© @einediefotografiert

geschrieben von Roman / @roman.wiedasbuch

„Und? An wem liegt es? An Ihnen oder Ihrer Frau?“ 

Es war ein Thema, das von Beginn an Raum in unserer Beziehung hatte.

Ja, wir wollten Kinder und ja, es war kompliziert. Aber uns war auch klar, dass dies ein Weg ist, den wir beide gemeinsam gehen wollten. Und auch damals stand fest, dass eine Adoption der richtige Weg ist, ob wir ein leibliches Kind bekommen oder nicht. Denn wir wollten beides, Leben geben und Leben schenken.

Ich nehme euch mit auf eine Reise. Die Reise von mir, meiner Frau, meinen Gefühlen, einer Schwangerschaft von 5 Tagen und am wichtigsten: Die Reise zum Papa werden.

Ein Termin nach dem nächsten

Termin Nummer drei. Wir sind routiniert. Wir sind ein Team. Und nicht nur Lea und ich, sondern auch Frau T. Es ist sehr vertraut. Wir reden über unseren Kinderwunsch, die Hoffnung, den Schmerz, als diese zerbricht, und die Heilung, die uns in dieses Büro brachte. Es ist leichter geworden, darüber zu sprechen, es ist ein Teil unserer Geschichte. Teil von uns, aber wir sind mehr als das. Und ich glaube, das ist, was zählt,  was sein muss, wenn man sich, ohne die Möglichkeit, leibliche Kinder zu bekommen, für eine Adoption entscheidet. Der Schmerz darf noch da sein, als Narbe. 

Es wird ein entspannter nächster Termin. Wir reden über Erziehung, was sie aus uns gemacht macht, wie wir sie sehen und vor allem, in welcher Rolle wir uns sehen. Es kommt mir eher vor wie eine Aktualisierung von Sinn. Natürlich hatten wir vorher schon drüber gesprochen und die Rollen auch gefühlt schon zugeordnet. Nein-Sager. Helikopter. Kuschelbär. Und so weiter.

Dieses Mal ist eine Praktikantin dabei. Unsere Gespräche sind wohl bisher gut verlaufen und wir wurden gefragt, ob das ok ist. Na klar, das kann doch nur bedeuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind, oder? Die Frage, ob sie auch mit zum Hausbesuch darf, steht am Ende im Raum. Warum nicht? Wir sind total aufgeregt. Der Hausbesuch? Kommt der nicht ziemlich am Ende? Sind wir fast da? Und so scheint es fast zu sein. 

Nach diesem Termin Anfang Dezember machen wir zwei neue Termine aus. Leider erst im neuen Jahr, dafür der 02.01.2020. Besser kann das Jahr doch nicht starten. Und wirklich, wir machen auch einen Termin für den Hausbesuch. Unbeschreiblich dieses Gefühl. Es kann doch nicht so schnell gehen das alles. Innerliche Freudensprünge – und äußerlich? Erst als wir außer Sichtweite sind.

Die Angst vor dem Ungewissen

Und da sind wir drei Jahre später. Immer noch ohne ein Baby, ein Kind, aber eine Sache ist anders. Es ist nicht mehr die Frage ob, sondern wann. Natürlich sind wir noch nicht fertig. Natürlich gibt es noch keine Stellungnahme zu unserer Eignung. Und natürlich gibt es auch noch kein Kind und auch keine Frau, die schwanger ist und noch nicht weiß, dass sie irgendwann ihr Kind zur Adoption freigibt.

Dachten wir…

Und wir träumten schon davon, ein Weihnachten zu dritt. Kleine tapsende Schritte am Weihnachtsmorgen. Liebe und Geborgenheit auf der Couch bei Weihnachtsfilmen. Plätzchen ausstechen. Und trotzdem ist da diese Angst. Die Angst vor dem Urteil anderer über unsere Fähigkeit, ein Kind aufzuziehen. Die Angst vor dem Warten. Die Angst vor dem Ungewissen.

