Eine Geburt ist eine außergewöhnliche Leistung des Körpers. Gleichzeitig wird sie als das Natürlichste der Welt angesehen und durchschnittlich werden beinahe fünf Babys pro Sekunde überall auf der Welt geboren! Die Umstände und Traditionen, die Geburten umgeben, weichen durch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse stark voneinander ab. Wir möchten euch einige davon näherbringen.

Nigeria

„Omugwo“ ist die Bezeichnung für postpartale Pflege in diesem westafrikanischen Land. Ein wichtiger Bestandteil ist das erste Bad des Babys durch die Großmutter oder ein anderes weibliches Familienmitglied. Es ist ein Symbol dafür, dass die Mutter in der Kindeserziehung nicht alleine ist, sondern dass die Gemeinschaft immer da sein wird, um ihr zu helfen. 

Außerdem werden Neugeborene mehrfach gesegnet – Mädchen am siebten und Jungs am neunten Tag: Wasser gegen Feinde und Feindinnen, Palmöl für ein stressfreies Leben, eine Kolanuss für ein langes und wohlhabendes Leben und Salz und Pfeffer, damit es trotzdem aufregend und spannend bleibt.

Japan

Japanische Frauen beabsichtigen eine möglichst leise Geburt ohne Schmerzmittel. Im Buddhismus glaubt man, der Geburtsschmerz müsse ausgehalten werden, um sich für die Herausforderungen der Mutterschaft vorzubereiten. Eine Ansicht, die zunehmend als veraltet angesehen wird, doch noch verweigern die meisten Japanerinnen eine Schmerzbekämpfung. Väter sind im Kreißsaal nur erlaubt, wenn sie einen Geburtsvorbereitungskurs mit der Mutter gemacht haben. Jedoch nicht, falls es zu einem Kaiserschnitt kommt. 

Die Nabelschnur wird gesäubert und in einem Kästchen aufbewahrt – als Symbol für eine lebenslange Bindung zwischen Mutter und Kind. Und nicht nur das: Nach der Geburt bleiben beide 21 Tage im Bett, um ihre Bindung aufzubauen, und verlassen erst nach einem Monat das Haus. Währenddessen helfen Familienmitglieder mit der Hausarbeit. Bei Besuch von Verwandten und Freund*innen gibt es das traditionelle Gericht „osekihan“ – roter Reis mit roten Bohnen.

Fun Fact: In Japan gibt es „nakizumo“ – Wettbewerbe, bei denen das Baby gewinnt, das zuerst weint. Denn Babys, die laut und oft weinen, sollen gesünder sein und schneller wachsen.

Sicherste Geburten

Laut UNICEF ist Japan eines der sichersten Länder, um ein Kind zu bekommen mit einer Säuglingssterberate von 0,18 Prozent. Außerdem gibt es ein „Schwangerschafts-Abzeichen“, mit dem Schwangere privilegiert in der Öffentlichkeit behandelt werden. Ein paar weitere der sichersten Länder, um zu gebären, sind Island (0,16 Prozent), Slowenien (0,17 Prozent), Estland (0,19 Prozent), Norwegen (0,20 Prozent) und Singapur (0,21 Prozent). Außerdem: Finnland (0,19 Prozent), und dort gibt es noch eine Besonderheit…

Finnland

In Finnland bekommen alle werdenden Eltern, auch Adoptiveltern, vom Staat ein Mutterschaftspaket, die sogenannte „Baby Box“ oder „äitiyspakkaus“. Darin finden sie eine Babyausstattung für das erste Lebensjahr – Kleidung, Windeln, Bettwäsche, Lätzchen und einen Verbandskasten. Die Box selbst kann auch als Krippe verwendet werden. Diese Tradition wurde in den 1930er Jahren eingeführt, um allen Babys einen gleichberechtigten Start ins Leben zu gewähren. Zu Beginn war sie nur für einkommensschwache Familien gedacht, doch seit 1949 ist sie allen Familien zugänglich. Stattdessen kann auch ein Geldzuschuss gewählt werden, welcher jedoch weniger wert ist. Die meisten bleiben deshalb bei der Baby Box.

Brasilien

Brasilien ist das Land der Kaiserschnitte. 2017 lag die Kaiserschnittrate in staatlichen Krankenhäusern bei 55,8 Prozent und in privaten sogar bei bis zu 100 Prozent (WHO). (Die von der WHO empfohlene Kaiserschnittrate liegt übrigens bei 10 Prozent.) Als Grund werden finanzielle Einflüsse gesehen: Durch Kaiserschnitte bekommen Ärzt*innen höhere Zahlungen von Versicherungen, und Krankenhäuser profitieren mehr von den längeren Krankenhausaufenthalten in Folge von Kaiserschnitten. Der relativ schnelle Eingriff von circa 60 Minuten im Vergleich zu der Dauer einer nicht planbaren, natürlichen Geburt, ermöglicht die Behandlung mehrerer Patient*innen in derselben Zeit. Außerdem erhalten werdende Eltern beinahe alle Informationen über die Geburt von Ärzt*innen anstatt von Hebammen oder in Geburtsvorbereitungskursen. Und wenn diese einen Kaiserschnitt empfehlen, lassen sich viele davon beeinflussen.

