Waldkindergarten

 

 

„Lass uns in den Wald gehen, Alma!“ „Nein, Mama! Lieber Straße.“ Der Dialog zwischen mir und meiner Tochter, der wirklich ziemlich aussagekräftig wäre, wenn man ihn so stehen lassen würde. Das werde ich aber nicht tun und euch heute erzählen, wie es Alma und in zweiter Linie auch uns damit geht, dass sie nun ein Waldkindergartenkind ist. Denn seitdem hat sich hier einiges verändert. Ob positiv oder negativ, lest ihr jetzt…

Seit Alma 13 Monate alt ist, geht sie in die Kita – bis Oktober ging sie in eine typische „Stadtkita“ in Altona. Von Anfang an war dieser Schritt für sie einfach nur großartig. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem sie nicht gerne in die Betreuung gegangen ist. Doch wir sind umgezogen. Von Altona weg – ab aufs Land. Eine Veränderung, die wir noch nie bereut haben. Aber es gab Zeiten, in denen ich mich gefragt habe, ob diese Entscheidung für Alma das richtige war, denn die ersten Monate musste sie pendeln. Ein zweijähriges Kind, dass jeden Tag 1,5 Stunden im Auto saß, um die Kita zu besuchen, war alles andere als optimal. Doch wir haben hier auf dem Land einfach keinen Betreuungsplatz bekommen – noch weniger als in Altona. Also musste es notgedrungen so funktionieren, denn wir arbeiten beide und auch Alma hätte es ganz ohne Kita nicht gefallen. Aber auch hier muss ich sagen, dass von Almas Seite nie ein Meckern kam, nie ein Gefühl, von „mir ist das zu viel“. Aber mir, ihrer Mama, war es zu viel für sie, daher haben wir alles, wirklich alles probiert, um schnell einen Platz in unserer Nähe zu bekommen. Ob nun Waldkindergarten oder nicht, war uns primär egal. Hauptsache, nicht mehr so weit weg. 

Und dann, etwa ein halbes Jahr nachdem wir umgezogen sind, kam endlich der erlösende Anruf. Wir haben einen neuen Kitaplatz! In einem Waldkindergarten, in dem wir uns auf die Warteliste haben schreiben lassen. Wahnsinn! Ich sagte sofort zu – alles ist besser, als dieses Autofahren und schaute mir die Kita ein paar Tage später an. Aber eher, um direkt den Vertrag mitzunehmen. 

Waldkindergärten sind übrigens keine Seltenheit. Allein bei uns im Umkreis gibt es über fünfzehn Waldkindergärten, in vielen Kitas in Hamburg gibt es Waldkindergartengruppen und die Anzahl nimmt stetig zu. Kein Wunder, denn das Konzept ist wirklich toll. Wie der Name schon sagt, sind die Kinder im Waldkindergarten die meiste Zeit draußen, draußen im Wald. Je nach Alter, Einrichtung und Erzieher variiert die Zeit, die die Kinder schlussendlich wirklich im Wald sind. Bei uns ist es der halbe Tag. Bis zum Mittagessen verbringen die Kinder also ihre Stunden zwischen Matsch, Blättern und in frischer Luft. Wobei die frische Luft natürlich am wichtigsten ist, denn egal bei welchem Wetter: die Kinder sind immer draußen! Erleben die Jahreszeiten mit allen Sinnen. Bei Regen, Schnee, Hochsommer oder an frischen Frühlingsmorgenen wird im Waldkindergarten draußen gespielt. Frei gespielt. Denn es gibt (in den meisten) Waldkindergärten kein Spielzeug. Die Kinder entdecken die Natur, werden von den Erziehern geleitet und durch den Wald geführt. An (vorher präparierten und vom Förster abgesegneten) Plätzen wird jeden Tag ein neues Abenteuer begonnen, obwohl die Rituale immer gleich bleiben. Im Sitzkreis wird gefrühstückt und gesungen – auch bei Regen. Danach werden Käfer gesucht, Blätter gezählt, in Matschepfützen gesprungen. Mit Stöckern werden Tipis oder Wippen gebaut. Ein paar wenige Schaufeln helfen das Laub umzugraben und zu entdecken, was die Natur für einen bereit hält. Dabei müssen wir Eltern natürlich ein paar Regeln beachten: die Kinder bekommen keinen Müll in den Rucksack. Also alles in der Brotbox muss ausgepackt sein. Außerdem und der vielleicht wichtigste Punkt im Wald ist, dass die Kleinen gut angezogen sind. Die Kleidung ist wirklich ausschlaggebend, ob es für alle entspannt bleibt, denn nur ein trockenes Kind ist ein glückliches Kind im Wald. Genauso wichtig ist aber auch die richtige Kleidung im Sommer, wenn man auf Insektenstiche und Zecken achten muss. Hier muss jedem klar sein: ein Waldkindergarten ist nicht unbedingt ein günstiger Spaß. Durch die ganze Ausrüstung, die Schneeanzüge, Wollkleidung, Trackingschuhe kommt schon ein kleines Vermögen zusammen, besonders dann, wenn man es stressfreier haben möchte und alles in zweifacher Ausführung zuhause hat. Denn ein durchnässter, verschlammter Schneeanzug braucht schon mal einen Tag, um wieder sauber zu werden. 

