Zitronenbaby

 

 

Die Geschichte vom Zitronenbaby fing ziemlich spannend an. Eine Geschichte, die ihr noch nicht kennt. Weil sie kurios ist. Weil sie kaum zu glauben ist. Weil sie eventuell falsch verstanden wird. Und doch ist sie eigentlich die schönste Geschichte, die ich erzählen kann. Eine Geschichte, die erzählt, dass es Menschen gibt, die dir einfach nur das Allerbeste wünschen und damit mehr Träume in Erfüllung  gehen lassen, als sie sich selber hätten vorstellen können. Aber von vorne:

Das Wunder passierte am vorletzten Tag. Ein Tag zuvor hatten wir wirklich zu viel getrunken. Aber es war nicht so, als wäre das nicht gewollt. Es war schön – schön mal wieder beschwipst zu sein. Lustig war es, mit meiner Mama und meiner Oma auf der Terrasse dieses kleinen, feinen Strandrestaurants, welches mittags besonders die Gäste der Yachten bekocht, so viel Wein zu trinken, bis wir wirklich nicht mehr konnten. Unvernünftig viel, wenn man weiß, dass man noch zum Hotel kommen muss, auf dem Weg von zig Einheimischen, die man kennt, einen Limoncello ausgegeben bekommt und im Hotel das Abendessen auf einen wartet. Aber manchmal, ja besonders dann, wenn man sich eine Auszeit vom Mamadasein nimmt, muss man auch einfach mal wieder unvernünftig sein. Und das Schöne ist, dass ich das am besten mit genau diesen zwei Frauen kann. Genau hier auf Ischia. Der Ort, an dem ich quasi aufgewachsen bin – auf jeden Fall im Herzen. Der Ort, von dem ich die schönsten Erinnerungen aus meiner Kindheit habe und der jedes Mal wieder dieses warme Gefühl in mir auslöst. Wir Frauen wussten, dass wir dieses Jahr wieder hier hin müssen, wo es doch letztes Jahr schon nicht geklappt hat. Und so haben wir kurzerhand diesen Trip geplant. Vier Tage, nur wir drei auf unserer Insel.

Fröhlich, ausgelassen und beschwipst erreichten wir das Hotel und beschlossen, dass wir – um das Abendessen noch mitzubekommen – jetzt wirklich nicht aufs Zimmer dürften, denn dann würden wir einschlafen. Also setzten wir uns auf die bequemen Loungemöbel des Hotels, bestellten eine weitere Flasche Wein und redeten lautstark über lustiges Zeug. So lange, bis ein Paar ziemlich energisch auf uns zugelaufen kam. Schon bevor es etwas sagen konnte, entschuldigte ich mich bei ihnen für unsere Lautstärke. Ich konnte ja nicht wissen, dass es denen mit dem Wein in den letzten Stunden genauso ergangen war wie uns. Und so wuchs unsere Runde schlagartig um zwei weitere Menschen. Ein nettes Paar aus Köln, Ende Fünfzig, super lustig und genauso fröhlich wie wir. Wir hatten einen super Abend, der ohne Abendessen endete, da wir so Oliven, Brot und Mozzarella zu unserem Wein aßen, dass da wirklich kein Platz mehr war für ein vier-Gänge-Menü.

Am nächsten Tag – dem besagten Tag  ­– wachte ich mit Kopfschmerzen auf und tauchte meinen Schädel erstmal in eiskaltes Wasser. Heute ließen wir es langsamer angehen und ich verzichtete komplett auf Wein, was beim Mittagessen für fragende Blicke bei meiner Großmutter sorgte. „Kind, dir geht’s wirklich nicht gut?“

Am Abend gingen wir in eine kleine Pizzeria und ließen danach den Abend an der Bar des Hotels ausklingen. Ich war jedoch seit Stunden ziemlich unruhig, weil ich versuchte einen Zug zu finden, der mich am nächsten Tag von Düsseldorf nach Hamburg bringen könnte. Eigentlich keine schwere Aufgabe. Doch genau an diesem Tag passte gar nichts. Unser Flugzeug sollte erst abends landen und es gab keine Zugverbindungen, die mich in weniger als 6 Stunden nach Hause gebracht hätte.  Ich wäre erst weit nach Mitternacht im Norden von Hamburg angekommen. Total geschlaucht und nach 4x umsteigen und einer teuren Taxifahrt.  Wir hatten beim Buchen der Flüge nicht darüber nachgedacht, dass es für mich viel einfacher gewesen wäre, direkt nach Hamburg zu fliegen. Also saßen wir am Ende alle zusammen in einer Maschine.

