Geschrieben von Madeline // @nestbaufrau
Triggerwarnung: Häusliche Gewalt
Sechs extrem verliebte Monate dauerte es, bis die Schmetterlinge das erste Mal gegen die Wand flogen. „Halt die Fresse!“, hallte es durch den Flur meiner kleinen Wohnung. Ich war irritiert, geschockt, entsetzt. Und ich war verliebt! Bis über beide Ohren!
Sowas wie eine neue, liebevolle Familie
Als ich meinen Ex-Partner im Frühjahr 2014 in Hamburg kennenlernte, deutete nichts darauf hin, dass ich die nächsten zwei Jahre eine Reise der häuslichen Gewalt antreten würde. Groß, charmant, aufmerksam, bedacht auf sein Äußeres. Schnell wurde ich Freunden, Familie und Bekannten vorgestellt. An die Hand genommen, stolz präsentiert. Genau das tat mir gut, nach vielen zuvor gescheiterten Malen des Kennenlernens.
Auch seine Familie schloss mich schnell in ihr Herz und ich sie. Ich war willkommen, fühlte mich akzeptiert und geliebt. Genau das fehlte mir in meiner eigenen Familie. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, feierten Geburtstage, Weihnachten, Ostern.
Auf Worte folgten Taten
Ein Diskobesuch im Winter 2014 endete das erste Mal mit Schubsen, Zerren, Schlagen. Aus Eifersucht über ein Gespräch, welches ich mit einem anderen Diskobesucher führte, der uns beide angesprochen hatte. Der junge Mann wollte lediglich wissen, welche Bars wir ihm empfehlen würden. Er kam nicht aus Hamburg.
Was darauf folgte, waren eineinhalb weitere Jahre voller Gewalt, physisch und psychisch. Jede Streitigkeit endete so. Ich war gelähmt und gefangen in dieser toxischen Liebe. Überzeugt davon, diesen Menschen ändern zu können, habe ich ausgehalten, weggehört, mich angepasst und mich selbst am Ende komplett verloren.
Der letzte Übergriff
Im Juni 2016 ließ ich mich das letzte Mal beleidigen, schubsen, zerren, würgen, schlagen. 45 Minuten dauerte es, bis er von mir abließ. Kurz davor hatte er mein Gesicht in die Bettdecke gedrückt. So lange, bis ich kurz davor war, keine Luft mehr zu bekommen.
Danach bin ich gegangen. Und nie wiedergekommen.
Anzeige und Obdachlosigkeit
Der bisher schwerste Gang meines Lebens, der Gang zur Polizei. Aussage, Anzeige, Fotos zur Dokumentation. So wichtig und gleichzeitig so ambivalent. Den Menschen anzeigen, den ich liebe? Den Menschen anzeigen, der mir so lange so sehr weh getan hat!
In die gemeinsame Wohnung ging ich nur zurück, um meine Sachen zu holen. Dort zu bleiben, war nach allem, was dort passiert war, keine Option. Auch wenn das bedeutete, dass ich bis zum Ausscheiden aus dem gemeinsamen Mietvertrag keine feste Unterkunft haben würde. Zu schlecht war mein Verdienst damals, um ein Zimmer anzumieten. Die Frauenhäuser waren voll. Ich kam damals bei diversen Freunden unter. Jeden Abend eine andere Couch.
Neuanfang und Trauma
Drei lange Monate schlief ich fast jeden Abend an einem anderen Ort. Ich funktionierte, arbeitete und litt. Für mich stand fest, dass ich nicht in Hamburg bleiben konnte. Ein Neuanfang musste her. Ich kündigte meinen Job und zog nach Berlin. Hier hielt ich mich mit einem Barjob über Wasser. Zog in ein möbliertes Zimmer und empfand das erste Mal in meinem Leben Selbstliebe.
Dennoch war da dieser Schmerz, diese Enttäuschung, diese Angst, diese Wut, diese Panik. Und die Tage, an denen regelmäßig gar nichts mehr ging. Ich wurde aktiv, holte mir professionelle Hilfe und begann eine eineinhalbjährige Trauma-Therapie.
Eine neue Liebe
Fünf Jahre. Fünf Jahre wollte ich alleine bleiben. So sagte ich es mir und anderen. Ich war glücklich mit mir selbst, mochte mich und mein neues Leben. War stolz, aus dieser Hölle entkommen zu sein. Und das strahlte ich aus. Und dann stand er da, diese schöne Seele. Dieser gutaussehende Mann. Freundlich, respektvoll, liebevoll, wohlwollend. Eine Bereicherung, keine Belastung.
Zu Beginn wollte ich es mir nicht eingestehen, doch gegen Gefühle lässt sich wenig machen. Und somit war ich nach einem halben Jahr Singledasein wieder vergeben. Bis heute!
Berlin, du bist so gut zu mir
Rückblickend hat mich all dies stärker gemacht. Dies ist aber nicht selbstverständlich. Nicht jeder Mensch geht nach einer Weile gestärkt aus solch einer Erfahrung. Es braucht Therapie, Verständnis, gute Gespräche, die richtigen Freunde und vor allem Zeit! Und sowieso sollte niemand so eine Erfahrung überhaupt machen müssen.
Besonders heilend war meine Schwangerschaft 2020. Heute bin ich Mutter einer Tochter, dankbar für die Liebe an meiner Seite und Berlin … du bist so gut zu mir!
Hier findet ihr ein paar Anlaufstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt
Stärker gegen Gewalt – vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend