Meine Alpträume bestehen aus einem Bürostuhl, einem Chef und der Frage, wie viel ich als Arbeitskraft wert bin. Wie viele Frauen fühle ich mich unwohl und verhandle miserabel. Ich will doch die schöne Gesprächsatmosphäre nicht zerstören. Was für ein riesen Fehler.
Schwitzige Hände und rasender Puls
Ich habe vor einigen Dingen Angst. Skorpionen, E.T. dem Außerirdischen, Anrufen mit unterdrückter Nummer oder aggressiven Schwäne. Und: Verhandlungen. Grausig. Gruseliger als „Stranger Things“ oder der Mittelscheitel-Trend. Ob ich nun das Gehalt verhandeln soll oder das hässliche Souvenir auf dem mexikanischen Markt. Ich fühle mich sofort wie der geizige Übeltäter, dabei ist es mein gutes Recht zu verhandeln. Und in besagten Situationen eigentlich sogar Pflicht. Trotzdem möchte ich mir am liebsten eine Tüte über den Kopf ziehen und beschämt aus der Tür schlürfen.
Ich mache bei Gehaltsverhandlungen den typischen Fehler. Ich lese mir tagelang coole Artikel durch, dass ich als Frau stark sein muss, clever für meine Fähigkeiten einstehen und selbstbewusst die Summe fordern muss, die ich haben will. Am besten sogar mehr. Am Tag der Verhandlung höre ich wie eine starke Frau – denn stark muss man ja sein – morgens Macklemores „Thrift Shop“, um mein Ego aufzupumpen. Ich schreite stolz in meinem seriösen Outfit mit geradem Rücken durch die U-Bahn. Die Schultern sinken dann meist beim Betreten des Gebäudes nach unten. Mein Puls steigt und oft bekomme ich dann auch noch schön Durchfall. Oh Gott, gleich beginnt der Gehaltsgladiatorenkampf in der Arena. Und meine Rüstung hat noch nicht mal bis zum Eingang gehalten.
Spätestens auf dem Stuhl („Möchten Sie Wasser?“ – „Nein, ich hätte gern eine Imodium Akut!“) ist mein oberstes Ziel nicht mehr, viel Gehalt rauszuschlagen, sondern Konflikte zu scheuen und dieses Büro möglichst wieder schnell zu verlassen. Ich mache den Fehler, den vor allem Frauen in Gehaltsverhandlungen gerne begehen: Ich stelle Harmonie und Dankbarkeit über meinen Verdienst. Dabei sollten moralische Kategorien wie Gerechtigkeit, Fairness oder Genügsamkeit keine Rolle spielen. Hier geht es um Angebot und Nachfrage, um Verhandlungsmacht.
Wenn ich etwas fordere, fühle ich mich sofort schuldig.
Ich lese ja öfter, dass Männer so viel besser und selbstbewusster verhandeln als Frauen. „Was ein Quark!“, dachte ich immer. Bis ich in meiner damaligen Redaktion als Festangestellte nach zwei Jahren darüber grübelte, vielleicht nach 100 Euro brutto mehr zu fragen, während mein Freund nach acht(!) Monaten in seiner Firma müde nach Hause kam, sich auf das Sofa schmiss und lapidar sagte: „Ich hab mir einen Termin zum Gespräch geholt. Ich will 300 Euro brutto mehr“.
What? Allein die Formulierung. Ich würde denken: „Ich glaube, ich würde mich vielleicht über 300 Euro mehr freuen, wenn das okay ist“. Wie konnte man – nach der meiner Meinung nach durchschnittlichen Leistung meines Freundes – so selbstbewusst sein?
Ist es einfach eine Charaktersache oder liegt es an Erziehung, der Berufswahl, strategischem Denken oder eben gelernten Rollenbildern? Warum stelle ich meine Leistung infrage und fühle mich in Verhandlungen unwohl, während der Mann im Haus denkt, er würde krass abliefern?
