geschrieben von Rosa Koppelmann

Warum stirbt ein Baby? Warum passieren Fehlgeburten und vor allem, warum passiert ausgerechnet mir das? Warum? Diese Frage stellen sich die meisten Frauen, die eine Fehlgeburt erleben, früher oder später. Aber warum eigentlich? Schließlich sind Fehlgeburten doch eigentlich ganz normal! 

Ungefähr jede vierte Schwangerschaft endet frühzeitig in einer Fehlgeburt. In 60-80% der Fälle auf Grund von genetischen Ursachen, die man nicht nachvollziehen kann und die keinen Bezug auf die Gesundheit oder das Verhalten der Mutter haben. Fehlgeburten sind statistisch gesehen also ganz normal und absolut nichts Unübliches. Trotzdem fühlen sich viele Frauen nach einem vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch nicht einfach nur traurig auf Grund des Verlustes, den sie erlitten haben, sondern auch hilflos und allein. 

Da Fehlgeburten immer noch als Tabu-Thema gelten, wird nur selten über die eigenen Erfahrungen gesprochen und so ist so manch eine Mama mit ihren Gefühlen und Gedanken ganz allein – die besten Voraussetzungen, um das Gedankenkarusell zu starten: und zu überlegen, warum passiert ist, was passiert ist. 

Eine Frage auf die die meisten Frauen niemals eine Antwort bekommen

Manche Frauen beschäftigen sich ihr ganzes Leben mit der Frage nach dem „Warum?“ Ich habe für mein Buch „Vertrauen nach Fehlgeburt“ mit über 40 Frauen gesprochen, darunter auch einige, die mit Mitte 20 eine Fehlgeburt hatten und mit Mitte 60 immer noch über das „Warum“ nachdenken.

Nach meiner ersten Fehlgeburt habe ich mir diese Frage auch gestellt. Und zwar, weil alle mich danach gefragt haben! „Was glaubst du, warum ist das passiert? Weil du so viel Stress hattest/Weil du dich vegan ernährst/Weil du noch nicht wieder bereit bist/Weil was mit deinen Hormonen nicht stimmt?“. Nach meiner ersten Fehlgeburt habe ich all diese Fragen noch ernst genommen und mich immer wieder gefragt: was stimmt nicht mit mir? Was habe ICH falsch gemacht? Und das Fragen und Kopfzerbrechen hat mich immer tiefer in meinen Frust hineingezogen. Bei meiner zweiten Fehlgeburt kam meine Hebamme zur Stillen Geburt zu mir nach Hause. Als ich ihr dir Tür öffnete (weinend und mit Wehen) nahm sie mich in den Arm und das erste, was sie sagte, war: „Es gibt keinen Grund!“. Mit diesem einen Satz ist so unendlich viel Last von mir abgefallen. Es gibt keinen Grund. Es ist einfach. Es ist einfach wie es ist. Es ist normal. Es passiert. Mit diesem Satz, den sie mir sagte, fiel alles von mir ab.

Du trägst keine Schuld

Natürlich ist eine Fehlgeburt dennoch immer eine traurige Angelegenheit: Wir freuen uns auf ein kleines Baby, auf einen neuen Menschen, auf ein Familienmitglied, auf unsere neue Rolle als Mutter, auf alles, was wir gemeinsam mit diesem Menschen erleben werden – und dann wird uns all das wieder genommen. Das ist sehr traurig. Und es ist richtig und wichtig darüber zu trauern. Aber wir brauchen uns nicht noch mehr runterziehen, indem wir einen Schuldigen suchen. Manchmal gibt es ganz einfach keinen Schuldigen und alles, was uns bleibt ist es, anzunehmen und zu akzeptieren, was ist. Die Suche nach einem Schuldigen feuert unser Leid immer weiter an. Anstatt, dass wir es annehmen und somit auch loslassen können, stochern wir weiter und weiter in der Wunde, so dass sie niemals verheilen kann. Sie eitert jahrelang vor sich hin und blutet sogar immer mal wieder, jedes Mal, wenn wir uns fragen „Lag es daran, dass ich diese schwere Kiste getragen habe?“. Nein, es lag nicht an der schweren Kiste, aber auch ganz abgesehen davon – du kannst es nicht mehr ändern. Und du trägst keine Schuld!

Du kannst die Zeit nicht zurückdrehen und du kannst nicht ungeschehen machen, was passiert ist, aber du kannst jeden Tag neu anfangen. Und es wird der Tag kommen, an dem du akzeptieren kannst, dass alles genauso passiert ist, wie es passiert es. Es wird der Tag kommen, an dem du erkennst, dass es okay ist, so wie es passiert ist. Es wird der Tag kommen, an dem du denkst: „ach, all das hätte ich nicht erlebt, gelesen, gemacht, wenn es anders gekommen wäre – vielleicht ist es ja sogar ganz gut so, wie es passiert ist“. Und es braucht keine Antwort auf die Warum-Frage, damit dieser Tag kommen kann. Es braucht gar keine Antworten. Es braucht nur deine Bereitschaft, weiter zu leben und zu dem zu vergeben, was war.

In meinem Buch „Vertrauen nach Fehlgeburt“ gehe ich noch ausführlicher auf die Warum-Frage ein, schreibe aber auch über Themen wie „Partnerschaft und Fehlgeburt“, teile Erfahrungsberichte und teile in der zweiten Hälfte des Buchs verschiedene Tools, die dabei helfen, wieder zurück ins Vertrauen und in die eigene Kraft zu kommen. Denn mein Ziel ist es, dass jede Frau auf der Welt gestärkt – und nicht geschwächt – aus einer Fehlgeburt hervorgeht.