Partnerschaft Kind

Lieber guter Weihnachtsmann,

ich habe einen sehnlichsten Wunsch für dieses Jahr. Kein Lastenrad, keine bezahlbare Miete, kein Garten in der Großstadt, sondern etwas viel kostbareres. Eine Rarität. Bin ich zu früh dran, wenn ich meinen Wunsch schon Mitte November den Wichteln mitgebe? Ich hoffe nicht, schließlich sollst du bis Heiligabend Zeit haben. Ich denke mit. Ich denke voraus. Ganz anders: Mein Partner.

Er würde dir seine Wünsche am 23.12. um 23:59 mitteilen, aber auch nur, weil ich ihn daran erinnere. Oder realistischer: Er würde am 25.12. nochmal eine lieblose Whatsapp (ohne Emojis!) schicken: „Sorry, Weihnachtsmann. Kann ich noch Wünsche einreichen?“. Oh Santa, bitte schenke ihm Feenstaub oder irgendetwas anderes, dass ich ihm heimlich ins Gesicht streuen kann, damit er endlich aktiv mitdenkt. All I want for christmas.

Ich bin in der 38.Woche schwanger mit unserem ersten Kind, meine Kugel schiebe ich watschelnd vor mir her – wenn mir auch nur ein Stift auf den Boden fällt, ist er gestorben für mich. Tssss. Ich nehme nur für einzelne Kostbarkeiten wie mein Ladekabel die Bürde auf mich, in die Hocke zu gehen. Ich habe das aussortierte Keyboard aus meiner Jugend also nicht ohne Grund in den Flur gelegt, damit es jemand in den Keller bringt. Ich kann es einfach nicht mehr vier Etagen runter schleppen. Vor 8 Tagen habe ich meinen Freund gebeten, das doch bitte zu übernehmen. Seit 8 Tagen liegt es im Flur. Seit 8 Tagen geht er jeden Morgen kackfrech daran vorbei. Die Kellertür passiert er übrigens täglich auf dem Weg zur Arbeit – aber hey, wie trällert der Wendler so schön? „Egal!“

Mir ist das nicht egal. Ich möchte ihn aber auch nicht noch ein drittes Mal daran erinnern, ich bin immerhin nicht seine Mutter. Oder doch? Schließlich bleiben fast alle Aufgaben liegen, wenn ich ihn nicht darauf hinweise. Magst du Deine Socken aus der Stube mitnehmen? Schmeißt Du auch mal eine Wäsche in die Maschine? Magst du Dir nochmal meine Fahrradbremse angucken? Denkst Du daran, dass deine Nichte heute eingeschult wird? Ja, natürlich habe ich auch schon mal versucht, einfach nichts zu sagen. Vielleicht denkt er dann von alleine mit, weil er sich nicht mehr auf mich verlässt. Die Auswertung meiner Fallstudie hat ergeben: Pustekuchen. Ich fahre mit defekten Fahrradbremsen über den Asphalt und die kleine Lina wartet nach ihrer Einschulung vergebens auf einen Anruf von ihrem geliebten Onkel.

Auch wenn nichts im Leben in eine Schublade passen sollte und jede Regel eine Ausnahme hat, so habe ich doch das Gefühl, dass die Frauen in meinem Umfeld effizienter sind. Wenn wir von A nach D gehen, erledigen wir auf dem Weg auch noch B und C. Der Mann geht A-D. Dann A-B. Und nach einer höflichen Erinnerung nochmal A-C. Dabei gibt es so viele Dinge, die mich verdattert zurücklassen. Wie zum Beispiel der Dialog vorletzte Woche, der sich (ohne Witz!) so bei uns zugetragen hat.

Er: „Ach, weißt du was, ich hab mit Philipp telefoniert. Er ist Papa geworden!“

Ich: „Oh, wie süß!! Was ist es und wie ist der Name?“

Er: „Puh, keine Ahnung. Darüber haben wir irgendwie gar nicht geredet“

….

Was! Zur! Hölle!

