Jeder hat seine Schulzeit sehr individuell in Erinnerung – die einen positiv und entspannt, die anderen anstrengend und anspruchsvoll. Wieder andere haben es gehasst, täglich sozialem sowie Leistungsdruck ausgesetzt zu sein. Ich fand Schule super. Jeden Tag mit den Freunden verbringen, viel Freizeit (zugegeben ich habe selten Hausaufgaben gemacht) und mit vermeintlich schlauen Sprüchen im Unterricht die verpatzte Arbeit wettmachen. Gerne hätte ich noch etwas länger die Vorzüge des Schüler*innen-Daseins genossen. Doch ein Modellversuch hat meine Schulzeit von dreizehn auf zwölf Jahre verkürzt.
Was bedeutet G8?
Zwischen 2009 und 2015 wurde in fast allen Bundesländern in Deutschland die reguläre Schulzeit bis zum Abitur von dreizehn Jahren auf zwölf verkürzt. Also statt sechs Jahre Mittelstufe und drei Jahre Oberstufe (G9), fünf Jahre Mittelstufe und drei Jahre Oberstufe (G8). Diese Schulreform hatte vor allem wirtschaftliche Gründe und wurde unter anderem von der Bertelsmann-Stiftung unterstützt. Die Argumentation für eine verkürzte Schulzeit hat ihren Ursprung darin, dass Schüler*innen in Deutschland im internationalen Vergleich besonders lange die Schule besuchen. Außerdem erhoffte die Politik sich dadurch, dass die Abiturient*innen auch ihre Berufsausbildung ein Jahr eher abschließen würden und dementsprechend auch früher Steuern und Sozialabgaben an den Staat zahlen müssen. Diese Maßnahme wurde auch im Hinblick auf die Altersstruktur in Deutschland beschlossen – viele Rentner, zu wenig junge, arbeitende Leute.
Aufstand der Eltern
Einschulung 2004, Abitur 2016. Ich erinnere mich, dass viele Eltern meiner Mitschüler*innen sich über die Umstände, die G8 mit sich brachte, beschwert haben. Viele Hausaufgaben (für die man bei richtiger Ausführung mehrere Stunden braucht), ständig Nachmittagsunterricht und ein extrem vollgepackter Lehrplan. Unsere Eltern hatten oft das Gefühl, dass relevanter Stoff mehr angeschnitten, als durchdrungen wurde. Ich habe das alles irgendwie gar nicht so wahrgenommen. Klar, Sport in der 10./11. Stunde (bis 17:30 Uhr) am Freitag war nervig, aber was muss das muss. Ich erinnere mich allerdings schon, dass meine ehrgeizigeren Klassenkamerad*innen auch oft erzählten, dass sie bis spät abends gelernt und an den Hausaufgaben gearbeitet hatten. Damals habe ich gedacht: „selber Schuld“, heute frage ich mich, warum wir Schüler*innen zum Experiment der Politik geworden sind.
Der aktuelle Stand
Bis vor Kurzem dachte ich, dass G8 schon nach drei Jahren wieder abgeschafft wurde. Stimmt gar nicht! In Bayern hat man sich beispielsweise dafür entschieden, G8 bis 2024 endgültig abzuschaffen. In Niedersachsen hat man dem Modellversuch bereits 2019 den Rücken gekehrt. Im Stadtstaat Hamburg gilt G8 an Gymnasien und G9 an sogenannten Stadtteilschulen. Im Bundesland Hessen hat die Politik den Schulen die Wahl gelassen, ob sie G8 oder G9 anbieten – hier hat man sich mehrheitlich für G9 entschieden.
Über Sinn und Unsinn
Aus dem einfachen Grund, dass die Mehrheit der Schulen und Bundesländer wieder neun Jahre am Gymnasium anbietet und das Turboabitur gestrichen wurde, würde ich behaupten, dass der Modellversuch kläglich gescheitert ist. Wobei nicht ganz – verschiedene Studien haben gezeigt, dass Schüler*innen beider Modelle in Naturwissenschaften fast gleichauf sind. Lediglich die Sprachkenntnisse der G8er haben unter dem Speed-Lehrplan gelitten. Und das Sitzenbleiben kommt beim verkürzten Modell wesentlich öfter vor – also dann doch dreizehn Jahre Schule.