Freundschaft ist etwas Wundervolles. Wenn romantische Gefühle dazukommen, können diese die Beziehung verkomplizieren. Sie können die Beziehung aber auch verschönern und vertiefen. In Elena, Julia, Lara und Vivianes Fall passierte genau das. Und zwar im Doppelpack. Aus einer Freundschaft zwischen zwei Paaren wurde ein großes gemeinsames Leben und Lieben. Auf Instagram sprechen die Vier auf ihrem Profil @happypolyfamily über ihre Erfahrungen und Gefühle und zeigen der Welt, dass es Beziehungen in unendlich vielen Facetten gibt. Ich habe mit Elena über ihre Poly-Beziehung gesprochen – über die ersten Gefühle, die Bedeutung von Kommunikation und ganz viel Liebe.
4 Frauen, 3 Kinder, 4 Katzen – mögt ihr euch einmal vorstellen?
Wir sind Elena, Julia, Lara und Viviane. Lara und ich sind seit Dezember 2020 verheiratet. Julia und Viviane sind seit 2016 verheiratet. Julia führt außerdem eine Beziehung mit Lara und mir. Wir leben alle zusammen in einer großen Wohnung – ein Haushalt inklusive unserer drei Kids und vier Katzen. Wir leben polyamor und klären über Instagram als @happypolyfamily über unser Beziehungskonzept auf.
Wie habt ihr euch überhaupt kennengelernt und wie schnell habt ihr gemerkt, dass da mehr ist?
Reiner Zufall. Keine von uns hatte im Sinn „Mensch, da fehlt was, da müssen wir noch irgendwen dazu holen.“ Wir haben uns online kennengelernt und fanden uns einfach nett. Alles rein freundschaftlich. Irgendwann merkten wir jeweils, dass es vielleicht doch etwas mehr sein könnte, vielleicht Freundschaft plus? Als dann aber auch die Schmetterlinge dazukamen, wurde es erstmal etwas komplizierter. Viele Gespräche und sicher das ein oder andere Tränchen hat es uns gekostet, uns jeweils einzugestehen: „Hey, das hier ist mehr als Freundschaft.“ Denn jede von uns hatte im Kopf „Darf ich das? Eine weitere Person lieben?”
Hat es lange gedauert, euch sowohl euch selbst gegenüber als auch gegenseitig einzugestehen, dass ihr Gefühle für die anderen entwickelt habt? Und wie liefen die Gespräche, in denen ihr es euch offenbart habt?
Bei Lara und mir war es so, dass wir in einem Moment des Abschieds von den anderen beiden uns anschauten… und Lara sagte: „Oh man, das tut mehr weh als gedacht. Das ist mehr als nur Freundschaft.“ Und meine Antwort war: „Puh, zum Glück hast du’s zuerst gesagt!“ Haha.
Letztendlich sprachen wir von Anfang an davon, dass da ein gewisses Interesse ist. Dass wir uns alle wirklich sehr gut verstehen. Julia und Viviane besprachen das Ganze auch erstmal für sich, bevor wir uns zu viert zusammensetzten und mal „Butter bei die Fische“ gaben.
Nur weil es eine Beziehung mit mehreren Personen ist, ist diese kein Freifahrtschein für’s Fremdgehen. Bei euch gilt “Polyfidelity” – mögt ihr den Begriff einmal erklären?
Für uns ist Treue eine Frage der Definition und bedeutet, dass nichts außerhalb unserer Absprachen geschieht. Im Endeffekt geht es darum, zu kommunizieren, Absprachen zu treffen und die anderen nicht zu hintergehen. Polifidelity ist der Begriff dafür, dass wir untereinander in unserer Konstellation exklusiv sind. Wir führen also aktuell keine Beziehungen oder Ähnliches außerhalb unseres Quads.
Ihr zeigt, dass Gefühle für Personen außerhalb der bestehenden Beziehung zu entwickeln nicht das Ende einer Beziehung sein muss. Was würdet ihr anderen raten, die dies ebenfalls erleben? Und meint ihr, eine polyamoröse oder polyfidele Beziehung kann etwas für jede*n sein?
