Teil 1
Wir sprechen diesen Monat über erfolgreiche Frauen. Aber wie nehmen wir diese eigentlich wahr?
Studien haben herausgefunden, dass Frauen immer weniger gemocht werden, je erfolgreicher sie werden. Wenn der Erfolg steigt, sinkt die Sympathie. Bei Männern ist es übrigens genau anders herum. Die Rapperin Nicki Minhaj hat diese Doppelmoral passend zusammengefasst: “When I am assertive, I’m a bitch. When a man is assertive, he’s a boss.”
Doch woran liegt das? Neid? Bestimmt. Angst? Kann sein. Veraltete Rollenbilder? Sicherlich. Diese diskriminierende Haltung betrifft — unabhängig vom beruflichen Erfolg — alle Frauen auf verschiedene Weise. Und es nennt sich internalisierte Misogynie.
Internalisierte Misogynie
Misogynie – ein großes, aber wichtiges Wort. Es gibt zwei konkrete Arten von Misogynie: Die erste wird als krankhafter Frauenhass oder auch Verachtung von Frauen bezeichnet und ist offensichtlicher zu erkennen. Die andere ist subtiler: Dabei handelt es sich um eine Herabwürdigung von allem, was als typisch weiblich angesehen wird. Das Wort ‘internalisiert’ bedeutet so viel wie ‘verinnerlicht,’ es sind Denk- und Verhaltensweisen, die so tief in uns verankert sind, dass wir sie meist nicht bemerken oder hinterfragen.
Und: Nicht nur Männer sind das Problem. Es sind nicht nur Männer, die Frauen nicht ernst nehmen. Denn: Surprise! Frauen können selbst auch sexistisch und unsolidarisch anderen Frauen gegenüber sein, sie abwerten und nicht respektieren. Es gibt unzählige Erwartungen und Normen, an die sich Frauen schon von Kindesbeinen an anpassen oder anpassen sollen. Und alle, die es nicht tun, werden verurteilt.
Warum sehen wir erfolgreiche Frauen gerne scheitern?
Erfolg geht oft mit Sichtbarkeit einher. Wir hören mehr Geschichten über den außerordentlichen Erfolg von einigen Menschen als den regulären Alltag von anderen. Ein Paradebeispiel dafür sind Celebrities. Und gerade die Wahrnehmung von berühmten (sprich: erfolgreichen) Frauen zeigt unsere Faszination mit sowohl Erfolg als auch Versagen (was auch immer das sein mag). Und das Scheitern an der Erfüllung von gesellschaftlichen Idealen kann harte Folgen haben.
Die Misshandlung und manipulierte Wahrnehmung von Britney Spears in den Medien zur Zeit ihres mentalen Zusammenbruchs 2007 wird immer mehr Menschen bewusst. Die Unmengen an Geld, die Paparazzi und Boulevardzeitschriften an der privaten Krise der Sängerin verdienten, wurden damals nicht kritisiert – nur Spears selbst. Weil der Druck und die Erwartungen, die auf ihr lasteten, zu viel wurden. Weil sie nicht perfekt war. Weil sie menschlich ist.
Und sie war nicht die erste. Das mediale Augenmerk auf berühmte Frauen war schon immer groß und die Toleranz für einen Mangel an Perfektion sehr klein. Von Marilyn Monroe bis zu Prinzessin Diana. Von Amy Winehouse bis zu Meghan Markle. Während Skandale berühmter Männer meist nach kurzer Zeit verschwinden, werden die der weiblichen Stars lange ausgeschlachtet.
Das Wrack
Bereits im Kindesalter werden Erwartungen und feste Rahmenbedingungen dafür etabliert, was Frauen tun und lassen sollen. Dadurch entsteht eine Art selbsternannter Berechtigung aller, das Leben und die Entscheidungen von Frauen zu verurteilen. In einer von Männern geführten Gesellschaft gibt es diese Regeln und Erwartungen kaum für Männer. Mit Ausnahme von denen, die Randgruppen angehören, dürfen sich Männer Skandale erlauben und haben oft mehr Macht über das mediale Narrativ.
