Vom Vertuschen und Verstecken

Ich bin keine geborene Schauspielerin. Klar, sonst würdet ihr mich wahrscheinlich auf einer der großen Theaterbühnen Deutschlands oder mal in einem ZDF-Spielfilm gesehen habe. Ich kann mich auch nicht gut verstellen und so tun als ob. Und am allerschwersten finde ich es, weltbewegende und unfassbar aufregende Neuigkeiten für mich zu behalten. Genau das habe ich in meiner ersten Schwangerschaft aber fast zwei Monate lang gemacht. Drei meiner engsten Freundinnen waren eingeweiht, allen anderen habe ich es – ganz klassisch – erst nach der zwölften Woche gesagt. All die Fragen, die Unsicherheiten, die Sorgen, die mit einer Schwangerschaft einhergehen, habe ich hauptsächlich mit mir selbst und meinem Partner geteilt.

Trotz der unfassbaren Müdigkeit und Übelkeit, habe ich brav mein Alltagsprogramm abgezogen, war fleißig arbeiten, um mir zwischendurch auf der Toilette mit meinem Pfefferminzöl vor der Nase herumzuwedeln, abends bei einer Geburtstagsparty, obwohl ich am liebsten um 18 Uhr im Bett gelegen hätte und habe versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass Kaffee mich aktuell dermaßen anekelt und ich meine zuvor so wichtige Priorität im Angesicht einer Schwangerschaft aktuell höchst zweitrangig finde. Weil man das eben so macht. Weil man die Tatsache, dass der Körper gerade eine krasse Höchstleistung vollbringt, die Hormone Achterbahn fahren und sich die seltsamsten Begleiterscheinungen zeigen (Übelkeit wegen des Geruchs eines bestimmten Duschgels, permanenter Speichelfluss, unbändige Lust auf Pommes und zwar jetzt sofort und diese noch nie zuvor erlebte bleierne Müdigkeit – hey, alles kann, nichts davon muss sein) eben für sich behält. Sagt wer nochmal?

Vom richtigen Zeitpunkt

Alles zu seiner Zeit. Der richtige Zeitpunkt ist jetzt. Ecosia spuckt mir relativ schnell über 100 mehr oder weniger originelle und vor allem mehr oder weniger inspirierende Zitate zum Thema Zeit aus. Zeit ist so ein diffuses Konstrukt, messbar und gleichzeitig kaum greifbar. Wie lange sich ein Zeitfenster anfühlt und wie langsam die Tage vergehen, wenn man auf den ersten Frauenarzt-Termin oder das hoffentlich positive Ersttrimester-Screening wartet, ist unfassbar. Danach, nach diesem Termin erzähle ich es allen. So mein ganz automatisierter Gedankengang in der ersten Schwangerschaft. Da war mir ganz klar, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die für mich großartigen Neuigkeiten zu verkünden: nach der zwölften Woche.

Aber warum eigentlich? Klar, medizinisch gesehen macht das insofern Sinn, als dass nach der zwölften Woche die Gefahr einer Fehlgeburt signifikant klein ist. Man kann sich also rein mathematisch gesehen relativ sicher sein, dass man ein „lebensfrisches“ Kind (stand so tatsächlich in meinem Geburtsbericht) auf die Welt bringen wird. Die Faktoren Planungssicherheit und Enttäuschungsmanagement sind somit also maßgeblich für den richtigen Zeitpunkt.

Nach der zwölften Woche kann man mit relativ hoher Sicherheit sagen, dass und wann man aus dem Job in den Mutterschutz übergehen wird. Oma und Opa, weitere Familienmitglieder und Freunde können sich freuen. Sie können den errechneten Termin schon mal grob im Kopf behalten und ggf. bei der Planung von großen Feiern, Urlauben oder Ähnlichem berücksichtigen. Und man selbst als werdende Mutter? Man kann sich relativ sicher sein, dass man der zukünftigen Oma, dem zukünftigen Opa, den Freunden, dem Chef und den Arbeitskolleg*innen nicht doch sagen muss, dass man das Kind verloren hat. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schmerzhaft das sein muss. Und ich finde, dass das ein absolut ausreichender Punkt ist, um die Schwangerschaft eben nicht vor der zwölften Woche zu verkünden. 

