Oh ja, so ein schwangerer Bauch sieht süß aus. Magisch. Eine glückliche Mutter. Ein Körper, der Leben erschafft. Aber seien wir ehrlich: Kinderkriegen ist kein Kinderspiel: Der Kreislauf spinnt, die Nippel werden riesig, wir müssen öfter als sonst eine Slipeinlage einlegen, die Blase drückt, die Finger kribbeln. Unser Körper wird einmal auf links gedreht. Rund 50 % aller Schwangeren leiden zum Beispiel unter Hämorrhoiden. Wie viele Frauen haben mir vor meiner eigenen Schwangerschaft davon erzählt? Exakt 0 %. Ich wünschte, jemand hätte mich vorgewarnt.
Der Stuhl ist wacklig und die Praxis leer. Es ist mein erstes Mal beim Proktologen. Ich finde das an sich überhaupt nicht schlimm, ich habe auch keine Scham vor dem Stuhl beim Gynäkologen. Wenige Minuten später wird es dann doch unangenehm.
„Setzen Sie sich schon mal rein, der Doktor kommt gleich“, sagt die Sprechstundenhilfe. Also mache ich mich untenrum nackig und sitze geduldig auf dem Untersuchungsstuhl. Als der Arzt hinein kommt, erschreckt er sich, zieht irritiert die Augenbrauen hoch und stammelt „Oh, wir ziehen uns hier nicht aus“. Ich muss mich auf Anweisung wieder anziehen, während er die ersten Daten in den Computer tippt. Ohje, reizend. Anscheinend setzt man sich angezogen (!) und mit Schuhen auf den in Plastik verhüllten Stuhl. Der Proktologe drückt dann ein paar Knöpfe, sodass der Stuhl langsam nach hinten kippt wie in einem Fahrgeschäft auf dem Rummel. Erst dann zieht man die Hose dezent über den Po herunter und der Arzt tastet, guckt, fühlt.
Ein Riss in der Schleimhaut
Diagnose: Analfissur. Ein Riss in der Schleimhaut. Für mich bedeutet das: Es brennt wie die Hölle auf Toilette, und blutet. Es ist das erste Geschenk meines ungeborenen Kindes. Mein Po ist gerissen, weil zwei Komponenten zusammenspielen: Einerseits bekommen Schwangere Verstopfung, denn der Darm verlangsamt die Verdauung, um mehr Nährstoffe für Mutter und Baby herauszuziehen. Gleichzeitig lockern Hormone das Gewebe. Gegen eine Analfissur hilft eigentlich eine simple Creme, aber die dürfen Schwangere nicht nehmen. Und die Creme, die Schwangere nehmen dürfen, wird in Italien hergestellt. Allerdings wurde die Produktion wegen der Coronapandemie zeitweise eingestellt. Mir bleiben also Kamillenbäder und eine Art Gleitcreme. Außerdem, so sagt mir der Arzt, werden die Hämorrhoiden sicher bald kommen. Spätestens beim Pressen bei der Geburt.
Während ich dort – rücklings mit dem Po nach oben – auf dem Stuhl liege, muss ich an meinen Mutterpass denken. Auf der ersten Seite steht direkt: „Hinweis: Schwangerschaft und Geburt sind natürliche Vorgänge und stellen keine Krankheit dar.“ Aha. Danke für den Hinweis. Erzähl das mal meinem Po. Oder meinem Kreislauf.
Sodbrennen, Ischias, einer schwachen Blase
Ich bin nun in der 28.Woche, Ende siebter Monat. Ich bin mir also im Klaren darüber, dass der harte Gipfel erst noch erklommen werden muss. Halleluja. Ich bin 31 Jahre alt und bin mit Kleidergröße L in die Schwangerschaft gestartet. Ich bin weder zierlich noch fitnessbegeistert, aber gehe zweimal die Woche schwimmen, fahre Rad, koche viel frisch. Ich bin sehr selten krank. Wirklich. Darauf war ich immer besonders stolz, wenn mein Freund mal wieder schniefend im Bett lag und ich ihn küssen konnte ohne mich anzustecken. Nun liege ich auf dem Sofa mit Sodbrennen, Ischias, einer schwachen Blase, schreibe diesen Blogeintrag und hoffe, gleich von ihm auf die Stirn geküsst zu werden. So schnell wendet sich das Blatt. Bei all dem, was ein schwangerer Körper so anstellt, kann er froh sein, dass er sich nicht anstecken kann.
