Ein Datum. Eine blöde Aneinanderreihung von Zahlen, die mehr Einfluss auf mich hat, als ich ihr zugestehen möchte. Eingebrannt in meinen Kopf. Eingetragen in den Mutterpass. Eingestellt in der Schwangerschafts-App. Eingetippt in den Computer der Geburtsklinik. Irgendwo vage abgespeichert in den Köpfen meiner Freunde. Fest im Kalender meiner Schwiegermutter.

Dabei habe ich aus den Fehlern meiner ersten Schwangerschaft gelernt und meinem Umfeld einen falschen Stichtag genannt, damit mich niemand mit ungeduldigen Whatsapp-Nachrichten belästigt. Leider habe ich einen riesigen Bauch und jeder denkt, dass ich den süßen Klops doch schon längst rausgepresst haben müsste. Damn you, Stichtag. Ich schleppe neben Baby, Plazenta, erhöhter Blutmenge, Ausfluss und Frust schon genug Ungeduld mit mir herum.

Eine Berechnung, die unberechenbar ist

Was bist du überhaupt für ein Wort: „Entbindungstermin“? Ich entbinde nicht, ich werde nicht entbunden, ich gebäre. Außerdem verwechselt Google „ET“ bei fehlenden Schlagworten konstant mit E.T. dem Außerirdischen.

Nachts im Bett, auf dem Boden die leeren Hüllen des Sodbrennenmittels, wenn kein einziges Auto mehr über das Kopfsteinpflaster vor meinem Fenster brettert, achte ich auf jedes Ziehen. War es ein Ziehen oder das Ziehen? Habe ich Wehen oder wieder Krämpfe von der Verstopfung? Sind das Senkwehen oder Vorwehen? Doch, doch. Es drückt krass nach unten. Ich rüttel meinen Freund an der Schulter. „Hey, ganz vielleicht kommt unser Baby morgen … bitte bring du den Kleinen morgen früh zur Kita“, flüstere ich noch voller Hoffnung in sein Ohr, während mein Kopf eigentlich weiß, dass ich morgen wieder wehenlos auf dem Gymnastikball meine Runden drehen werde.

Der Entbindungstermin ist dabei streng genommen ein Entbindungszeitraum. Nur vier Prozent aller Kinder kommen am vorhergesagten Datum. Der Rest erblickt zwei Wochen vor und nach ET das Licht der Welt. Das sollte auch in die Sprache aufgenommen werden. Wäre es nicht für alle leichter, wenn wir vom „Geburtszeitraum“ sprechen würden und wüssten, dass es sich dabei um vier Wochen handelt? Doch für Ärzte und Bürokratie ist der Stichtag wichtig. Wann werden welche Vorsorgeuntersuchungen gemacht, wie weit ist das Baby entwickelt? Wie viele Krankenhausbetten sind noch frei, wann beginnt der Mutterschutz und damit das Beschäftigungsverbot? Alles beruht dabei auf einer Berechnung, die unberechenbar ist.

Himbeerblätter, Heublumen & Co.

Und dennoch beeinflussen mich die Zahlen, je näher sie rücken: Natürlich trinke ich kannenweise Himbeerblättertee. Natürlich setze ich meinen Arsch auf dampfende Heublumen. Natürlich habe ich ein absurdes Senfmehlfußbad gemacht und bin zur Akupunktur gegangen, weil: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich glaube nicht, dass das alles wirklich die Geburt anstößt. Das Baby kommt, wenn das Baby kommen will. Aber schaden tut es mir ja auch nicht.

Und natürlich stimuliere ich täglich meine Nippel für Oxytocin, steige Treppen seitlich, versuche meinen Damm zu massieren, obwohl mir wirklich nicht klar ist, wie man da schmerzfrei rankommt – ohne dass man die Füße des Babys mitten in der Lunge stecken hat. Auch Sex zur Einleitung haben wir probiert, erfolglos. Ich habe eine Symphysenlockerung, beim Eindringen tat mein Muttermund tierisch weh. Man kann es dem Mann nicht verübeln, wenn er ständig die Erektion verliert, wenn die Partnerin „au, au, au“ jammert oder ihre Wehen-Bauchatmung übt, während er an Genuss denkt. Wir haben seit sechs Monaten nicht miteinander geschlafen, wegen der Symphyse und einem verkürzten Gebärmutterhals, der sich inzwischen durch Magnesium und Schonung wieder stabilisiert hat. Als mein kleiner Sohn mich morgens um ein Stück Käse betrügen wollte, habe ich in der Küche einmal „Don`t fuck with momma“ gesagt. Mein Freund rief lachend aus dem Nebenraum: „Das gilt auch seit einem halben Jahr für Papa!“