Für diesen Artikel hier habe ich Freundinnen und Bekannte anonym gefragt, was so der Klassiker bei Ihren Männern ist, bei denen Sie tief durchatmen müssen. Here we go:

  • Mann benutzt den letzten Geschirrspültab aus der Packung, kauft aber keine neue. (Beliebig auswechselbar mit Klopapier, Müllbeuteln, Seife, Lebensmitteln.)
  • Mann zieht Socken genüsslich im Wohnzimmer aus und lässt sie dort liegen. Tagelang. 
  • Mann kümmert sich nicht um Urlaub. Würde die Partnerin nicht nerven, Vorschläge machen, Angebote recherchieren,  würde man niemals durch Florenz schlendern oder am Lagerfeuer in Norwegen sitzen
  • Mann möchte Partnerin überraschen, indem er endlich den Baum im Garten absägt. Er ist sehr stolz und klopft sich auf die Schulter, lässt dann aber Baumstamm, Säge und Äste einfach liegen. Partnerin muss nach einiger Zeit alles wegräumen. 
  • Mann dackelt zwar fleißig zu allen Verabredungen mit, vereinbart aber selber keine Termine. Würde die Frau nicht Dates mit befreundeten Pärchen vereinbaren, würden die beiden laut Partnerin anscheinend vereinsamen.
  • Mann räumt nie die Küche auf. Als Freundin sagt, er möge die Küche auch mal aufräumen, beschwert er sich über den Ton. Man könne ja auch nett bitten: „Ich würde mir wünschen, dass du auch mal die Küche aufräumst“. Partnerin fragt sich, warum sie überhaupt bitten muss, die gemeinsame Küche aufzuräumen. Schlimm genug, dass er es nie von alleine  macht.  
  • Mann verlässt sich bei jedem Ausflug auf die Partnerin, dass sie Bahn/Autostrecke/Zeit vorher einplant und hat dann nie Bargeld für den Bus dabei.
  • Freundin stellt Partner Papiermüll (schon extra vorbereitet in einer Papiertüte sorgfältig gefaltet) vor die Tür. Er bringt ihn nicht weg. Auf Nachfrage antwortet er: „Achso, ich dachte das brauchst du noch zum Basteln“ 
  • Mann besorgt nie die Geschenke für Verwandte oder Freunde. Wenn er es doch tun soll, mault er tagelange rum, dass er nicht weiß, was man schenken könnte
  • Mann möchte weniger Plastik verbrauchen und kauft alles nur noch in Glas. Vorbildlich. Bringt dann aber den Glasmüll nie runter.

Puh. In einigen Beispielen finde ich meinen Liebsten jetzt schon wieder. Himmelherrgott, wie soll das erst mit einem Kind werden? 

Ich brauche einen Partner auf Augenhöhe, nicht noch ein Wesen, was ich betütern muss. Anderes Beispiel: Von unserer „Baby-to-do-Liste“ habe ich schon den Großteil übernommen. Aus Erfahrung. Ich weiß: Mach es fix selber, oder es dauert ewig bzw. wird halbherzig umgesetzt. Um Aufgaben auszulagern habe ich ihm gütig den Punkt „Thermometer“ zugeschoben, sprich: Er soll sich informieren, ob wir ein Po-, Ohr- oder Infrarotthermometer brauchen. Diese glanzvolle Aufgabe hat vier Monate gedauert, mit dem Ende vom Lied: „Süße, diese ganzen Bewertungen im Internet verwirren mich. Ich kann mich nicht entscheiden“.

Ey, Junge. Glaubst du, Kitaauswahl, Kinderwagenmodelle oder Impfempfehlungen verwirren mich nicht? Du hast schon „nur“ das Thermometer abbekommen.

In solchen Momenten frage ich mich immer wieder, ob das in den Genen liegt, an der Erziehung des Elternhauses oder der Gesellschaft. Oder ein Mix aus allen dreien.

