Gott sei Dank.
Bin ich erfolgreich? Ich weiß nicht. Sind meine Freunde erfolgreich? Das weiß ich. Definitiv! Sie ziehen sogar in einem Affentempo an mir vorbei, eine Beförderung scheint auf die nächste zu folgen. Gehaltserhöhungen, mehr Verantwortung, mehr Fame. Kohle für Hauseigentum. Kohle für Umzugsunternehmen, während ich mit Knieproblemen und Schweiß auf der Stirn meine Kartons in den vierten Stock selber schleppe. Kohle für Haushaltshilfen (geil!).
Meine Freunde sind so erfolgreich, dass ich neben ihnen wirke wie ein alter IC während des Bahnstreiks: einfach stehengeblieben. Niemand sagt es mir ins Gesicht, aber ich glaube, dass sie denken, dass ich auch erfolgreich sein will. Und das stimmt absolut nicht! Ich bin sowieso der Meinung, dass wenn ich wirklich wollen würde, ich easy sehr erfolgreich sein könnte. Ich bescheidene Mademoiselle. Aber ich will nicht. Ich bin erfolglos glücklich.
Schildkröten mit Herpes
Eine Bekannte im Freundeskreis hat gerade einen neuen Job in Berlin bei Google ergattert, im Pressebereich. Das interessiert mich als gelernte Journalistin sehr, wobei ich mich eigentlich nie als Journalistin betitel. Journalisten recherchieren krasse Scheiße und decken in meinen Augen Missstände auf – ich mache im TV unter anderem Beiträge über Schildkröten, die Herpes haben (true story!). Zwar auch über die Ministerpräsidentenkonferenz, über Kioskkultur in Großstädten oder den Dieselskandal, aber eben auch über Tiere, die am „Tag der Wassermelone“ eben… Wassermelone fressen.
Die Bekannte erzählt mir also begeistert, dass sie eine neue Stelle hat und dass Google ihr 85.000 Euro jährlich zahlt. Mein erster Gedanke: Oah geil, sie macht bestimmt eine 50 Prozent-Stelle daraus, hat voll viel Freizeit und verdient so viel wie ich in Vollzeit. Hammer. Aber das ist nur in meiner Welt so. „Nein! Auf keinen Fall! Wie soll ich mit reduzierten Stunden Karriere machen?“
Dann lieber weniger Verantwortung und mehr Pilzesammeln im Wald
Im Leben gehen Prioritäten auseinander. So ergeht es mir oft, wenn mir Freunde von ihren Erfolgen erzählen. Ich bin dabei wirklich und ernsthaft stolz auf meine Freunde. Mein Kumpel ist für zwei Jahre nach Japan gegangen, um für Mazda als Soundingenieur (die designen quasi den Motorsound im Innenraum des Autos, weil die Motoren heutzutage schon so leise sind, aber der Fahrer möchte eher, dass es sich mächtig anhört) zu arbeiten. Mein erster Gedanke: zwei Jahre? Dann verpasst er ja zweimal Weihnachten mit seiner Familie.
Eine andere Freundin arbeitet als Entwicklungshelferin und schreibt ihren Doktor. Während ich also die Herpesschildkröte filme, reist sie durch Ruanda und erforscht, wann sich die Installation von Elektrizität lohnt. Mein erster Gedanke: ein Doktor? Ich fand es schon anstrengend, die richtige Seitenzahl meiner Bachelorarbeit in Word zu formatieren.
Mein Cousin wiederum ist als Unternehmensberater aufgestiegen. Er gehört nun zu den Spitzenverdienern. Mein erster Gedanke: Kann er nachts wohl noch schlafen, wenn wegen seiner Berechnungen Menschen ihren Job verlieren? Das passiert in meiner Klischee-Schublade eines Unternehmensberaters. Seine Jobbeschreibung lautet: Angestellte kündigen.
Dabei denke ich immer an den berühmten Satz aus Spiderman: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ Hm. Nä. Dann lieber weniger Verantwortung und mehr Pilzesammeln im Wald.
Ich würde auch unbezahlt arbeiten
Obwohl ich in den Augen meines Umfelds übrigens nicht sonderlich erfolgreich wirke, fühle ich mich nicht komplett erfolgslos. Erfolg hat viele Gesichter: Wenn ich das goldene Schutzpapier des Nutellas entferne, ohne dass es einreißt. Wenn ich an der roten Ampel so lange in Zeitlupe Fahrrad fahre, fast umkippe und dann pünktlich zum Grün wieder losrasen kann, ohne abgestiegen zu sein. Wenn ich die Wäsche einsortiere und zu jeder Socke ihren Partner finde. Oder wenn ich mich nach einer schier endlosen Suche durch Streamingdienste mit meinem Freund einige, auf welchen Film wir beide Lust haben. Außerdem bin ich eine sehr erfolgreiche Hotelfachfrau – mein Insektenhotel am Balkon ist bis auf das letzte Schilfrohr ausgebucht.
Aber jetzt mal im Ernst: Obwohl ich keine Personalverantwortung habe und keinen fancy Titel auf der Visitenkarten trage, bin ich dennoch erfolgreich. Denn ich liebe meine Arbeit so sehr, dass ich sie auch ohne Bezahlung machen würde. Ohne Witz. Meine Redaktion könnte mich im Urlaub anrufen und ich würde unentgeltlich – einfach aus Lust an der Freude – einen Beitrag drehen. Ich kann außerdem abends stolz in den Spiegel schauen, denn meinen Beruf empfinde ich als sinnstiftend. Ich kann mir genug Zeit freischaufeln, um Dienstag Mittag im Kanu durch die Alsterkanäle zu paddeln. Für Außenstehende mag das unambitioniert klingen, für mich ist es das Nonplusultra.
Sowieso empfinde ich den Ehrgeiz der anderen oft als Abturner. Ein Streben nach Erfolg ist auch immer ein Streben nach Anerkennung. Ein Geltungsbedürfnis. Ehrgeiz hat für mich komischerweise immer etwas Egoistisches. Unsympathisches. Ich teile die Werte nicht, die mit Ehrgeiz verbunden sind. Ich verstehe nicht, warum Menschen so viel Energie in ihre Karriere stecken.
Fiesta statt Maserati
Wenn mein Onkel auf dem Familienfest sagt: „Der Max, der ist ein Macher!“, denke ich: Ja, der macht sich kaputt. Ich habe mir deshalb angewöhnt, die Bremse für meine Freunde zu drücken, wenn sie mal wieder zu viel aufs Gaspedal drücken. Ich zwinge sie zu verlängerten Wochenenden mit billigem Fusel oder rede ihnen ins Gewissen, endlich die Überstunden einzureichen. Denn was bei vielen auf der Strecke bleibt, wenn sie mit ihren Maseratis auf der Überholspur sind, ist die Gesundheit. Und die ist so viel wertvoller als jeder Kontostand.
Ich habe in diesem Sinne festgestellt:
Ich bin für mein Umfeld nicht nur die, die nie befördert wird.
Die nie zu Auslandsprojekten reist.
Die nie einen krassen Gehaltssprung macht.
Die nie einen eigenen Wikipedia-Eintrag als Journalistin haben wird.
Ich bin auch die, die wahrscheinlich nie ein Burnout haben wird.
Und das ist es mir wert. Die Maseratis ziehen zu lassen und gemütlich im alten Fiesta auf der rechten Spur zu tuckern. Die nächste Ausfahrt mit geilem Essen wartet bestimmt.