weltschmerz

 

 

Mit dem Glasreiniger bewaffnet stehe ich in der Küche, die Sonne durchflutet unsere Wohnung, mein Sohn schläft in seiner Wippe und meine Tochter tanzt mit ihrer Puppe ausgelassen und voller Lebensfreude durchs Wohnzimmer.  Und mir, mir wird heiß und kalt, in meinem Kopf zu viele Gedanken, ein großes Loch, dass immer größer wird und die bedeutende Frage, die alles verändert. Was passiert hier nur mit uns?

Oft frage ich mich, was wir ertragen können. Ich, aber auch ihr, die hier mitlest. Darf oder sollte ich ansprechen, wenn mich der Weltschmerz überkommt? Wissen wir nicht alle genug, dass eine Zeit angebrochen ist, die nach Veränderung schreit? Ich versuche einen Mittelweg zu finden. Etwas zwischen dem emotionalen Text, der Werbung mit Mehrwert und euren Lieblingsthemen. Und versuche den Schmerz, der uns alle in Panik versetzt, außen vor zu lassen. Doch heute, da brauche ich Platz in meinem Kopf, ich muss loswerden, was ich fühle, um mir darüber im Klaren zu werden.

Wenn ich könnte (und ich könnte) würde ich zehn Kinder haben (und zehn Nannys), doch schon bei zwei Kindern frage ich mich, ob es purer Egoismus ist, jetzt noch Kinder haben zu wollen. Etwas, was ich noch vor kurzem belächelte habe… „so ein Blödsinn. Wir brauchen doch neue Menschen. Es muss doch weitergehen“ – habe ich gedacht. Und jetzt kommt immer mehr die Angst in mir hoch, was noch bleibt, was wir ihnen hinterlassen? Ist überhaupt noch etwas für sie da? Dürfen unsere Kinder wohl noch Kinder kriegen? Was passiert, wenn ganz bald vielleicht schon einige Länder unserer Welt nicht mehr bewohnbar sind? Was passiert, wenn das Wasser kommt? Wenn ein Virus nach dem anderen uns lahmlegt? Was passiert mit uns? Mit ihnen?

Doch dann sehe ich Alma dort, im Wohnzimmer, tanzen und ihr Leuchten in den Augen. Sehe, dass aus ihr Lebensfreude strahlt und weiß, dass alles was zählt nur die Liebe ist. Egal, was kommen wird. Was wir noch verhindern können. Alles, an was wir immer denken werden, ist die Liebe. Und das Leben. Denn was bringt schon mein Leben ohne ihr Leben. Ein hin und her in meinem Kopf, ein Gedankenkarusell, dass gar keine Antwort braucht, da es eh keine gibt.

Am nächsten Morgen wache ich auf. Auf mir mein Baby, das ich vor fünf Wochen auf die Welt gebracht habe. Kurz bevor bei uns allen die Stopptaste gedrückt wurde. Er schläft friedlich, wächst, trinkt und gluckst vor sich hin, als wäre alles wie immer. Und genau das ist es, denn für ihn ist heute „immer“. Er kennt nur heute und gestern nur aus dem, was wir ihm beibringen. In diesem Moment wird mir klar, dass unsere Welt nie wieder so sein wird, wie wir sie kannten. Genauso, wie jeder Tag anders aussieht und nie wie der gestrige. Und unsere Kinder wachsen mit dieser Veränderung, wachsen in sie hinein, sind die Veränderung. Unsere Kinder sind die Chance, die unsere Welt hat. Die wir ihnen beibringen müssen und sie müssen all die Besserungen, die wir ihnen vorleben, umsetzen. Alma und Bruno werden nicht wissen, wie es vor Corona war. Und deren Kinder werden nicht wissen, wie es vor der nächsten Katastrophe war. Wir werden uns immer anpassen und müssen alles als Prozess ansehen. Als Prozess für eine bessere Welt, ein schönes Miteinander, für das Leben, das Leben unserer Kinder, für die Gesellschaft, einen gesunden Planeten, einen gesunden Kopf und ein gesundes Herz, für die Liebe.

Also packe ich meinen Weltschmerz in eine Schublade und versuche, nach vorne zu blicken. Es tut weh, anzusehen, dass irgendwie nichts mehr so ist, wie es mal war. Irgendwie ist es ein Abschied, aber nach jedem Abschied, kommt doch ein Neuanfang – oder?