Ja, das Ungewisse. Thema des nächsten Termins. Herkunftsfamilie und der Umgang mit der Adoption. Für uns war von Anfang an klar: Die Adoption ist kein Geheimnis. Weder vor unserem Kind noch vor jemand Anderem. Natürlich muss es nicht jeder sofort wissen. Schließlich geht es grundsätzlich auch niemanden etwas an. Unser Kind ist einfach unser Kind. Wir sind uns einig, dass wir das auch dem einzigen Menschen, der das Recht hat, die volle Wahrheit zu erfahren, von Anfang an erzählen: Unserem Kind. 

Leben schenken und Liebe schenken

Aus meiner Sicht ist es ein Prozess, zu verstehen, dass man adoptiert ist. Es fängt wie mit allem damit an, dass man das Wort lernt. Adoption. Es ist erst nur ein Wort, ohne Inhalt, ohne Bedeutung. Dann lernt man den Inhalt. Es gibt noch andere Menschen. Nicht nur uns, die einem Liebe schenken wollen, sondern auch die, die Leben geschenkt haben. Und dann beginnt man zu verstehen, was das eigentlich bedeutet. Und ich glaube, die endgültige Bedeutung ist von ein paar wesentlichen Faktoren abhängig: Die Ehrlichkeit der Adoptionseltern, Raum für Aufklärung und Fragen und dem Kind die Geborgenheit zu geben, dass ein Interesse an der Herkunftsfamilie nichts an der Liebe der Eltern und der Familie ändert. 

Wir wollen alle wissen, wo wir herkommen und deshalb nehmen wir alle Informationen, die wir bekommen können, auch aus erster Hand, wenn möglich und gewünscht. Wir verwahren und hüten sie so lange, bis sie gebraucht werden. Deshalb war auch klar, wenn eine Mutter uns sehen will, dann soll sie die Möglichkeit haben. Denn wer sein Kind zur Adoption freigibt, weil sie/er sich eingesteht, sich selbst nicht kümmern zu können, der liebt so unglaublich. Und das sind wir dieser Person schuldig.

Keine Panik auf der Titanic

Frühjahrsputz Ende Januar. Wir haben, glaube ich, noch nie so gründlich alles gereinigt oder aufgeräumt. „Keine Angst, wir schauen in keine Schränke“, so die Sachbearbeiterin. Naja, was soll ich sagen. Sauber, aufgeräumt und die T-Shirts nach Farbe sortiert. Stress haben wir uns keinen gemacht. Haben auch keine 20 verschiedenen Getränke oder Knabbereien gekauft, um auf jeden Fall das Richtige da zu haben. Wir sind nicht mal auf die Idee gekommen, nochmal schnell umzustellen, weil es vielleicht doch besser aussieht (für die von euch, die Leas Instagram-Seite kennen: Ihr wisst sowas gibt es sonst gar nicht bei uns).

Falls ihr jetzt denkt, das Ganze ist etwas irrational, dann ist das Folgende etwas für euch. Drei Tage vor dem Hausbesuch hatten wir einen Kinderwagen ausgesucht und bestellt. Einen Tag vorher hatten wir den Maxi-Cosi gekauft. Warum? Wir wurden angerufen vom Jugendamt, weil sie den Termin für den Hausbesuch nochmal bestätigen wollten. Nur leider war keiner von uns beiden drangegangen und beim Rückruf ging niemand mehr ans Telefon. 

Also saß Lea panisch auf der Arbeit und schrieb mir, dass das Jugendamt sie angerufen hatte und nicht mehr drangehe, und ich saß in der Berufsschule und schrieb ihr das gleiche. Unsere „total naheliegende“ Vermutung: Vielleicht ist da ein Baby für uns? Eine Stunde später Entwarnung seitens des Jugendamts und unsere Einsicht, dass man doch eher so ein bis zwei Jahre wartet. Das hat aber nichts an der Tatsache geändert: Wir haben bis auf eine Rassel und einen Stubenwagen nichts zuhause.