Meine Hebamme hat zu mir gesagt: „Jede Schwangerschaft ist anders. Bei den Nebenwirkungen gilt: Alles kann, nichts muss“. Ich bin vom Typ: Alles kann.
Das Gute zuerst: Ich hatte keine wochenlangen Kotzattacken über der Toilette und bin (bisher) von Blutungen & Inkontinenz verschont geblieben.
Die Augen fallen plötzlich zu
Meine sonstigen Nebenwirkungen: Natürlich die anfängliche Übelkeit im ersten Trimester (aber zum Glück nur exakt einmal übergeben, und in dem Fall sogar noch schnell einen Gulli auf der Straße gefunden) und diese extreme Müdigkeit. Die kommt immer mal wieder. Bei der Arbeit habe ich sogar letztens in der Redaktion ein Recherchegespräch vorgetäuscht, nur um 20 Minuten in der Telefonkabine einen Power Nap zu bekommen. Früher hätte ich einfach kaltes Wasser über die Handgelenke laufen lassen und etwas Sprudeliges getrunken, dann hätte ich die Müdigkeit irgendwie ertragen. Das geht jetzt nicht mehr. Die Augen fallen plötzlich zu und mein Körper scheint zu schreien: RUNTERFAHREN AUF RUHEZUSTAND. ICH BAUE HIER GERADE ETWAS KRASSES.
Relativ am Anfang der Schwangerschaft sind mir dunkle Haare kurz über dem Bauchnabel gewachsen. Ich konnte es nicht fassen. Warum hatte mir niemand davon erzählt? Ich bin ein heller Typ. Ich habe mir noch nie die Augenbrauen gezupft, aber nun hantiere ich regelmäßig mit der Pinzette an meinem Bauchnabel. Das absurde: An meinem Bauch sind Haare gewachsen, auf dem Kopf sind sie ausgefallen. Der Mythos sagt zwar immer, Schwangere bekommen tolle Nägel und volles Haar, doch meine Realität sah anders aus: Nachdem ich aus der Dusche kam, hat mein Freund öfter gescherzt: „Mach mal deinen Skalp da weg“. Ich hatte immer so viele Haare an den Fingern nach dem Shampoonieren, dass ich sie an den Kacheln abwischen musste.
Ich habe Pickel am Rücken bekommen. Die Wadenkrämpfe in der Nacht. Das Sodbrennen zu jeglichen Tageszeiten. Ischias-Schmerzen. Der vermehrte Ausfluss (übrigens eine Folge des erhöhten Östrogenspiegels. Er steigert die Durchblutung in der Schleimhaut, weswegen mehr Flüssigkeit abgegeben wird). Die Mutterbänder ziehen so sehr beim Gehen, dass ich niemals mehr die Google-Maps-Prognose-Zeiten für Strecken zu Fuß einhalten kann. Während einer Phase von Nasenbluten musste ich – zum Glück nicht in der Wohnung – niesen. Mein Balkon sah aus wie ein Tatort.
Meine Nase (die ich kurz vor der Schwangerschaft per Radiofrequenztherapie veröden ließ, damit ich endlich ordentlich atmen kann) ist wieder öfters dicht. Dank der Gefäßerweiterungen, die eine Schwangerschaft mit sich bringt. Ich habe Besenreißer an den Oberschenkeln bekommen. Zahnfleischbluten. Und Himmerherrgott: Noch nie habe ich in meinem Leben so viel gepupst.
Immer wenn eine neue Nebenwirkung auftritt, muss ich an Boromir von Herr der Ringe denken. Ist die Szene bekannt? Die Gefährten haben bereits jegliche Abenteuer hinter sich, als in der scheinbar sicheren Unterwelt von Moria der Boden zittert. Boromir dreht sich dramatisch zur Kamera und flüstert entsetzt: “Was ist das wieder für eine neue Teufelei?”