Ich muss außerdem zugeben, dass mich das Gewicht des Kindes stresst. Ich verzichte seit Mutterschutz auf Industriezucker und Weizenmehl, damit der Kleine möglichst klein bleibt. Jaa, ich weiß: „Das Gewicht sagt nichts über die Geburt aus“, sagen sie. Aber wenn mir eine Freundin schreibt, dass sie 2900 Gramm rausgepresst hat, frage ich mich schon, wie sich das im Gegensatz zu 4100 Gramm angefühlt haben muss. Die Größe meiner Kackwurst spielt für meinen Po doch auch eine Rolle? Außerdem endete meine erste Geburt in einem Notkaiserschnitt. Mir ist klar, dass Ärzte bei großen Babys sehr nervös werden wegen der Narbe im Uterus. Dieses gottverdammte Datum macht es dann nicht besser. Die Überversorgung, die ständigen Plazentakontrollen. Andererseits: Was für ein Glück, in einem Land zu leben, in dem ich und mein Baby ohne Mehrkosten ständig gecheckt werden, oder nicht?

Dazu wabert im Hintergrund immer die subtile Angst einer Einleitung. Und die Unlust, ab dem ET in Praxen zu hängen, um dann am CTG zu hängen, um dann an den Lippen der Frauenärztin zu hängen.

Ist das Baby schon da?!

Gern gesehen sind auch die gut gemeinten Kommentare: „Genieß doch, dass du nun noch schön netflixen kannst!“ Aber was bringt mir die neue Bridgerton-Staffel, wenn ich nicht mehr liegen kann, wenn mich das Sodbrennen zermürbt und mich der Druck auf die Blase rasend macht? Für mich fühlt es sich an wie eine Grippe. Ja, ich kann im Bett liegen. Aber ich möchte einfach nur meinen fitten Körper zurückhaben.

Heute war es also so weit. Mein ET auf dem Kalenderblatt, mein schleimiges Alien. Meine Schwiegermutter hat allen Ernstes angerufen, um zu fragen, ob wir noch zu dritt sind. Nein, liebe Elke, ich liege natürlich schon seit Tagen mit deinem frisch geschlüpften Enkelkind auf dem Bauch und habe vergessen, dich anzurufen. Argh. Außerdem war ich heute mit einer kinderlosen Freundin frühstücken. Als sie fragte, wann denn der Stichtag ist, und ich murmelte „na heute“, da sind ihre Augen rausgeschossen, als könnte ich das Kind beim nächsten Nieser auf den Café-Fliesen landen lassen. Da musste ich zumindest lächeln.

Während ich diesen Text schreibe, denke ich selber: Puh, atme durch. Entspanne. Aber ich glaube fast, alle werdenden Eltern kennen diese Tage der Ungewissheit im letzten Trimester: diese absurde Erkenntnis, dass die Wehen in der nächsten Stunde oder in den nächsten vier Wochen starten könnten. Eine unbegreifliche Zeitspanne in einer Welt, in der so vieles absehbar ist. Was magisch ist. Und aufwühlend. Und todesnervig. Seit Wochen fege ich Krümel vom Küchenboden weg, die sonst ständige Begleiter sind. ABER, nur für den Fall, dass meine Eltern wegen des zweiten Babys mein erstes Baby heute noch spontan abholen müssen, möchte ich mir nichts anhören zu unserem Schweinestall.

Lieber habe ich es sauber, tappe im Watschelgang zur Bluetooth-Box und spiele laut Rolf Zuckowski ab: Immer nur brüten, brüten, brüten. Das Ei behüten. Wer hält das aus? Ich möchte hier raus. Dann kann ich endlich wieder fliegen, dann wird im Nest mein Baby liegen.

Ja, Baby. Komm endlich zu uns. Dein Nest ist fertig. Wir möchten dir endlich einen Namen geben. Deinen Herzschlag auf unserer Brust spüren, deinen Milchgeruch einatmen, deine winzigen Zehennägel bestaunen. Beim Wickeln die Nase rümpfen und deine Hand halten. Dein Nest ist fertig. Und meine Nerven sind es auch.