Hausbesuch und Notfalltelefon

Mit zehn Minuten Verspätung treffen die beiden Sachbearbeiterinnen und die Praktikantin bei uns ein. Sie entschuldigen sich für die Verspätung, aber das Notfalltelefon habe ein paar Mal geklingelt. Wir wollen direkt mit der Besichtigung der Wohnung starten. Zwei Minuten später sitzen wir wieder am Tisch, nachdem in jeden Raum einmal kurz der Kopf gesteckt wurde. Ok, also wirklich kein Blick in die Schränke, sondern grade mal ein flüchtiger in jeden Raum, ob es ordentlich ist und genug Platz gibt. Dafür wird es am Tisch jetzt ernst. 

Es geht darum, was das Kind alles an Päckchen mitbringen darf. Und wir reden nahezu über alles. Herkunft, Beeinträchtigung, Behinderung, Geschlecht oder auch Drogenkonsum der Eltern. Auch geht es nochmal darum, ob wir leiblichen Eltern die Möglichkeit geben würden, uns kennenzulernen und natürlich: Ja. Auch die verschiedenen Arten von Adoptionen und Pflegen besprechen wir. Ob wir auch eine Pflege übernehmen würden. Wir halten uns diese Option offen, würden aber gerne erst in diese „Elternsache“ reinwachsen.

Während des Gesprächs klingelt immer wieder das Notfalltelefon. Frau T. geht schließlich dran und kurze Zeit später verlassen uns die drei wegen des Anrufs. Was Lea und ich noch nicht wissen, der Anruf war eigentlich für uns.

Jetzt wird‘s ernst

Zwei Wochen später sitzen wir beim Jugendamt. Frau T. hat uns diesmal kein Thema verraten und wir sitzen da und plaudern einfach vor uns hin, reden über den Hausbesuch, Papiere, die fertig gemacht werden müssen für die Eignungsprüfung. Und fast in einem Nebensatz erwähnt sie, dass wir jetzt auf der Liste stehen und der Rest Formalie ist. „Ehm, also die Liste-Liste?“ Ganz genau. Das kam jetzt doch ganz plötzlich und unerwartet. Wir freuen uns total, sind aber auch traurig, dass unsere Gespräche mit ihr jetzt vorbei sind. Sie erinnert uns an die halbjährlichen „Update-Gespräche“ während der Wartezeit. 

Das war es also? Wir gehen aus dem Gebäude und können es glauben. Wir sind jetzt also „schwanger“ auf unbestimmte Zeit. Wir bekommen ein Kind. Wann, wissen wir nicht. Aber es gibt kein Möglicherweise mehr, sondern ein definitives Irgendwann. Ein bis zwei Jahre kann es dauern. Manchmal auch länger. Immer davon abhängig, was man für „Wünsche“ hat. Aber besser zwei als nie und so haben wir genug Zeit, alles zu organisieren. Nach und nach.

Am Montag nach unserem letzten Termin kam dann auch der Kinderwagen an. Also war alles Wichtige da und den Rest kann man dann auch spontan holen. Am nächsten Tag, also Tag fünf auf der Warteliste, ist alles so, als wäre es nahezu normal. Klar, in der Berufsschule wollen alle wissen, ob wir jetzt wirklich fertig sind und wie es weitergeht. 14:55 Uhr steige ich in den Bus nach Hause, schaue auf mein Handy und sehe mehrere Anrufe und Nachrichten von Lea. 

5 Tage statt 2 Jahre

„Hey Schatz. Was ist los?“

„Das Jugendamt hat angerufen.“

„Wieso?“

„Heute wird ein Baby geboren. Wir bekommen ein Baby!“

„Verarsch mich nicht.“

Ja das waren meine Worte. Zu meiner Verteidigung. Es waren nur FÜNF TAGE. Und unser Hochzeitstag. Die Wahrscheinlichkeit darf mir gerne einer ausrechnen.