Gut. Haarwuchs am Bauchnabel oder nächtliche Wadenkrämpfe sind keine Dämonen aus der Unterwelt, aber dämonische Wegbegleiter. Irgendwie unheimlich. Es ist beängstigend und faszinierend zugleich, wie Botenstoffe den Körper auf den Kopf stellen und alles, was vorher so perfekt aufeinander abgestimmt war, durcheinander bringen. Wie ein Jenga-Turm bei dem immer wieder ein neuer Stein herausgezogen wird.
Ich frage mich, wann ich umkippe.
Die Schuldigen heißen Östrogen, Progesteron oder Humanes Choriongonadotropin.
Hormone sind weit mehr als Botenstoffe. Sie sind quasi unsere Betriebsanleitung, sie halten den Laden am Laufen. Oder man könnte sagen: Hormone sind die Dirigenten unseres Körpers. Kommen sie aus dem Takt, kann die schönste Symphonie aus dem Ruder geraten. Dann gleicht der Körper eher dem Blockflötenkonzert der kleinen Schwester unter dem Tannenbaum.
Jeder Körper reagiert anders
Doch eine neue Hormonzusammensetzung ist eben nötig, damit neues Leben gezaubert werden kann. Jeder Körper reagiert anders auf dieses Chaos. Manche anscheinend… gar nicht.
Ich kann das immer noch nicht ganz glauben, aber es gibt wohl Frauen, die schweben beschwerdelos durch die Schwangerschaft. Oder zumindest durch die ersten beiden Trimester. So scheint es.
„Mensch, wie geht es dir denn?“, fragt man da. „Ach, fantastisch. Müde, aber sonst fantastisch“.
Natürlich erwähnen die wenigsten Hämorrhoiden, aber ein Hauch mehr Ehrlichkeit wäre toll. Immerhin sitzen wir alle in einem Boot. Frauen mit Nebenwirkungen würden sich weniger allein fühlen. Frauen, die noch eine Schwangerschaft vor sich haben, würden vielleicht ein klareres Bild dessen haben, was auf sie zukommt. Oft muss ich im Gespräch erst ein Häppchen Ehrlichkeit vor die Nase hinwerfen, damit sich mein Gegenüber traut, über seine eigenen Beschwerden zu reden. Warum nicht gleich so?
Letztens hat mich eine Arbeitskollegin im Treppenhaus gefragt, wie es mir denn mit der Schwangerschaft geht. Ach, bist du mal ehrlich, dachte ich mir: „Ich hab Verdauungsprobleme. Ich war auch zum ersten Mal beim Proktologen. War irgendwie skurril“.
Sie hat sich richtig gefreut. Nun weiß ich alles über ihren Dammriss in der zweiten Schwangerschaft. Es war der schönste Smalltalk der Woche.
Ich hab mit ihr nicht nur meine Geschichte geteilt, sondern nun auch meine liebste Playlist. Als ich damals von einer Festanstellung freiwillig in die Selbstständigkeit gegangen bin, habe ich mir zuallererst eine Motivations-Spotify-Liste erstellt. So als neue, knallharte Geschäftsfrau. „Survivor“ von Destinys Child. “Harder better faster stronger” von Daft Punk. “Fighter” von Christina Aguilera. Ich habe einen exzellenten Musikgeschmack.
“You shoot me down, but I won´t fall – I am Titanium”.
Jetzt bringt mich diese Playlist durch die Schwangerschaft.
Dabei bin ich jeden Tag dankbar dafür, einen verständnisvollen Freund zu haben. Der irgendwie alles mit Humor nimmt, aber weiß, wann ich Trost brauche. Letzten Monat sind wir in der Spätsonne vom Schrebergarten mit dem Fahrrad heim gefahren. Dort hab ich zum ersten Mal die Kurzatmigkeit bemerkt. Ich war einmal Leistungsschwimmerin. Ich bilde mir ein, immer noch gut Kerzen aus der Ferne auspusten zu können. Doch auf dem Sattel habe ich plötzlich gemerkt, wie ich immer weiter zurückfalle und er mir davon radelt. Kurzatmigkeit fühlt sich an wie ein Unterwasser-Level von Lara Croft. Wenn die Heldin im Videospiel taucht, wird der Sauerstoffbalken unter Wasser immer röter – sobald sie auftaucht, wird der Balken komplett grün. Doch je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto weniger bekommt man den grünen Balken wieder voll. Es geht einfach nicht mehr.