Wenn ich etwas fordere, fühle ich mich sofort schuldig. Selbst bei meiner Geburtsanmeldung in der Klinik hatte ich Bauchgrummeln, denn ich hatte mich mit der „Friedlichen Geburt“/Hypnose vorbereitet, wollte keinen Venenzugang und möglichst gedimmtes Licht im Kreissaal. Ich hatte das Gefühl, in eine Verhandlung mit den Hebammen zu gehen, obwohl ich einfach nur gebären wollte. Ist es nicht schon schwer genug, einen Menschen aus seiner Vulva hinauszupressen? Muss ich mir jetzt auch noch Gedanken machen, niemandem Umstände zu bereiten?
Geld ist mir unangenehm
Es ist sogar wissenschaftlich belegt, dass sich Frauen schneller und häufiger entschuldigen als Männer. Selbst wenn wir angerempelt werden, huscht uns schneller ein „Sorry“ über die Lippen. Ein gelerntes Verhaltensmuster. Bei Gehaltsverhandlungen agieren Männer angeblich logisch, dominant, rational – während Frauen eher intuitiv, passiv und emotional handeln. Während sich Männer auf objektive Fakten fokussieren, achten Frauen eher auf den Beziehungsaspekt des Miteinanders. Und wer will schon unverschämt viel Gehalt fordern, wenn man danach täglich mit der Chefin arbeiten muss und sich gut verstehen will? Dabei würde uns die Chefin viel mehr respektieren, wenn wir mehr für uns einstehen und für unsere Vergütung kämpfen würden. Die Frage bleibt: Würde der Chef das genauso sehen? Gerade in der Berufswelt gelten Doppelstandards. Ein Mann verhandelt hart? Er gilt als clever und klug. Eine Frau verhandelt hart? Könnte aggressiv wirken. Ein Mann bekommt ein Kind? Oh, mehr Gehalt gilt als gerechtfertigt, er hat eine Familie zu ernähren. Eine Frau bekommt ein Kind? Oh, die wird oft fehlen und unflexibel werden.
Bei mir persönlich ist es nicht nur das Gehalt. Ich fühle mich generell mit Geld unwohl. Auf dem Flohmarkt stoße ich unauffällig meinen Freund an, dass er bitte für mich verhandeln soll. Ich versinke sonst im Erdboden, wenn der Händler ablehnt. Dabei ist es das normale Prinzip eines Flohmarkts. MARKTS. Oder man muss halt akzeptieren, dass auf dem Dachboden ein hässlicher Stoffdrachen aus Vietnam liegt, weil man sich nicht getraut hat, auf dem Markt „Nein“ zu sagen. Wenn wir essen gehen und ich bezahle, gebe ich meinem Freund sogar mein Portemonnaie. Ich möchte den Abend schön ausklingen lassen, statt gestresst darüber zu grübeln, ob das nun zu wenig oder zu viel Trinkgeld war. Und wie der Kellner wohl reagieren wird, wenn er das Trinkgeld sieht. Mein Freund sagt dann immer: „Nichts ist dir im Leben peinlich! ABER Trinkgeld geben.“ Ist so.
Aus den eigenen Fehlern lernen
Wobei Gehaltsverhandlungen bei mir eben auch mit extremer Scham verbunden sind. Oft sage ich mir: „Wenn du hoch pokerst, hast du auch Druck, danach heftig abzuliefern. Denn du musst das viele Geld dann ja wert sein“. Was Quatsch ist. Auch nach einer schlechten Gehaltsverhandlung starte ich mit Druck in den Job. Weil ein neuer Job halt ein neuer Job ist. Übrigens bin ich nicht mehr festangestellt. Als Freiberuflerin fällt mir nun alles rund ums Geld nicht mehr so schwer. Das ist mein Tagespreis – bucht mich oder halt nicht, bitches. Ist alles irgendwie einfacher.
Am Ende dieses Artikels könnte ich natürlich nochmal die cleversten Tipps zu einer erfolgreichen Gehaltsverhandlung aufführen. Muss ich aber nicht. Kauft mir niemand ab. Und genug im Netz gibt es darüber auch schon. Ich möchte diese Zeilen mit einer Bitte schließen: Verhandeln will gelernt sein, aber wir lernen es nie. Können wir das bitte als Unterrichtsfach in der Schule einführen? Ich setze mich auch als 32-Jährige mit Skinny-Jeans und Oldschool-Seitenscheitel neben alle 12-Jährigen mit Mom-Jeans und Mittelscheitel. Ich habe jetzt schon Gänsehaut.