Kinder und Sexualität. Es ist ein heikles Thema. Ich halte dem Shitstorm deshalb schon einmal die Tür auf und nicke ihm freundlich zu. Hereinspaziert! Aber über manche Dinge müssen wir nun mal offen reden. Zum Beispiel über meine Hodenphobie. Bei Männern: oh ja! Bei Kindern: oh ne.
Ich weiß noch, wann das Geschlecht meines Kindes Thema für mich wurde. Direkt auf dem OP-Tisch. Notkaiserschnitt. Schon als ich seinen Schrei hörte, war mir klar, dass es ein Junge ist. Intuition. Das ist kein Mädchen-Schrei. Die Ärztin hielt mir das Kind ganz dicht vor das Gesicht: “Schauen Sie mal! Sie haben einen Sohn!”. Erster Gedanke: Ich weiß. Zweiter Gedanke: Herrje, ich muss Hoden wickeln. Harry Potter würde flüstern: „Evanesco,Testiculo“, ein Verschwindezauber.
Ich weiß, dass es nur seine Genitalien sind und es ganz natürlich ist, den Körper meines Kindes zu putzen. Trotzdem hätte ich mich mit einer Baby-Vagina leichter getan, glaube ich. Schließlich habe ich auch eine. Die Babyhoden sehen rot und riesig aus. Riesig und dennoch leer. Der Penis ist winzig. So winzig, dass ich für ihn hoffe, dass er noch wächst oder seine Liebste/seinen Liebsten später mit einem tollen Charakter überzeugt. Generell erwische ich mich im skurrilen Gedankenkarussell: Es ist weder der Penis seines Vaters noch seines Opas mütterlicherseits … hat er den Penis meines Schwiegervaters geerbt?! Stop, Alina. Bitte lösche diese Bilder aus deinem Kopf.
Genitalien sind etwas ganz Natürliches
Neulich hatte ich mein erstes Mutti-Treff inklusive Kids nach einigen Covid-Schnelltests. Selbst bei fremden Babys erwische ich mich, dass ich glotze. Ich möchte gar nicht glotzen. Genitalien sind etwas ganz Natürliches! Und trotzdem denke ich bei dem Baby meiner Freundin mit dem dünnen, langen Penis: Ah, ist also dein Partner gut bestückt? Was natürlich absurd ist. DNA ist viel komplexer als das – außerdem haben auch Brüder oft verschiedene Penisse.
Aber nicht nur als Jungs-Mama muss ich mich an den Windelbereich meines Kindes gewöhnen. Meine Fotografin berichtete mir beim Newborn-Shooting, dass weibliche Genitalien beim Wickeln auch erst komisch erscheinen. Die Scheide ist dann riesig und rot, quasi mit XXL-Schamlippen. Geschwollene Genitalien sind bei frischen Säuglingen dabei keine Seltenheit. Das Baby wird mit einer zusätzlichen Menge Flüssigkeit geboren und diese sammelt sich unter anderem im Intimbereich an.
NICHT versuchen zurückzuschieben
Ich bin übrigens nicht die Einzige, die dachte, sie müsste ihrem Baby beim Baden die Vorhaut zurückziehen, und eine böse Überraschung erlebte. Achtung an alle zukünftigen Jungs-Mamas: Bei Säuglingen haftet die Vorhaut noch fest am Penis, man kann und sollte sie also NICHT versuchen zurückzuschieben! Das würde Schmerzen und Entzündungen hervorrufen.
Man merkt als frischgebackene Mami bei männlichen Neugeborenen jedoch schnell, dass man eine andere Baureihe als bekannt vor sich liegen hat. Eine Freundin hat bei dem Versuch, bei der Reinigung die Vorhaut zurückzuschieben, sogar eine Erektion erlebt. Plötzlich wurde der Penis ihres Kleinen steif und richtete sich auf. Ja, Babys können schon eine Erektion haben. Kein Grund zur Verunsicherung – es ist eine völlig natürliche Reaktion des Körpers auf Berührungen. Manchmal verhärtet sich ein Jungenpenis aber auch, um leichter zu pinkeln. Also beim Wickeln immer schön auf die Deckung achten.
Zu unangenehmen Situationen (naja, also eigentlich ist keine Situation unangenehm, wir Erwachsenen machen sie nur dazu) kommt es auch bei älteren Kindern oder Teenagern. Meine Hebamme berichtete von einem – laut ihr – “verstörenden” Erlebnis mit ihrem Sohn. Der 15-Jährige hat seine erste Freundin. Er wurde bereits in jungen Jahren aufgeklärt und in Sachen Sexualität sehr offen erzogen. Meine Hebamme sei immer sehr stolz darauf gewesen, dass sich der Sohnemann ihr anvertraut. Nun hallte es aber auf ihre lapidare Frage in den Wohnungsflur “Braucht noch wer etwas vom Supermarkt?” zurück: “Mama, magst du mir Kondome kaufen?”