Während in anderen Ländern die neue Familie beschenkt wird, ist es in Brasilien so, dass auch die Gäste etwas bekommen. Meist sind es Kleinigkeiten, wie Süßwaren, Souvenirs und Parfümflaschen mit einer Dankbarkeitsnachricht vom Baby. Neugeborene tragen rote Farben, da die Farbe Glück bringen und böse Geister fernhalten sollen.

Inuit

In dieser Kultur werden die meisten Schwangeren von Hebammen („Kisuliuq” oder „Sanariak“) unterstützt – Frauen aus der Gemeinde, die bereits bei vielen Geburten dabei waren. Geburten werden bei den Inuits als eine ruhige und friedliche Angelegenheit gesehen – die Geburtshelferinnen flüstern ihre Anweisungen den Gebärenden zu. Oft wird von Frauen erwartet, dass sie ihrer täglichen Arbeit so lange nachgehen, bis die Wehen eintreten, und, dass sie den Geburtsschmerz ohne Hilfe von Schmerzmitteln aushalten.

Die Namensgebung ist sehr wichtig: Inuits glauben, dass Neugeborene weinen, weil sie noch keinen Namen haben. Wenn ein Mensch verstirbt, irrt sein Name so lange umher, bis ein Säugling diesen erhält. Nach dem Glauben werden so auch bestimmte Eigenschaften der Seele übergeben.

Comanche

Das indigene Volk der Comanchen lebt aufgeteilt zwischen den US-Staaten New Mexico und Colorado. Frauen der Gemeinschaft hocken sich während den Geburtswehen über heiße Steine. Die Hitze soll den Schmerz lindern und außerdem dabei helfen, den Damm zu dehnen.

Türkei

Noch vor 30 Jahren betreuten größtenteils Hebammen Geburten in der Türkei, da es nicht viele Ärzt*innen gab, besonders in ländlichen Gegenden. Durch den Ausbau von medizinischen Schulen, übernehmen dies immer mehr Gynäkolog*innen. Gleichzeitig steigt auch die Vorliebe für selektive Kaiserschnitte: Die Türkei hat inzwischen eine der höchsten Raten der Welt mit über 50 Prozent. Nur wenige türkische Anästhesiolog*innen sind in geburtshilflicher Anästhesie ausgebildet und können eine Epiduralanästhesie durchführen. Deswegen entscheiden sich viele Gebärende für einen Kaiserschnitt, der unter Allgemeinanästhesie stattfindet. Es wird aber angenommen, dass diese Prozedur zu der hohen Müttersterblichkeitsrate im Land führt (17 von 100.000). Ärztliche Weiterbildungen zur Geburtshilfe sollen diese Krise bewältigen.

In der Türkei trinkt die neue Mutter zur Feier des Babys und um den Milchfluss zu fördern ein traditionelles Getränk namens „lohusa serbeti“ – eine „postnatale Brause“ aus Wasser, Zucker, Nelken, Zimt und roter Lebensmittelfarbe. Nach der Geburt bleiben die Mutter und das Baby 20 Tage zu Hause und empfangen Besuch ebenfalls mit lohusa serbeti. Danach besuchen sie Freund*innen und Verwandte und bekommen kleine Geschenke: Taschentücher voller Süßigkeiten (für ein gutmütiges Baby) und Eier (für ein gesundes). Außerdem reiben sie die Augenbrauen und den Haaransatz des Babys mit Mehl ein – für ein langes Leben.

Indonesien

Hier werden Babys wie auf Händen getragen – wortwörtlich dürfen sie die ersten 105 Tage nach der Geburt nicht den Boden berühren. So wird der Kontakt mit Dämonen vermieden. Denn sie werden als göttliche Wesen angesehen, die vom Himmel abgestiegen sind. Das Ende dieser Zeit symbolisiert ihren Übergang zu unserem irdischen Reich, welcher groß gefeiert wird.

In diesem Land ist es Tradition, die Plazenta zu waschen und mit einem Teil der Nabelschnur und Blut von der Geburt in einen Behälter zu tun, mit weißem Stoff zu umwickeln und vor dem Heim zu vergraben. Es wird angenommen, dass die Plazenta lebendig und eine Art Zwilling zum neugeborenen Baby ist.

