendlich weh, das zu hören, weil es mir wie eine dreiste Lüge erscheint. Denn es ist nichts in Ordnung, jeder Tag ist ein Kampf. Aber ich wünsche mir für meine kleine Familie, dass ich irgendwann ankommen und glücklich sein kann, denn ich habe einen wunderbaren Sohn, der eine Mutter verdient, die ihn bedingungslos lieben kann.Und wenn ich eines aus meiner eigenen Geschichte gelernt habe, dann, dass ich bei frisch gebackenen Eltern immer einmal mehr hinhöre und Hilfe anbiete, weil ich selbst erlebt habe, wie schwer es in einer Gesellschaft, die nur das Positive sehen möchte, ist, das Bild der glücklichen Mutter nicht zu erfüllen.