Sie habe etwas schlucken müssen. Im Auto habe sie dann geweint, weil ihr Baby erwachsen geworden war. Und sehr offensichtlich eine Tüte für seine Erektion braucht. Am Ende des Tages lag sie stolz im Bett, dass sich ihr Junge verantwortungsbewusst schützt und seiner Mama vertraut. Trotzdem kann ich verstehen, dass es zunächst komisch für sie war. Wie würde ich reagieren, wenn ich für mein Baby später Kondome kaufen müsste? Wie fühlt es sich an, wenn sich der Nachwuchs statt Gummibärchen Gummis wünscht?
Kann ich ihnen nicht verübeln
Ich empfinde es als eine Herausforderung, sich als Eltern der Sexualität seiner Kinder zu stellen. Irgendwann auf Gartenfesten die Gäste verlegen anzulächeln, wenn sich das Kind durchgängig im Schritt rumfummelt, weil sich das eben schön anfühlt. An eine Szene, an die ich immer denken muss: die Schwimmnudel. Im Studium habe ich als Bademeisterin gearbeitet und unter anderem 8-Jährigen zum Seepferdchen verholfen. Bei einer Übung mussten die Kids auf einer Schwimmnudel reitend die Armbewegung üben. Egal, welche Gruppe ich betreute, immer das gleiche Bild: Grundschülerinnen, die sich auch NACH der Übung noch am Beckenrand festhielten und auf der Nudel ritten. Kann ich ihnen nicht verübeln. Fühlt sich schön an. Ist trotzdem unangenehm, wenn man als Lehrer danebensteht und innerlich verkrampft schreit.
Ich fühlte keine Scham
Meine eigenen Eltern dürften es auch nicht leicht gehabt haben mit mir als Kind. Ich erinnere mich genau an meine ersten Masturbationen, auch wenn ich damals nicht wusste, wie ich das ganze einzuordnen hatte. Ein Schauplatz war immer der blau-gestrichene Spielplatz meiner Freundin Laura, bei der es eine Stange zum Runterrutschen gab. Ich bin die Stange allerdings raufgeklettert (hat besser geschubbert). Und selbst wenn ich an der Spitze war, habe ich versucht weiter und weiter zu klettern, bis ich Erleichterung verspürt habe. Nennt mich eine Lügnerin, aber ich hatte rückblickend definitiv Orgasmen. Ich fühlte keine Scham, da ich es noch gar nicht verstand. Ich erinnere mich aber, dass meine Mutter oft vom angrenzenden Balkon rief, dass ich da endlich runter soll. Ich Suchti.
In der 4. Klasse habe ich mich außerdem mit meiner Freundin Marissa selbstbefriedigt. Also jede für sich, um Gottes Willen. Nicht gegenseitig. Wir wussten noch nicht, was genau das ist, aber wir wussten, dass wir es vor den Eltern geheim halten mussten. Als blutjunge Aaron-Carter-Fans nannten wir es beim Codewort: „Aaron machen“. Das hieß: Eine spielte zur Ablenkung Keyboard (dann kamen die Eltern nicht rein), die andere robbte auf einem Kuscheltier herum. Unser Objekt der Begierde war ein Tiger. Noch heute sehe ich sein zerzaustes, geschundenes Gesicht. Seine Schnauze hatte nämlich die perfekte Passform für „Aaron machen“. Armer Shirkan.
Aber das sind wir ja auch, Tiere
Wenn Kinder „juckeln“ denke ich immer an Porno-Fletscher. Das war der Jack Russel Terrier, der bei meinem Bürojob als Abiturientin unter dem Schreibtisch der Sekretärin hauste. Fletscher war gefühlt dauergeil, sodass ihm Frauchen einen riesigen Teddybären hingelegt hatte, auf dem er ständig rumjuckelte. Schnell nannte ihn das gesamte Büro Porno-Fletscher.
Oft berichten Eltern von Kindern, die sich an Kuscheltieren oder Bällen rubbeln. Das wirkt extrem animalisch. Aber das sind wir ja auch, Tiere. Tiere mit Bedürfnissen. Und so muss man sich – ob Juckelei, Einschlafhilfe oder Doktorspiele – als Eltern immer wieder sagen: Das ist Natur. In ihrer unschuldigsten Form. Ohne gesellschaftliche Konventionen, ohne Scham, ohne Hintergedanken. Es ist pure Freude. Die Kinder entdecken ihren Körper spielerisch und berühren sich dort, wo es guttut. Ihre Sexualität gehört zu ihnen wie sabbernde Münder, nicht zu stillende Neugierde oder dreckige Fingernägel.
Ich habe mir als blutjunge Mama vorgenommen, keine Angst mehr vor der Sexualität meines Kindes zu haben. Ich möchte den öffentlichen Umgang mit seinem Körper respektvoll begleiten und ihm alles offen erklären. Und wenn mich mein Sohn eines Tages nach Kondomen fragt, möchte ich lächeln und lässig zur Haustür hinausschreiten. Und wenn Tränen – dann Freudentränen. Denn dann vertraut er mir.