Vom Faktenschaffen: Ich bin schwanger

Ebenso ausreichend und valide empfinde ich aber alle anderen Punkte, die dafür sprechen, die Schwangerschaft doch vor Ablauf des ersten Trimesters mit der Welt zu teilen. Ich schreibe „Welt“, meine damit aber die eigene kleine Welt, die soziale Blase, die all die engsten Familienmitglieder und Freunde umschließt. Und bei bestimmten Jobs, man denke beispielsweise an Chemikerinnen, Radiologinnen und zu Zeiten der Pandemie an Erzieherinnen, Pflegerinnen, Lehrerinnen, meine ich damit eben auch den oder die Arbeitgeber*in. Ich meine mit Welt deshalb explizit nicht die sozialen Medien und eure 500, 5.000 oder auch 50.000 Abonnent*innen – aber hey, auch hier gilt: Mach bitte, wie du es möchtest.

In den ersten zwölf Wochen geht es meiner Erfahrung nach schwangeren Frauen eigentlich immer am beschissensten. Übelkeit, Müdigkeit, Hormone, die sich einpendeln müssen, ein emotionales Wirrwarr und immer da – präsent oder ganz unterschwellig – die Sorge um den Embryo.

Wäre es da nicht ganz wunderbar, wenn wir uns unserem Umfeld anvertrauen könnten? Der Freundin sagen, dass einem schon alleine bei dem Gedanken an Kaffee übel wird, anstatt dem Treffen mit ihr im Café wochenlang aus dem Weg zu gehen? Wäre es nicht viel einfacher zu sagen, dass man schwanger ist und nicht mit Sekt anstoßen will, anstatt diesen klammheimlich und gestresst (könnte ja jemand sehen) nach dem Anstoßen auf das Geburtstagskind in die Topfpflanze zu gießen? Und wäre es nicht ganz wunderbar, wenn wir uns in diesen Wochen der Frühschwangerschaft einfach nur unserer Müdigkeit und den ganzen anderen negativen Begleiterscheinungen hingeben können und dafür auch noch vollstes Verständnis und vor allem Unterstützung erfahren?

Spoiler: Es ist unfassbar gut.

Ich sag’s jetzt mal, wie es ist: Ich werde umsorgt und tatsächlich ein bisschen verhätschelt. Ich bekomme Päckchen mit Ingwersaft und Knäckebrot gesendet. Eine liebevolle Freundin geht des Öfteren für mich einkaufen. Oma und Opa schauen besonders oft nach Kind Nummer 1. Und niemand nimmt es mir krumm, wenn ich nach 18 Uhr nur noch auf dem Sofa liegen will oder abends mit meinem Sohn ins Bett gehe. Ich bin unfassbar froh und dankbar, dass ich in diesen ersten Wochen – in denen man meiner Meinung nach Unterstützung besonders gut gebrauchen kann – diese auch bekomme. Weil alle in meinem engsten Umfeld Bescheid wissen.

Immer dabei: Die unterschwellige Sorge

Bei all der Unterstützung und dem Verständnis, das mir nun schon entgegengebracht wird, gibt es natürlich auch einen Haken: die unterschwellige Sorge, dass sich der Embryo wider Erwarten nicht weiter entwickelt und ich doch eine Fehlgeburt erleide. Diese Sorge schwingt immer mit. Die schwang aber auch mit, als ich in meiner ersten Schwangerschaft so gut wie niemandem etwas gesagt habe. Ich habe diese negative Gedankenspirale (Was, wenn schon so viele davon wissen und die Schwangerschaft entwickelt sich nicht wie erhofft? Was, wenn ich allen sagen muss, dass ich das Kind verloren habe?) für mich so aufgelöst: Meine kleine soziale Blase soll wissen, wie es mir geht. Meine engsten Freunde und Familienmitglieder sollen es wissen, falls es mir schlecht geht aufgrund einer Fehlgeburt. Ich kann mich dann auf ihre Unterstützung, ihre Empathie und eine Extraportion Liebe verlassen. Das funktioniert für mich und vielleicht auch für dich? 

Und wenn mich die Sorge und der Zweifel doch überrennen, dann erinnere ich mich immer wieder an einen Satz aus Philippa Perrys Buch „The Book you Wish your Parents Had Read and your Children will be Glad that You Did“ – absolute Empfehlung übrigens. Die Autorin nennt ihn im Kapitel „Die Schwangerschaft“ und lautet: „Bei allem, was unsere Kinder betrifft, ist eine optimistische Grundhaltung nötig.“ Und so gebe ich mein Bestes und versuche, optimistisch zu sein. Optimistisch davon auszugehen, dass dieses Kind, auf das ich mich freue und das ich nun schon diversen Menschen angekündigt habe, bleibt und auf die Welt kommen wird.