geschrieben von Little Travel Society
Dürfen wir bald wieder Urlaub machen? Sollten wir schon buchen? „Urlaubsreisen in diesen Zeiten sind doch wirklich nicht nötig“, heißt es dann von den einen. „Wir können aber nicht mehr, wir müssen mal wieder raus!“, flehen andere. Dabei geht es beim Thema Urlaub gar nicht nur um uns. Wir möchten wissen: Wie geht es denen, die darauf angewiesen sind, dass andere reisen? Den Gastgeber*innen mit ihren leeren Betten, denen derzeit Perspektive, Planungssicherheit und oft auch finanzielle Unterstützung fehlt. Laura von der Hotel- und Reiseplattform für Familien, Little Travel Society, hat mit zwei Familienunternehmer*innen, einmal an der Ostsee und einmal auf den Kanarischen Inseln, gesprochen. Sie wollte wissen: Wie ist die Lage? Was frustriert die Gastgeber*innen am meisten? Oder steckt in der Krise vielleicht auch eine Chance?
Carsten und Ulrike, die erst 2020 ihren Architektur-Traum – die Ferienhäuser „STRANDWEISS“ und „STRANDGRAU“ – auf der Sonneninsel Usedom – eröffnet haben, verstehen den Sinn so mancher Corona-Maßnahme nicht. „In unseren beiden Ferienhäusern kann jeweils eine Familie ganz autark und als Selbstversorger völlig ohne Kontakte Urlaub machen. Wir haben ein Pin-Code-Zugangssystem, es gibt also noch nicht einmal eine Schlüsselübergabe. Der Ostseestrand ist nur einen Waldspaziergang entfernt.“
Mir will das nicht in den Kopf
Ganz viel Platz, ganz viel frische Luft. Doch die Vermietung ist seit dem Lockdown verboten. „Mir will das nicht in den Kopf“, sagt Carsten. „Es wäre doch auch ein dringend benötigter Lichtblick, die Dinge, die dank Einhaltung der Hygieneregeln absolut sicher sind, zu ermöglichen.“ Drei Kinder zwischen 8 und 15 beschult das Berliner Paar – neben seinen Hauptjobs im Architekturwesen und Produktmanagement. „Als private Ferienhausvermieter bekommen wir keine Entschädigung oder Hilfen. Lange können wir die Kredite aber nicht mehr ohne Vermietung tragen“, sagt Ulrike. Die zigtausend Ferienhausvermieter in Deutschland haben jedoch schlichtweg keine Lobby. Carsten: „Es heißt immer: ,Mensch, muss man denn jetzt Urlaub machen?’ Dabei ist eine gesamte Branche von dieser Entscheidung abhängig. Unzählige kleine Gewerbe.“ Hier, in Mecklenburg-Vorpommern, ist der Tourismus sogar der Hauptwirtschaftszweig. „Das wäre, als würde man dem Bundesland Baden-Württemberg sagen: Ihr macht jetzt mal die Autoindustrie ein halbes Jahr zu. Die würden den Entscheidern dafür aufs Dach springen!“
Wir müssen mal raus
Reservierungen, Stornierungen, Anzahlungen, Rückzahlungen. „So geht es seit Herbst, das macht viel Arbeit“, erzählt Ulrike, die bei kurzfristigen Buchungen irgendwann auf die Anzahlung verzichtete, weil sich der Lockdown immer länger hinzog. Gebuchte Aufenthalte andauernd aufgrund verlängerter Reisebeschränkungen absagen zu müssen, tut ihr nicht nur finanziell, sondern auch in der Seele weh. „Unsere Gäste weinen fast am Telefon. Das sind alles Familien, die echt verzweifelt sind und sagen: ,Wir müssen mal raus!’. Die Moral ist am Boden, wenn man nicht auch mal einen Tapetenwechsel haben kann.“ Das Fazit der Gastgeber ist klar: Reisen ist sicher. Und: „Wir brauchen Euch.“ Von der Regierung sind sie enttäuscht: Es fehlt der Mut, einzelne Bereiche zu testen und zu beobachten, ob sie wirklich Pandemie-Treiber sind.
