Der Vergleich ist der Dieb jeder Freude. Und wir Eltern vergleichen uns nur allzu gern – kein Wunder, dass wir mehr Schuldgefühle mit uns herumtragen als Babysnacks. Spiele ich zu viel am Handy herum? Isst mein Kind zu ungesund? Steige ich zu schnell in den Job ein? Schluss mit den Schuldgefühlen! 

Der DHL-Bote kommt keuchend das Treppenhaus empor. Schweißperlen auf der Stirn, eine FFP2-Maske, die sich hektisch zusammenzieht und wieder aufbläst, ein hochroter Kopf. Synchron mit der Türklingel bimmelt bei jeder Zusendung gleichzeitig mein schlechtes Gewissen. Die Schuldgefühle stolpern zusammen mit dem Paketboten in meine vierte Etage. Altbau. Ich bin sehr gütig mit den Boten. Es gibt immer Trinkgeld, ich biete Getränke und Snacks an, ich laufe teilweise entgegen. Ich gebe wertschätzende Sätze von mir. Ich lege Kuchenstücke auf die Fensterbank. Nur bei mir selber bin ich nicht gütig. Ein Trinkgeld? Pah. Hast du nicht verdient. Du faule Hausfrau. Du genervte Mutter. Du verpeilte Arbeitnehmerin. 

Schuldgefühle sind ein lästiges Gefühl. Sie nagen an einem und versauern den Tag. Schuldgefühle bedeuten nicht, die Schuld zu haben. Besonders Mütter sind dabei empfänglich für Selbstvorwürfe. Me too. Es gibt, glaube ich, keinen Tag, an dem ich kein schlechtes Gewissen meinem Kind gegenüber habe. Wenn ich ihn in der S-Bahn mit Reiswaffeln bei Laune halte, statt kreativ zu spielen – und mit Reiswaffeln meine ich nicht die gesunden Dinkeldinger für Erwachsene, sondern die überteuerten mit Himbeergeschmack aus der Babyabteilung. Wenn ich ihn zu lange in der vollgekackten Windel rumkrabbeln lasse, weil ich mich nun wirklich nicht aufraffen kann, dieses 11-Kilo-Monster auf eine Wickelkommode zu hieven. Wenn ich ihm heimlich gestatte, die Router-Knöpfe zu drücken, was Papa ihm verbietet, einfach aus Faulheit. Ich kann jetzt nicht eingreifen. Ich kann jetzt nicht „Nein!“ sagen. Ich bin müde. Müde von dir, Kind.

Mehr Schuldgefühle als Spucktücher

Vor allem aber plagen mich Schuldgefühle, wenn ich auf dem Boden sitzend, er neben mir spielend, am Handy daddele. Mit null Motivation. Dabei schaue ich immer wieder verzweifelt auf die Uhr. Wie langsam verrinnt die Zeit zwischen 16 und 18 Uhr eigentlich? Der Winter ist der Endgegner. Jede Minute fühlt sich an wie ein ganzes Wochenende. Noch einmal beim Bauernhofbuch die Papptür wegklappen, um zum fünfzigtausendsten Mal den Hund zu entdecken, und ich bastel mir aus den Bauklötzen eine Guillotine. 

Ich habe mehr Schuldgefühle als Spucktücher. „Aber sie sind doch nur so kurz klein!“ Fuck it. Kein Bock jetzt. Ich fühle mich wie eine furchtbare Mutter. Ich schenke meinem Sohn Liebe, Lachen, Quatschkram, Zuneigung – aber eben oft auch einen leeren Blick ins Nichts, durch ihn hindurch. Dazu ploppt immer mal wieder das schlechte Gewissen auf, ob ich zu früh wieder arbeite? Arbeite ich zu viel? Arbeite ich zu lange? Dabei weiß ich, dass die Frau, die mir da mit dem Kinderwagen entgegenkommt, grübelt: Arbeite ich zu wenig? Arbeite ich zu kurz? Nehme ich zu lange Elternzeit? Es ist absurd. 

Zwischen den Feiertagen Ende Dezember hat mein Freund das Kind knapp fünf Tage zu meinen Schwiegereltern mitgenommen. Fünf. Tage. Highlight! Ich lag mit Pfannkuchen im Bett, dazu Sex and the City, um zwischen Fremdscham und Nostalgie zu schwanken. Während ich dalag, im höchsten Glück, dachte ich: Wow. Das sind die schönsten Tage dieses Jahres. Und dazu gesellten sich sofort Schuldgefühle. Wie kann ich die goldene Medaille einer Zeit verleihen, in der mein Kind nicht an meiner Seite ist? Rückblickend muss ich übrigens korrigieren: Der allerschönste Tag war an einem Sommertag als kleine Familie in Florenz. Glücksgefühle hoch Tausend. Aber danach kommen definitiv die kinderfreien Gammeltage.