Wir würden Personen, denen es ähnlich geht, raten, mit dem*der Partner:in offen zu kommunizieren. Klar kann es passieren, dass das Gegenüber nicht offen darauf reagiert und solch eine Beziehungsform für sich ablehnt. Aber das bedeutet auch, dass jede:r seine*ihre Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle ausgesprochen hat und jede:r für sich die freie Wahl treffen kann, wie der Weg weiter geht.
Und nein, wir glauben nicht, dass unser Weg für jede:n etwas ist. Jede Beziehungsform hat ihre Berechtigung und ihre Vor- und Nachteile und alle müssen für sich selbst entscheiden, welche davon sie leben möchten oder auch nicht. Man kann sich auch selbst genug sein und gar keine romantische Beziehung führen.
In jeder Beziehung ist Kommunikation wichtig. Aber zu viert erreicht das Ganze bestimmt nochmal ein nächstes Level?
Das ist wahr und bringt mich gleich zum Schmunzeln. Das Wort “Kommunikation” beschert uns teilweise schon Zuckungen und ist auch eines unserer Hass-Wörter. Kommunikation ist aber so unsagbar wichtig in unserer Konstellation und bildet definitiv eine Basis, um überhaupt so zusammen sein zu können. Man muss bedenken, dass bei uns vier Erwachsene und drei Kinder aufeinander treffen – alle mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Gefühlen und Ansichten. Ohne Kommunikation könnte das nicht funktionieren – aber das kann keine Beziehung. Bei uns ist das Ganze vermutlich nur um die Anzahl der Personen gesteigert.
Natürlich kann ich es nicht lassen: Thema Eifersucht. Es ist bestimmt der Faktor, der viele am brennendsten interessiert. Seid ihr untereinander auch mal eifersüchtig und wie geht ihr damit um?
Ja, auch bei uns gibt es Eifersucht. Wir haben aber gelernt, dass Eifersucht meistens aus eigenen Unsicherheiten heraus entsteht. Wenn wir ein Gefühl von Eifersucht verspüren, geht es also zunächst einmal darum, zu reflektieren, was genau das Problem ist, woher es kommt und welches Bedürfnis sich dabei im Hintergrund meldet. Eifersucht bedeutet für uns also in erster Linie Selbstarbeit! Meistens entsteht das Gefühl tatsächlich nicht, weil die Partnerin irgendetwas falsch macht, sondern weil sich die eigenen Unsicherheiten melden. Wenn das passiert, halten wir also erst mal inne, denken darüber nach und kommunizieren dann ganz ruhig und sachlich miteinander. Zugegeben, das funktioniert nicht immer so einfach und reibungslos, aber die Eifersucht wird kontinuierlich weniger und unsere Kommunikation darüber immer besser. Es ist einfach ein Lernprozess und vor allem Arbeit.
Ihr habt ja auch Kinder – gibt es da eine Trennung oder haben die Kleinen nun vierfaches Glück mit vier Müttern?
Tatsächlich gibt es da keine strikten Trennungen. Die Kinder nennen uns Mama (Julia), Mami (Viviane), Mamina (Elena) und Mima (Lara). Wir sind auch alle gleichermaßen in den Erziehungsalltag involviert. Egal ob Hausaufgaben, Windeln wechseln, Essen machen, Zähne putzen, ins Bett bringen, Wehwehchen wegpusten, Kuscheln, und so weiter.
Lara und ich waren vorher kinderlos und wir sind in unsere Rolle genauso reingewachsen wie wir alle in die Beziehungen an sich. Auch die Kinder sind reingewachsen und haben uns voll und ganz angenommen. Es gibt immer mal Situationen, in denen die Kleinen ihre Bauchmamas brauchen, aber das ist absolut normal und verständlich.
Eure Kinder kennen ihr und euer Leben ja kaum anders – thematisiert ihr eure Lebenssituation mit ihnen? Bereitet ihr sie auf potentielle Fragen von anderen Kindern vor? Niemand ist ja so ehrlich wie die Kleinen.