Er schien nicht schockiert
Auf dem Rad hat sich mein Freund immer mal wieder umgedreht, meine glasigen Augen und mein schlecht gelauntes Gesicht gesehen. „Wir halten an der nächsten Ampel mal an und ich nehme dich in den Arm“, rief er und bremste ab. Ein paar Umarmungen und Tränen später ging die Reise weiter, in einem höheren Gang, er neben mir, in meinem Tempo.
Nur einmal – da konnte ich ihn wirklich schocken.
Meine Schwangerschafts-App hat mich bereits relativ früh auf XXL-Nippel vorbereitet. Ich las ihm die Zeilen im Bett vor: “Der Vorhof kann nicht selten die Größe eines Bierdeckels annehmen”. Er schien nicht schockiert. “Die sind doch immer so groß wie Bierdeckel?!”.
Ich korrigierte ihn: „Bierdeckel! Nicht Kronkorken“. Da fiel der Groschen, während ihm seine Gesichtszüge entglitten.
Ich kann es ihm nicht verübeln. Ich habe erst ein paar Mal im Leben Nippel von schwangeren Frauen gesehen, aber ich war jedes Mal entsetzt. Wie kann etwas kleines zartrosafarbenes zu einer dunkelbraunen Zitze wie bei einer Kuh werden? Ich dachte auch immer, Babys würden am Nippel saugen. Und nicht den ganzen Warzenhof verschlingen. Auch da hätte ich mir gerne eine Vorwarnung von anderen Müttern gewünscht. Die Nippel-Thematik macht mir Angst. Werden Sie sich zurückbilden? Bekomme ich meine Pre-Schwangerschaft-Nippel zurück? Oder bleiben sie dunkel und riesig – eben eine Zielscheibe fürs Kind. Was muss, das muss. Aber muss das sein?
Eine Nebenwirkung, die mir gar keine Sorgen bereitet, sind komischerweise Dehnungsstreifen. Noch habe ich keine, aber ich bin mir sicher, dass sie in Scharen kommen und meinen Bauch besiedeln werden. Meine eigene Mutter ist komplett von oben bis unten zerrissen. Tja, passiert.
Und – auch wenn man fleißig einölt – am Ende entscheiden eben die Gene, das Bindegewebe. Ich weiß, dass Dehnungsstreifen für viele Frauen ein Thema ist. Ich denke mir: Alina, wenn du Dehnungsstreifen zu 100% ausschließen willst, darfst du eben keine Kinder bekommen. Das ist Schicksal. Part of the deal. Ich weiß, dass ich mir diese Einstellung gerne mal beim Thema Nippel aneignen dürfte. Aber Ängste sind eben nicht rational.
Er ist nicht angenehm
Ich bin gespannt, wie ich reagiere, wenn die nächste Eskalationsstufe kommt: Tropfende Brüste, stechende Rückenschmerzen, Ödeme. Oh, eine Schwangerschaft ist ein echtes Abenteuer.
Oder, wie ich finde, eine Flugreise: Start- und Landung sind die kritischsten Momente. Dazwischen kann man den Flug ertragen. Er ist nicht angenehm, denn die Beine kribbeln, der Rücken tut weh und man muss ständig den Sitznachbarn anticken, um auf Klo zu gehen. Es hat kurz seine magischen Momente, wenn man die Wolken sieht, aber eigentlich ist ein Flug beängstigend und nervig. Ist man länger nicht geflogen, denkt man sich: Ach, war doch gar nicht so schlimm. Bis man wieder ein Flugzeug betritt. Und dennoch erträgt man den Flug. Denn am Ende wartet das bezauberndste Reiseziel überhaupt: Ein winziges neues Familienmitglied.
Und das ist wohl alles wert. Selbst eine Analfissur.
Bild: Janine Oswald