Jahrelang pendelten wir an den Feiertagen zu unseren Eltern durch halb Deutschland, obwohl wir längst erwachsen waren. Warum nur? Ein Mutmach-Text für ein Weihnachtsfest, wie ihr es wollt.
Alles anders machen?
Es gab diese eine Autofahrt. Ich sitze auf der Rückbank unseres Kombis, meine Tochter in ihrer Babyschale neben mir ist komplett fertig mit den Nerven. Ich versuche verzweifelt, den Schnuller in ihrem Mund zu halten, aber sie hat schlicht keine Lust mehr auf Auto, auf Stillsitzen, auf Langeweile. Fünf Stunden fahren wir nun schon, ein Marathon für ein vier Monate altes Baby. Und wofür? Um Weihnachten bei meiner Familie zu sein.
Eigentlich wollen wir doch alles anders machen als unsere Eltern: Beruf, Beziehung, Frisur. Mit dem 18. Geburtstag fliehen wir aus dem engen Zuhause, üben uns danach in maximaler Abgrenzung. „Ich werde schon wie meine Mutter!“, ist der Warn-Satz, bei dem es schleunigst heißt: Abbiegen! Doch bei einer Sache sind wir merkwürdig lange Nesthäkchen: wenn es um Weihnachtstraditionen geht. Merkwürdigerweise verlieren wir diese Sehnsucht selbst dann nicht, wenn wir selbst Kinder bekommen – und ja eigentlich eine eigene kleine Familie sind.
“Nach Hause”
Auch ich pendelte, seit ich von zu Hause ausgezogen war wie selbstverständlich an den Weihnachtstagen nach Hause. Ich lebte zwar viele Hundert Kilometer entfernt, aber ich stellte es nie in Frage, die Fahrt auf mich zu nehmen, um Heiligabend bei ihnen zu verbringen. Es war ein ach so herrliches Zurückkommen in den Schoß meiner Familie, wo mich all die vertrauten Gerüche und Geschichten empfingen. Aber ehrlich gesagt eben auch die Zickereien, endlosen Diskussionen und überflüssigen Traditionen. Dennoch kam ich nicht auf die Idee, an diesem Konzept etwas zu ändern, als ich selbst Mutter wurde.
Die allermeisten meiner Freunde – auch die mit Kindern – handhabten das so und tun es teilweise immer noch. Spätestens am 23. Dezember machen sie sich mit Sack und Pack und Reisebett auf den Weg „nach Hause“. Irgendwie kommt es mir so vor, als würden wir damit gerade in den ersten Jahren unseres Elternseins dem subtilen Gefühl von Überforderung entfliehen. Wir fühlen uns zwar erwachsen, aber sooo erwachsen, dass wir Weihnachten ohne Mama und Papa feiern, dann auch wieder nicht.
Mein Mann und ich jedenfalls zogen das ein paar Jahre durch, manchmal reisten wir sogar am ersten Feiertag von seiner Familie zu meiner – 600 Kilometer Distanz liegen wohlgemerkt dazwischen. Und das alles mit Kind im Gepäck.
Irgendwann war Schluss. Ob es das lausige Essen auf der Familienfeier war, der Druck, eine bestimmte Lieder-Reihenfolge einzuhalten oder einfach so etwas wie ein Erwachen – ich weiß es nicht. Jedenfalls war klar: Das war früher alles schön und gut, aber ganz ehrlich, ich würde anders Weihnachten feiern. Und ab jetzt machen wir das auch so, wie ich es will, wie meine eigene, kleine Familie es braucht.
Was für ein Prozess!
Was soll ich sagen: Verdammt, bringt das die eigenen Eltern erst mal durcheinander! Und ich verstehe das ja. Wenn die Kinder sagen: Ab jetzt findet Heiligabend bei uns statt, dann ist das wahrscheinlich für jeden erst mal ein Abschied. Von der Zeit, in der man die Kernfamilie war, von der Deutungshoheit über die Familienregeln. Als würde damit der Wechsel von der Eltern- in die Großelternzeit besiegelt.
Auch für mich war diese Entscheidung der Schritt in eine neue Phase. In den ersten Jahren meines Mamaseins fühlte es sich ehrlich gesagt ein bisschen an wie Üben: Alles war ein erstes Mal, alles musste ausprobiert werden. Welche Form von Reisen gefällt uns, welche Rituale finden wir gut, womit sind alle einigermaßen zufrieden? Mit dem eigenen Weihnachtsfest kam auf einmal extrem viel Verantwortung zu mir, aber auch eine wundervolle Form von „Großwerden“. Jetzt war ich das Zentrum der Familie – und nicht mehr meine eigene Mama. Was für ein Prozess!
“Um nichts kümmern”
Ich habe Weihnachten bei meiner Mutter immer geliebt, aber noch mehr liebe ich es jetzt. Und ehrlich gesagt beginnt es schon Wochen vorher. Wenn wir am Ersten Advent den Weihnachtsschmuck rausholen. Wenn wir den leuchtenden Stern vor unsere Haustür hängen. Wenn ich mir überlege, welche Farbgruppe die Geschenkverpackungen zu Weihnachten haben sollen. Wenn ich mir Weihnachtsohrringe kaufe – hach, das ist alles einfach so schön!
Ich habe von Freundinnen oft gehört, dass sie an den Weihnachtstagen gern zu ihren Eltern fahren, weil sie sich dann „um nichts kümmern“ müssen. Allerdings höre ich dann beim genauen Nachfragen, dass sie sich zwar nicht um das Essen kümmern, aber ansonsten um alles: Darum, dass es für die eigenen Kinder auch was Leckeres gibt. Dass Opa sich mit nervigen Erziehungstipps zurückhält. Dass Oma keinen Nervenzusammenbruch bekommt. Dass der Partner sich nicht zu sehr langweilt mit den ganzen alten Geschichten. Und und und.
Auf mein Kommando
An meinem Heiligabend kümmere ich mich zwar um alles – aber dafür ist es dann auch genau so, wie ich es haben will. Wir hatten vor einigen Jahren die kongeniale Idee, am 24. nicht groß zu kochen, sondern nur eine Suppe zu machen und ansonsten an der Spezialitätentheke zu eskalieren. Es gibt also eine riesige Tafel mit dem feinsten Essen, das aber eigentlich nur aus den Packungen geholt wird. Die Kinder kriegen Nudeln. Dadurch habe ich den Tag über eine entspannte Zeit, in der ich mit den Kindern in die Kirche gehe, während mein Mann den Kaffeetisch deckt. Dann gibt es Stollen und gekaufte Kekse, alle sind furchtbar aufgeregt. Ich sehe natürlich hervorragend aus und bin mit meinen neuen Ohrringen der Fels in der Brandung, während sich die Nervosität bei den anderen mehr und mehr erhöht.
Auf mein Kommando müssen alle ins Wohnzimmer, den Tannenbaum anmachen und sich irgendwie ablenken, während ich den Sack mit den Geschenken hervorhole. Kein Weihnachtsmann-Trara, dafür wird Geschenk für Geschenk ausgepackt (nie alles zugleich!) und jeder sagt zu allen Geschenken „Ohhhh!“ Danach macht mein Mann den Sekt auf, ich stelle den Herd mit der Suppe auf zwei und wir stoßen an. Auf dieses wunderbare Weihnachten, das – um ehrlich zu sein – gar nicht so anders ist als das, wie es früher bei uns zu Hause war. Aber es ist eben: meins.