Dabei war ich früher das chaotische Kind. Das verpeilte Nesthäkchen unserer Familie. Ich hasse Organisation, ich finde Verantwortung nervig (ja, gute Einstellung für eine werdende Mama). Ich frage mich, wie ich in unserer Beziehung plötzlich in diese Rolle gerutscht bin? Es ist ohne Zweifel extremer geworden, seit das kleine Plus auf dem Schwangerschaftsstreifen erschienen ist. 

Bin ich gerade dabei direkt in die sogenannte „Mental Load-Falle“ zu stolpern? Mental Load beschreibt als Überbegriff dabei die organisatorische und geistige Last, die jemand tragen muss, um Haushalt und Familienbetrieb am Laufen zu halten. Quasi das Mitdenken. Das Grübeln. Das „Auf-dem-Schirm-haben“. Oder benennen wir es ganz klar: Den Extrascheiss. Und bei den meisten Paaren und Familien ist klar, wer diese Rolle trägt: Tada, die Frauen. 

Wie viele Männer kennt Ihr, die genau wissen, wann der nächste Vorsorgetermin für das Kind ansteht? Welche Schuhgröße die Kleinen überhaupt tragen und dass – immerhin naht der Winter – vorsorglich ein neues Paar gekauft werden muss? Wie viele Männer fallen Euch ein, die bei Kindergeburtstagen auf dem Schirm haben, welches Mitbringsel besorgt werden muss, wo das Kind hinkommen soll und sich mit den anderen Elternpaaren gegebenenfalls abstimmt? Obwohl oft beide arbeiten, trägt die Frau die mentale Last als extra Gepäck. Egal wie emanzipiert ein Pärchen  vorher gelebt hat, mit den Kindern bleiben in den meisten Fällen mehr Sachen bei ihrhängen. Oft endet die Illusion der Gleichberechtigung mit der Geburt des ersten Kindes.

Ich stehe also bereits mit einem Bein in der Mental-Load-Falle. Eigentlich dachte ich immer, wir sind zumindest einigermaßen fortschrittlich. Wir gehen in Elternzeit Plus: Von den 16 Monaten Betreuung ist der Papa 10 Monate gemeinsam mit mir am Start, wir gehen beide 50% in Teilzeit. Ich habe das Gefühl, er möchte sich wirklich einbringen, Verantwortung für sein Kind übernehmen. Dann sehe ich wieder das Keyboard in der Ecke und zweifle.

Ich habe keine Lust mehr auf tausendfünfzigmillionen Post-Its, die in meinem Kopf herum schweben. Mitdenken ist eine Zusatzlast, die ich nicht länger tragen will. Sie muss auf beide Schultern verteilt werden. Normalerweise würde ich hier einen versöhnlichen Absatz tippen, denn ich liebe meinen Partner über alles. Ich möchte nicht garstig sein, er ist so ein liebenswerter Mensch. Oft ruft er mich zum Essen, dann gibt es aufwändige Leckereien wie selbstgebackenes Brot mit Auberginen-Walnuss-Paste und Rotkohlsalat. Dann denke ich: Ach, ich habe es doch gut. Beschwer Dich nicht, Alina.  

Beschwerde muss trotzdem eingereicht werden. Gegen mich selber. 

Lieber Weihnachtsmann, ich befreie Dich hiermit von meinem Wunsch. Das ist nicht mehr Dein Verantwortungsbereich. Steig Du auf Deinen Schlitten, gib Rudolph einen Klapps auf den Po und kümmere Dich um die wichtigen Geschenke. Ich gebe mir selber einen Klapps und will versuchen, mich künftig gerade zu machen. Das Ungleichgewicht anzusprechen. Mich nicht in die Rolle des An-Alles-Denkers zu ergeben. Aufgaben sichtbar zu machen und klarer zu verteilen. Meine Befürchtungen zu kommunizieren. Und Geduld zeigen, wenn es mal wieder nicht so schnell geht, als wenn ich es selber anpacke. 

Als letzte Amtshandlung habe ich heute übrigens in der Drogerie ein Thermometer gekauft. Es ist ein billiges für den Po. 

So, und ab jetzt: Neuanfang!