Also unser letzter Abend war für mich nicht nur nüchtern, sondern auch ein wenig frustrierend. Denn egal wie schön es auf Ischia ist: Ich freute mich nach den Tagen natürlich total auf meine Tochter und meinen Mann, der abends gerne auf mich gewartet hätte. Einerseits, weil er mich total vermisst hat, anderseits, weil wir spaßig gesagt haben, dass es für uns, in diesem Monat, nur diese eine Nacht gibt, in der wir an einem Geschwisterchen arbeiten könnten, denn der Zyklus ist nun mal so, wie er ist – und im Mai fast komplett auf meine Ischia-Auszeit gefallen. Nun ja… an diesem Abend sah es für mich fast so aus, als ob ich noch mal eine Nacht mit nach Dortmund fahren muss, um dann am nächsten Tag von dort aus nach Hamburg zu starten.

Trotz meiner gedrückten Stimmung an diesem letzten – eigentlich so schönem Abend – genossen wir den Sonnenuntergang auf der Lounge, die uns gestern schon so einen schönen Abend bereitete. Auflachen mussten wir, als sich auf einmal das Paar von gestern, (ihr wisst schon: die lustigen Kölner) dazugesellten und wir in der alten Runde zusammensaßen. Nach kurzer Zeit fragte mich der Mann, warum ich so bedrückt bin und ich erklärte ihm, dass ich leider keinen Zug bekomme, der mich morgen zu meiner Familie bringen könnte. Er guckt mich kurz schief an und sagte dann prompt, dass er dafür eine Lösung hätte. Ich dachte natürlich, dass er mich veralbert und lachte verwirrt in die Runde. Bis ich checkte, dass er wirklich jemanden anrief. Nach wenigen Sekunden antworte er laut und fröhlich „Hallo Ralle! Schuldige, dass ich dich so spät störe. Aber ich habe hier einen Job für dich… Ich habe hier ein sehr nettes Mädel kennengelernt, die morgen unbedingt gegen Abend vom Düsseldorfer Airport nach Hamburg gebracht werden muss. Es ist wichtig! Sie muss zu ihrer kleinen Tochter. Holst du sie bitte morgen Abend ab? Und mach das Auto davor richtig sauber.“

Am anderen Ende des Telefons antworte jemand kurz und knapp und das Telefonat war beendet. Der Mann guckte mich an und nickte kräftig. Ich saß dort, mit offenem Mund und wusste nicht, wie mir geschieht. Wie? Jetzt habe ich morgen einen Chauffeur, der mich nach Hamburg bringt? Ist das peinlich! Ist das cool! Dass kann nur ein Scherz sein?

Doch es war kein Scherz. Das nette Paar, das wir am Vorabend kennengelernt hatten, hatte mir ohne jegliche Gegenleistung zu verlangen, ohne Hintergedanken, aus purer Nettigkeit und voller Großzügigkeit einen Fahrer bestellt, der mich über vier Stunden hochbringen sollte und danach direkt wieder nach Düsseldorf fährt. Sein Name war Ralle.

Ein Tag später holte mich Ralle am vereinbarten Treffpunkt ab. Ich bin aus dem Gebäude des Airports gelaufen und vor mir stand eine dicke Limousine, aus der dieser sympathische ältere Herr ausstiegt, der mir meinen Platz mit Massagelehne zeigte und mir eine Flasche Wasser reichte. Ich dachte, ich bin im Film – „Plötzlich Prinzessin“ oder so. Ich schaute beschämt, ob mich jemand sieht, der denken könnte, ich würde mich verkaufen und sackte ein wenig tiefer in den Sitz. Natürlich hatte ich in den letzten 24 Stunden ein paar Zweifel, ob das alles wirklich so stimmt und fragte mich immer wieder, wieso ein Fremder so etwas für mich tut? Doch ich vertraute einfach ins Leben und in Fremde, die den Eindruck machten, als würden sie mir mit ihren Mitteln einfach nur helfen wollen. Und so war es auch. Die Limousine, in der man nach Lust und Laune das Licht verstellen, Fernsehen gucken und Knöpfe drücken konnte, brachte mich nach Hamburg. Vor unsere Haustür. Hörby empfing mich um 23 Uhr mit einer riesigen Umarmung und Ralle mit einem doppelten Espresso, denn er wollte sofort wieder zurück. Ein Mann, den ich in den letzten vier Stunden richtig ins Herz geschlossene habe. Viele Dinge, die er mir erzählt hat, waren so inspirierend, dass ich auch weitere vier Stunden mit ihm im Auto hätte sitzen können.

Doch nun war ich da. Wieder bei meiner Familie. Müde, erschöpft und glücklich. Glücklich, dass es wirklich diese kleinen Lichtblicke im Leben gibt, die dir zeigen, dass wir alle für einander da sind. Das Paar aus Köln bekam von mir den dicksten Blumenstrauß zugeschickt, den ich finden konnte. Ralle, eine große Tafel Schocklade. Und Hörby, der hatte unseren Plan nicht vergessen und so sitze ich nun vier Monate später hier, an meinem Laptop, schreibe diesen Text, lächle in mich hinein und streichle meine kleine Wunderkugel.

In Andenken an diese verrückte Begegnung ist ja eigentlich klar, wie das Baby heißen muss. Raketen Ralle – was denn sonst!