Nach einem Spaziergang sind die Kinder dann meistens sehr kaputt und freuen sich auf ein Mittagessen. Auch hier handhabt es jeder Kindergarten anders. Manche Waldkindergärten haben einen Bauwagen, manche ein Haus, manche gar nichts. Doch Mittagessen gibt es in jedem und so auch bei uns. Nach dem Essen wird geschlafen und auch der Mittagsschlaf findet bei uns überdacht statt. Danach ist der Kitatag dann meist schon vorbei, denn im Waldkindergarten ticken die Uhren ein wenig anders. Die Tage sind kürzer, dafür intensiver und die Kids nach so viel Bewegung und Abenteuer auch ziemlich erledigt. Für uns perfekt, da ich den Nachmittag gerne mit meiner Tochter zusammen verbringe. 

Alma musste sich erst ein wenig daran gewöhnen, nicht den ganzen Tag in einem Raum voller Spielzeug zu sitzen. Was aber nicht heißt, dass es ihr nicht sofort gefallen hat, es war nur ungewohnt. Sie hat nicht verstanden, warum man bei Regen vor die Tür geht, denn ehrlich gesagt kennt sie Waldspaziergänge bei schlechtem Wetter von uns nicht. Umso besser finde ich es, dass sie kein „schön-Wetter-Kind“ wird und ich trotzdem nachmittags nicht zwangsläufig in die Gummistiefel springen muss. Unsere Eingewöhnung hat nur wenige Tage gedauert und alles lief am Schnürchen. Ein gutes Zeichen war das für mich, die sich nach der Kitabesichtigung dann doch ein paar Gedanken gemacht hatte. 

Denn mir war nicht klar, wie mein Kind es finden wird, nass zu werden, im Dreck zu spielen, immer in Bewegung sein zu müssen. Ich habe an meine Kindheit gedacht und mir nicht vorstellen können, dass ich es gut gefunden hätte, den ganzen Tag im Wald zu sein. Doch Almas Papa war sofort dafür und hat jegliche negativen Argumente von mir entkräftet. Er wollte unbedingt, dass Alma ein Waldkindergartenkind wird und somit haben wir das Experiment gestartet. 

Nun ist sie seit drei Monaten im Wald und unglaublich glücklich darüber. Jeden Tag freut sie sich, zu ihrer Gruppe zu wackeln – im dicken Schneeanzug. Sie winkt mir beim Abschied und erzählt mir, was sie heute für einen Stock oder Stein für mich suchen wird. Wenn ich mich umdrehe und gehe, ruft sie nur zurück „bis bald Mama“ und ich erwidere „Ja, bis gleich Alma!“ Wenn ich sie abhole, läuft sie barfuß auf mich zu, und drückt mich ganz feste, frisch aus ihrer Kuschelhöhle geschlüpft, ist noch ganz wackelig auf den Beinen und die Wangen sind noch immer ganz rot. Dann zeigt sie mir ihre Schätze, manchmal ist auch ein gemaltes Bild dabei, das noch nach dem Mittagessen gestaltet wurde. 

Ich freue mich immer, sie ganz nah zu halten, denn sie riecht jedes Mal wunderbar gut nach frischem Laub oder Feuer, das sie an einem abgelegenen Ort gelegentlich zusammen machen. Und je älter sie wird, desto mehr Geschichten erzählt sie mir von ihrem spannenden Tag im Wald. Zuhause angekommen, ist es dann aber auch gut mit frischer Luft. Selten möchte sie dann nochmal los, geschweige denn in den Wald. Sie ist dann froh, mit mir in ihrem Zimmer zu spielen, ihre Autos fahren zu lassen, ihre Puppen zu wickeln oder Duploschlößer zu bauen. Wenn sie ganz kaputt ist kuscheln wir uns zusammen aufs Sofa und lesen ein Buch oder gucken eine Folge ihrer Lieblingsserie, trinken dabei einen Kakao und genießen die gemeinsamen Stunden. Also das komplette Kontrastprogramm zu ihrem Kitaalltag, der zwar so entschleunigt und doch so voller Abenteuer ist. 

Ja, der Waldkindergarten bedeutet Entschleunigung und das in allen Bereichen. Denn im Einklang mit der Natur erfinden die Kleinen sich jeden Tag neu, die Fantasie wird angeregt und es gibt trotz des fehlenden Spielzeugs kaum Langeweile. Die Kinder vergessen Raum und Zeit und geben sich der Natur hin. Für uns Eltern ist ein Waldkindergarten aus einem anderen Grund noch sehr von Vorteil, denn durch die frische Luft und die fehlenden engen Räume verbreiten sich Krankheiten nicht so schnell bis gar nicht. So hatte Alma die kompletten letzten Monate nicht einen Infekt und ist ziemlich abgehärtet. 

Natürlich ist es anders. Natürlich ist es ein komplett anderer Alltag als in einem normalen Kindergarten. Ich sagte schon, dass man viel Equipment braucht, die Waschmaschine läuft öfter und wenn das Kind mit dem Auto abgeholt wird, seid euch sicher:  Euer Auto sieht immer aus wie Sau. Aber was zählt das alles, wenn man in die glücklichen Augen seines Kindes sieht, dass fern ab von Konsum und Überreizung die Welt mit ganz klaren Blick sieht?

Stimmt: gar nichts! Also kann ich hiermit nur abschließend resümieren: Nach drei Monaten Waldkindergarten können wir ganz klar sagen, dass es die beste Entscheidung war, unser Kind in den Wald zu schicken.