Die Autorin des Buches Trainwreck: The Women We Love to Hate, Mock, and Fear… and Why, Sady Doyle, kam zu folgendem Schluss bezüglich weiblicher Sichtbarkeit: “We’ve got women whose whole job is to be heard and seen. And, as long as they also live out impossible female ideals, we sort of permit them to exist. That way, they’re useful, as something that other women can aspire to and fail to become. But if they’re remotely unruly, if they’re flawed, if they’re in any way recognizably human, all of our discomfort with female visibility comes to the surface, and we pour gallons of derision on them… It’s a way to make sure female visibility doesn’t translate to female power, and it’s a way to keep everyday women aware that there is danger in being seen.”
“Ich bin nicht so wie die anderen”
“Ich hab so etwas ja nicht nötig.” “Ich bin nicht so eine.” Mit derartigen Aussagen versuchen sich Frauen über andere Frauen hinwegzuheben, sich als etwas Besseres darzustellen. Wir machen andere runter, um selbst besser auszusehen. Es ist ja irgendwie verständlich als eine Art Überlebensstrategie, um mitzuhalten. Aber okay ist es nicht.
Lasst uns alle, besonders Frauen, mal in uns gehen und uns fragen: “Habe ich eine innere Frauenhasserin? Verleugne ich Weiblichkeit?” Wie so oft ist die Erkenntnis der erste Schritt zur Besserung.
Internalisierte Misogynie realisiert sich auf verschiedene Weise: Wenn wir zum Beispiel Frauen dafür verurteilen, dass sie viele wechselnde Geschlechtspartner*innen haben und frei ihre Sexualität ausleben. Wenn wir Frauen dafür verurteilen, wie sie sich kleiden – ob zu freizügig oder zu prüde. Wenn wir Frauen dafür verurteilen, was für eine Arbeit sie ausüben, zum Beispiel als Model, Sexarbeiterin oder auch Influencerin. In ihrem Song “Stupid Girls” aus dem Jahre 2006 singt Pink: “What happened to the dreams of a girl president. She’s dancing in the video next to 50 Cent.” Zu der Zeit waren derartige Texte gang und gäbe und wurden nicht so sexistisch gesehen wie heute. (Nichts gegen Pink übrigens, Hammer Frau, die Zeiten waren einfach anders.)
Männliches Zocken und weibliches Ballett
Viele von uns hatten bestimmt mal eine Phase, in der wir die Farbe Pink vermieden haben, weil sie zu “mädchenhaft“ ist – als ob das etwas Schlechtes sei. Jeder hat das Recht, bestimmte Dinge, Hobbys oder auch Farben nicht zu mögen, aber wenn die einzige Intention dahinter ist, Weiblichkeit zu vermeiden? Mmh…
Schon mal drüber nachgedacht, dass “männliche” Hobbys oft als cool gelten und mehr respektiert werden, während “weibliche” Hobbies unbedeutend oder albern sind? Und im Fall, dass sich Mädchen und Frauen an diesen männlichen Hobbys versuchen, wird ihnen unterstellt, dass nur für die Aufmerksamkeit der männlichen Mitstreiter zu tun. Wie werden Frauen wahrgenommen, die es lieben, zu zocken oder zu skateboarden? Oder Männer, die Ballett tanzen oder Make-Up mögen?
Und an die Leute, die behaupten, dass diese Haltung nichts mit Geschlechtern zu tun hätte: Wieso hat Männerfußball dann diesen unverhältnismäßigen, millionenschweren Status in Deutschland, während Frauenfußball belächelt und nicht verfolgt wird? Es ist ein und dieselbe Sportart.
Was ist Erfolg?
Wenn wir von Erfolg sprechen, meinen wir oft beruflichen Erfolg in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft: Geld, Status, Anerkennung. Aber, jetzt mal ehrlich, was ist überhaupt Erfolg? Erfolg kann bedeuten, die Miete bezahlen zu können. An manchen Tagen kann Erfolg sein, es aus dem Bett zu schaffen. Ein Puzzle fertigzustellen. Gesundheit ist Erfolg. Überleben ist Erfolg. Erfolg ist, den Salto zu landen. Erfolg ist, die nervige Steuererklärung endlich abzuschicken. Liebe ist Erfolg. Erfolg ist Glücklichsein. Und letztendlich: Erfolg lässt sich nicht von außen, sondern nur von innen definieren.
Aber weil wir soziale Wesen sind, ist Anerkennung für unsere Arbeit und unseren Erfolg einfach wichtig für unser Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Auch im Privaten möchte niemand für seine oder ihre Entscheidungen – ob Kinderkriegen oder nicht, ob knappe Shorts oder Rollkragenpullover – verurteilt werden. Und das ist auch wirklich nicht zu viel verlangt.