Klimakrise, Socken und Pokémon

Das schlechte Gewissen ist quasi mit meinem Sohn auf die Welt gekommen. Mein wohl größtes Schuldgefühl ist, ihn gezeugt zu haben. In einer Welt, in der die Arten sterben und voraussichtlich Ressourcenkriege herrschen werden und Fachkräftemangel, Rente und Co. noch zu den kleineren Problemen zählen. Mein Kind, ich liebe dich vom ganzen Herzen, ich habe dich aus purem Egoismus auf diesen überbevölkerten Planeten gezaubert. Als wir unserem Sohn einen skandinavischen Namen aussuchten, dachte ich sogar noch: Ah. Das passt sich gut, wenn wir als Klimaflüchtlinge vor der finnischen Grenze stehen.

Die Schuldgefühle drangen dann im Wochenbett in unseren Alltag – schon beim winzigsten Zweifel, wie man so einen Säugling handelt. Wie viele Omas haben euch gefragt, ob das Baby nicht dickere Socken bräuchte oder ob barfuß die Füßchen nicht frieren? Ich weiß nicht, was die ältere Generation für einen Sockenfetisch hat, aber auch wenn mein Kopf denkt: „Jaja, da rein, da raus…“, bleibt doch immer ein kleiner Funken zurück, der sich fragt, ob ich als frischgebackene Mami nicht gut für mein Kind sorge. 

Und seien wir ehrlich: Die Zweifel hören doch nie ganz auf. Das Kind wird größer. Komplexer. Komplizierter. Feinfühliger. Ein Kind ist kein Pokémon, das sich vorhersehbar entwickelt. Bisasam, Bisaknosp, Bisaflor. Stattdessen: ein undurchdringliches Zickzack und Wirrwarr und wenn man als Elternteil gerade denkt: „Ah ok, so läuft das!“ entwickelt sich der Zwerg wieder ins Ungewisse. Wie wunderschön. Und wie kräfteraubend. Das Familienleben als unbegrenztes Lernfeld.

Mein tiefster Moment

Als Elternteil ist das schlechte Gewissen, meine ich, meist unbegründet. Im normalen Leben dienen Schuldgefühle oft als gesunder Kompass im Brustkorb. Mein düsterster Moment – ich war extrem müde und schlecht gelaunt – ereignete sich an einer Ampel. Im schmuddeligen Herbst stand neben mir eine Dame mit einem winzigen, hässlichen Hund. Sie hatte mir nichts getan. Ich habe einfach gesagt: „Das ist ein wirklich hässlicher Hund“. Ich weiß gar nicht, was mich da geritten hat. Ich war mit den Nerven am Ende und irgendwas musste raus und diese Frau hatte das Pech, neben mir zu stehen. Sie hat nur entsetzt geguckt und konnte gar nichts erwidern. Dann sprang die Ampel schon auf Grün. 

Mein innerer Kompass hat mich tagelang bzw. eher nächtelang gequält. Ich habe dann einen Entschuldigungszettel an die Ampel gehängt und hoffe bis heute, dass Frauchen und ihr Schützling diesen Weg öfter passieren. Ansonsten plagen mich abseits der Kindeserziehung nur minimale Gewissensbisse. Beispielsweise wenn ich die Mutter aus dem Krabbelkurs nicht mehr nach Dates frage, seitdem ich weiß, dass sie in der Freikirche ist. Oder dass ich – nachdem ich meiner Arbeitskollegin sagte, dass sich ihr Typ nie ändern wird und sie ihn abschießen soll – mit einem Sektglas auf ihrer Hochzeit stehe. Cheers! 

Mütter sind wie Paketboten, nur krasser. 

Abseits meiner Mutterrolle komme ich also einigermaßen mit Schuldgefühlen zurecht. Ich möchte nun an mir arbeiten, dass wenn Menschen – egal ob Politiker, Ärzte, Pädagogen, Bekannte oder Werbemacher – mir ins Gewissen reden, nörgeln oder ungefragt Ratschläge geben, ich nicht an meiner Lebensgestaltung zweifle. Es ist eine Last, die nichts bringt. Unnötiger Ballast. Ein schlechtes Gewissen raubt Platz für schöne Erinnerungen. Ich will mich nicht mehr vergleichen. Der Vergleich ist der Dieb der Freude. Ich möchte großzügig mit mir selbst sein. Vor allem aber auch mit anderen Müttern (die Väter klammere ich hier mal aus. Freunde, ihr bekommt auch schon für 5 Minuten Schaukeln genug Applaus aus der Gesellschaft). 

Aber, liebe Mamis, wir loben uns gegenseitig viel zu wenig, oder? Wann habt ihr einer anderen Mutter zuletzt gesagt, dass sie einen heftigen Job macht? Wie stolz ihr seid, dass sie noch nicht die Nerven verloren hat. Wie toll sie den Alltag meistert oder was für ein wunderbares Wesen sie da großgezogen hat. Lasst uns gemeinsam in den Kampf gegen absurde Schuldgefühle ziehen. Denn vielleicht können wir uns gegenseitig so wertschätzen wie ich meinen DHL-Boten. 

Nicht mit Trinkgeld. 

Vielleicht aber mit Snacks. 

Vor allem aber mit einem Haufen Anerkennung.