Wie lebt es sich in diesen Zeiten auf einer Urlaubs-Insel, die komplett vom Tourismus abhängig ist? Timo und seine Schwester Anna führen auf Teneriffa in zweiter Generation das Lebenswerk ihrer einst aus Deutschland ausgewanderten Eltern weiter: eine Öko-Farm mit Selbstversorger-Garten, Tieren, Hof-Laden und 14 verwunschenen Häusern für Feriengäste. Die Finca El Quinto besteht seit den 80er Jahren und hatte bis 2020 v.C. (vor Corona) die Großfamilie sowie fünf – seit drei Jahrzehnten in Vollzeit angestellte – Mitarbeiter gut versorgt. Dann kam die Pandemie, das erste Flugverbot und nun Quarantäneverordnungen, Reisewarnung und Co. „Wir sind zum Glück eine Familie und halten zusammen. Mit den Preisen für die Vermietung sind wir rigoros runter gegangen, um Langzeitmieter für die Kostendeckung zu gewinnen – damit wir die Mitarbeiter halten können“, erzählt Timo, der als Banker erst in die Finanzwelt Londons eintauchte, bis er vor 13 Jahren „zurück zu den Wurzeln“ auf Teneriffa kehrte.
Die Einreise auf die Insel ist längst wieder möglich, ein PCR-Test am Flughafen verpflichtend. Die Inzidenz liegt bei um die 50. Doch der Tourismus liegt trotzdem brach. „Dieser riesengroße Arbeitgeber wird komplett zerstört. Man versteht hier überhaupt nicht, warum die Politik da nicht nach Lösungen sucht“, sagt Timo. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht momentan 62 Prozent. An Selbstständige werden in Spanien Kredite vergeben, die umständlich beantragt werden müssen und zur Folge haben, dass sich der Kleinunternehmer verschuldet. „Wir sehen das alles mit großer Sorge.“ Genau wie die aktuellen Rückreise-Regelungen: „Ich finde es krass, dass man sich nach der Rückkehr von Teneriffa nach Deutschland – wo die Inzidenz teilweise weit höher ist als bei uns- noch in Quarantäne begeben muss. Wir haben erfrischende Passatwinde, super Wetter, die Restaurants haben allesamt Außengastronomie genehmigt bekommen, man kann wunderbar Vitamin D tanken und es wird alles dafür getan, dass Gäste sicher urlauben können.“
Mañana vamos a ver – morgen werden wir sehen
Die Tinerfeños lassen sich bei aller Verzweiflung ihre Hoffnung nicht nehmen. „,Mañana vamos a ver – morgen werden wir sehen’. Das ist hier immer noch die Stimmung auf der Insel“, so Timo. Und so manche fühlen sich angesichts des ausbleibenden Massentourismus zurückversetzt in die entspannten 80er. Wanderungen und Strand-Spaziergänge lassen sich ohne Reisebus-Horden genießen. Vielleicht auch eine Chance zum Umdenken? „Definitiv!“, meint Timo. „Es wäre wünschenswert, wenn die Gelder von Urlaubsgästen noch viel häufiger an Kleinunternehmen, an Familienunternehmen, gehen würden und eben nicht an die großen Fünf-Sterne-Anlagen, die es gleich auf das Offshore-Konto packen und nicht in die lokale Wirtschaft reinvestieren. In der Krise sind wir Kleinen diejenigen, die die Steuern zahlen und weiterkämpfen. Die großen Hotels auf der Insel haben allesamt einfach zu gemacht. Da sollte man sich auch als Urlauber schon überlegen, welche Art von Unterkunft man im Urlaub unterstützen möchte.“
Die Little Travel Society ist die erste und größte deutschsprachige Online-Sammlung mit familienfreundlichen Hotels, Bauernhöfen und Ferienhäusern. Viele davon nachhaltig, die allermeisten Familienbetriebe und alle mit dem gewissen Etwas. Im Little Travel Blog finden Familien zudem kostenlose Minireiseführer und Tipps für das Reisen mit Kindern, im Shop gibt es Länder-Ebooks mit noch mehr coolen Familien-Unterkünften. Das Team der Little Travel Society besteht inzwischen aus sieben Müttern – Autorin Laura Brauer ist eine davon. Die langjährige Journalistin kommt aus Hamburg, landete in München und erkundet von dort aus mit ihrer Familie die Welt.
Fotos: Elena Krämer Fotogarie (STRANDWEISS/STRANDGRAU), El Quinto, Jonas Rothe (Autorenporträt)
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