Die zwei Kleineren stellen keine Fragen. Für sie ist das völlig normal so wie es ist. Die Älteste hat anfangs Fragen gestellt. Wir haben es ihr kindgerecht erklärt und eben gesagt, dass wir uns alle lieben und zusammen sind. Es gab auch Gespräche darüber, was sie sagen kann, wenn die Kinder in der Schule fragen, wieso sie vier Mamas hat. Aber sie spricht ganz selbstbewusst und freudig darüber. Denn wer kann schon von sich behaupten, vier Mamas zu haben, die mit einem spielen, ins Schwimmbad gehen oder in den Freizeitpark? Bisher gab es aber von außen keinerlei negative Reaktionen. Eltern, Lehrer:innen und Erzieher:innen wissen alle Bescheid und sind sehr herzlich zu uns, wie zu anderen Eltern auch.
Wie reagiert euer Freundes- und Familienkreis auf eure Beziehung? Und was sagt ihr Menschen, die eure Beziehung nicht verstehen (wollen)?
Wir haben mit unseren Familien unsagbares Glück. Wir werden größtenteils so angenommen wie wir sind. Die ein oder andere Person braucht mal etwas Zeit, um sich mit unserer Konstellation auseinander zu setzen, Ablehnung haben wir aber keine erfahren. Geburtstage und Weihnachten werden auch gerne mit den Familien gemeinsam verbracht, obwohl wir da ganz schön in Terminstress geraten mit vier jeweiligen Familien. Auch unsere Freunde und Freundinnen nehmen uns alle so an wie wir sind. Manche sagen offen, dass sie das nicht könnten oder wollen würden, aber das ist ja ihr gutes Recht. Wir haben also alle riesiges Glück. Wenn Menschen unsere Beziehung nicht verstehen, erklären wir gerne wie es für uns ist und wieso wir unsere Beziehung so führen wie wir es tun. Wenn es jemand nicht verstehen will, dann ist das auch in Ordnung. Es muss nicht jeder verstehen. Wir wollen einfach nur das bekannte “Leben und leben lassen”.
Die meisten Beziehungen erfahren dies sicherlich, aber gibt es Situationen, in denen eure Familienkonstellation an ihre Grenzen stößt? Oder generelle Herausforderungen im Alltag einer Poly-Beziehung?
Grenzen und Herausforderungen spüren wir vor allem im rechtlichen Kontext. Wir können uns rechtlich nicht oder nur sehr schwer gegenseitig absichern und auch die Kinder nicht. Lara und ich sind zum Beispiel rechtlich keine Eltern der Kinder. Würde Julia und Viviane also etwas passieren, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Kinder nicht bei Lara und ich bleiben dürfen. Da wäre eine rechtlich anerkannte Mehrelternschaft wirklich sinnvoll. Sinnvoll nicht nur für uns, sondern auch für andere mögliche Konstellationen, wie Patchwork-Familien.
Zu eurer Kennenlernphase sagt ihr: “Zwei Pärchen waren wir und niemand hat an sowas wie “Poly” gedacht.” Was ist für euch die schönste und vielleicht überraschendste Bereicherung eurer Beziehung?
Mehr Liebe! Eine große Bereicherung ist definitiv mehr Liebe. Aber wir haben auch Vorteile darin erfahren, dass wir uns durch die Beziehung sehr mit uns selbst auseinandersetzen mussten und jede von uns persönlich viel über sich lernen und daran wachsen konnte. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir alle unseren Horizont erweitern und dadurch für uns gesellschaftliche Konventionen sprengen konnten. Wir konnten unseren Blick auf Liebe und Beziehung erweitern.
Es ist zwar sicherlich nicht immer leicht, außerhalb der gesellschaftlichen Konvention zu leben, aber es motiviert uns, mit unserem Kanal weiterzumachen und Sichtbarkeit zu schaffen. Es motiviert uns dazu, mehr Liebe in die Welt zu tragen und die Konventionen aufzubrechen, damit unsere Kinder irgendwann einfach frei lieben können, wen und wie viele sie wollen. Damit es einfach gar keinen Grund mehr gibt, sich “outen zu müssen”, sondern, dass unsere Kinder einfach nach Hause kommen und voller Schmetterlinge im Bauch erzählen können, dass sie verliebt sind, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, in wen.
Wenn ihr mehr über Elena, Julia, Lara und Vivianes Beziehung und Leben kennenlernen möchtet, schaut gerne auf ihrem Instagram-Profil @happypolyfamily vorbei.