Die Plazenta

Die Plazenta hat in einigen Kulturen eine Bedeutung, wird aber stets anders interpretiert. In Jamaica wird sie ebenfalls zusammen mit der Nabelschnur begraben. Doch daneben wird zusätzlich ein Baum gepflanzt, der dazu dient, dem Kind die Wichtigkeit von Verantwortung beizubringen, da es sich später um den Baum kümmern soll.

Im südamerikanischem Land Guyana hingegen wird die Plazenta verbrannt, um die physische Trennung von Mutter und Kind zu symbolisieren.

Die Niederlande

Willkommen im Land der Hausgeburten: Circa 30 Prozent aller Geburten finden hier im Eigenheim statt. Alle werdenden Mütter bekommen ein „kraampakket”, ein Paket mit allen medizinischen Notwendigkeiten für eine Hausgeburt. Die meisten Schwangeren in den Niederlanden werden von Hebammen betreut. (Frauen-)Ärzt*innen greifen nur in riskanten Fällen oder bei Komplikationen während der Entbindung ein.

Auch wenn die Geburt in einem Krankenhaus stattfinden soll, untersucht eine Hebamme, wie der Geburtsvorgang voranschreitet und bestimmt die ideale Zeit, ins Krankenhaus zu gehen. Dort angekommen ist es unwahrscheinlich, dass Frauen eine Epiduralanästhesie bekommen, denn es dominiert das Ideal der natürlichen Geburten.

Wenn Mutter und Baby nach Hause kommen, unterstützt sie für sieben Tage ein*e Pfleger*in. Diese helfen bei medizinischer Pflege, im Haushalt und in grundsätzlichen Erziehungsfragen. Außerdem organisiert diese Person den Besuch von Familie und Freund*innen und bereitet einen traditionellen Snack zur Feier der Geburt vor: „Beschuit met muisjes” – Keks mit Mäusen. Die Mäuse sind kleine Lakritzstücke mit blau-weißer Glasur für Jungs und rosa-weißer Glasur für Mädchen. Um die Geburt zu verkünden, stellen die Eltern einen Stofftierstorch ins Fenster.

Mexiko

Ein solidarischer Brauch in Mexiko erinnert an den Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“: Der werdende Vater bindet sich eine Schnur um die Hoden, an dem die Frau bei starken Schmerzen während der Entbindung ziehen darf. Außerdem bleiben während der Geburt alle Fenster und Türen geschlossen, um keine bösen Geister hineinzulassen. 

In Mexiko gibt es einen traditionellen gewebten Schal namens „Rebozo“, der vielseitig eingesetzt wird – unter anderem als Kopftuch, aber auch während und nach der Geburt. Geburtspartner*innen setzen ihn ein, um das Gewicht der Gebärenden zu unterstützen und sie in eine optimale Geburtslage zu bringen. Eine Technik, die „Sieben“ genannt wird, soll die Beckenmuskulatur entspannen und beim Geburtsprozess helfen. Rebozos werden dank ihrer Popularität immer mehr in anderen Ländern eingesetzt.

Ägypten

Bauchtanz dient nicht nur zur Unterhaltung. So schön es auch anzusehen ist und so viel Spaß es macht: Die Wurzeln des Tanzes liegen im Ritual- beziehungsweise Geburtstanz. Der Tanz von Frauen für Frauen sollte mit bestimmten Bewegungen das Weiblich-Göttliche ehren. Während der Geburt unterstützt Bauchtanz die Gebärende durch das sanfte Schaukeln und Schwingen des Beckens. Diese Erleichterung wird außerdem von den ausgeschütteten Endorphinen durch die Bewegung verstärkt. Bewegung ist auch in westlichen Ländern einer der ersten Ratschläge, wenn der Geburtsvorgang stagniert. Und immer mehr Frauen laufen nicht mehr nur noch einen Gang auf und ab, sondern tanzen sich in die Wehen.

Deutschland

Ein Kontrast, besonders im Vergleich mit Ländern, die eine hohe Kaiserschnittrate haben, wie die Türkei, Brasilien und die USA: In Deutschland liegt der Fokus stark auf der natürlichen Geburt. Folglich werden (auch notwendige) Kaiserschnitte hierzulande oft (leider) als Versagen hinsichtlich des natürlichen Phänomens der Geburt wahrgenommen. 

Übrigens: Die deutsche Bürokratie macht vor der Geburt natürlich nicht Halt. Und viele Länder sind fasziniert davon, dass es in Deutschland eine offizielle Liste von akzeptablen Namen für Kinder gibt. Diese dient der Verhinderung von Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber abstrusen Namen – grenzwertige Namen können verteidigt und anerkannt werden, jedoch verläuft dies nicht immer erfolgreich. Also nichts mit North, X Æ A-Xii und Apple.