Nachdem ich aufgelegt habe und meine Freudentränen in Strömen fließen, steige ich 60 Sekunden später aus dem Bus und Lea und ich fallen uns fast mitten auf der Kreuzung in die Arme. Ich kann durch meine Tränen den Weg zum Auto gerade so erkennen. Wir sitzen im Auto und nehmen uns eine Minute zum Runterkommen, dann fahren wir zum Jugendamt nach fünf verdammten Tagen. Wir reden aufgeregt darüber, wie unser Tag geplant war, was jetzt auf einmal passiert ist, was ein Glück wir haben und welchen Namen unser Junge bekommen soll. Anton. 

Angekommen im Jugendamt empfängt uns Frau T. Sie gibt uns kurz und knapp ein paar Daten zur Mutter und erklärt, dass das Kind immer noch nicht da ist und fragt uns, ob wir bereit wären. Sonst würde sie zum Telefon gehen, um eine Notunterkunft für das Neugeborene zu organisieren, falls wir Nein sagen, erklärt sie. „Ach ja, es wird ein Junge.“ 

Lea und ich schauen uns an und denken beide das gleiche: „Das wussten wir nicht. Und trotzdem war klar. Es ist Anton!“ Der Name. Der Hochzeitstag. Ein Gefühl. Liebe. „Sie brauchen nichts organisieren! Das ist unser Sohn!“ Frau T. legt auf. Sie ruft im Krankenhaus an. Die leibliche Mutter läuft noch auf dem Flur rum. Es kann noch dauern. Mit dem Versprechen, sich zu melden, wenn es was Neues gibt, entlässt sie uns, um Besorgungen zu machen.

Von jetzt auf gleich voller Liebe.

Wir gehen um die Ecke zum Drogeriemarkt um Flaschen, Pre-Nahrung und Windeln zu kaufen. Mein Körper fliegt vor lauter Endorphinen. Ich möchte jedem sagen, dass ich Vater werde. Nein, ich möchte es rausschreien. Ich will springen. Will rennen. Tanzen.

Auf dem Weg nach Hause fangen wir an, unsere Eltern anzurufen. Dann steht da wieder dieses Wort im Display „Jugendamt“. Wir gehen dran: „Um 17:00 Uhr ist ihr Sohn geboren worden. Ich muss noch ein paar Papiere fertig machen und wir treffen uns um 18:00 Uhr am Krankenhaus.“ Ich lasse Lea zuhause raus und fahre weiter, um Bodys, Strumpfhosen und mehr zu kaufen. Rufe meinen Vater an, der kaum Worte findet und total überrumpelt ist. Telefoniere mit meiner Mutter, die ich vor Tränen und Emotionen kaum verstehen kann.

17:50 Uhr: Lea steigt wieder ins Auto und wir fahren zum Krankenhaus.

17:58 Uhr: Wir steigen am Krankenhaus aus.

18:05 Uhr: Wir beide betreten mit Frau T. die gynäkologische Station des Krankenhauses und werden von fünf Leuten empfangen und von noch mehr Leuten beobachtet.

18:08 Uhr: Kinderärztin und Gynäkologin klären uns über die Geburt auf und wie es unserem Sohn geht.

18:10 Uhr: Eine Schwester legt Lea und mir unseren Sohn in die Arme.

Unser Sohn. Von jetzt auf gleich Eltern. Von jetzt auf gleich voller Liebe. Voller Liebe für einen Menschen, von dem wir grade mal vor drei Stunden erfahren haben.

© @marinieren

Nun sind eineinhalb Jahre vergangen und die Familie wächst, denn Anton wird Bruder! Wie durch ein Wunder ist Lea nun seit einigen Wochen schwanger! Wer Anton, Lea und Roman auf ihrer weiteren Reise begleiten möchte, findet sie auf ihren Instagramkanälen @roman.wiedasbuch und @leisa_lotte.