Geld macht zwar angeblich nicht glücklich, aber beruhigt. Es eröffnet Möglichkeiten. Und so sind wir oft neidisch auf ebendiese Möglichkeiten, selbst wenn es gute Freunde betrifft. Neidisch auf ihren Kontostand, das Haus, den Urlaub. Was Neid genau ist, warum wir ihn fühlen und was (möglicherweise) dagegen hilft.
Ich erinnere mich noch gut an die Szene im Wochenbett. Unser neugeborener Bub liegt im Arm seines Vaters und trägt einen Strampler mit Taschen. Mein Freund streichelt ihm über das Outfit, grinst und sagt: „Leere Taschen! Daran kannst du dich schon mal gewöhnen, mein Kind“. Sofort sah ich mich vor meinem inneren Auge in der Zukunft mit meinem kleinen Sohn schlendern, seine wackligen Beine sind müde von einem Spaziergang und er mault: „Arm! Arm!“ Und ich würde antworten: „Ja, mein Schatz, wir sind arm.“ Dabei ist das eine dreiste Lüge. Eine absurde Ansicht. Wir sind nicht arm. Doch wenn ich mich im Freundeskreis umblicke, fühlt es sich oft so an.
Ich bin neidisch auf Geld. Jedes. Mal.
Ich bin dann garstig neidisch. Wenn meine Freunde von ihrem Gehalt erzählen, freut sich mein Kopf rational für die Menschen, die mir am Herzen liegen. Doch mein Bauch randaliert, grummelt. Ich fühle mich dann schnell schlecht. Ich würde dann am liebsten meine Panzerknacker-Sturmhaube aufsetzen, den leeren Beutel über die Schulter schwingen und fremde Konten plündern. Ich bin neidisch auf Geld. Jedes. Mal. Der Neid macht sich in meinem Körper breit, wenn wir über Immobilien, Erbe, Indexfonds, Urlaube oder auch nur den Weihnachtsbonus sprechen. Ich bin mir sicher, dass dabei jeder irgendwie irgendwann mal neidisch auf seine Freunde ist.
Das Dümmste ist, dass ich mich durchgängig benachteiligt fühle, was so dermaßen bekloppt ist, weil ich ein privilegiertes Leben führe: Wir sind Mieter einer schönen Altbauwohnung in Hamburg-Ottensen mit zwei Balkonen. Ich kaufe mir neue weiße Schuhe, wenn meine wieder dreckig und knitterig sind. Wir fahren jedes Jahr in den Urlaub. Wir haben sogar ein Auto (gerade frisch von der Großtante einen alten Opel Astra geschenkt bekommen). Ich schäme mich, diese Zeilen zu tippen: sich arm zu fühlen – mit einem Auto vor der Tür und einer Zahnzusatzversicherung.
Die eigene Bubble
Die Krux liegt, so glaube ich, in meinem Freundeskreis. Da mein Partner und ich beide studierten, haben wir vor allem Akademiker-Freunde. Nur dass wir „etwas mit Medien“ studiert haben (= spaßig, aber unlukrativ) und die anderen halt Jura, internationale Beziehungen, Maschinenbau (= kompliziert, aber lukrativ). Natürlich sehe ich dann nicht die Millionen Mitmenschen, die sich keinen Urlaub leisten können oder sich mühsam ihre Busmonatskarte zusammensparen. Ich sehe mein Umfeld, die Häuser, die Reisen, die Restaurantbesuche, den teuren Tisch aus massiver Eiche.
Dazu hat natürlich gefühlt jeder ein Erbe oder einen reichen Lebenspartner im Rücken. Ich bin stolz darauf, unabhängig zu sein. Der Hauptverdiener zu sein. Ich verdiene als freiberufliche Redakteurin im Durchschnitt 2.100 Euro netto. Mein Freund als festangestellter Techniker bekommt 1.750 Euro netto. Minus 300 Euro monatlich für seinen Studienkredit bleiben ihm 1.450 Euro für Miete, Essen, Altersvorsorge, bli bla blub. Als junges, freies Pärchen sind wir gut zurechtgekommen. Doch nun als Familie – und der Aussicht, die nächsten Jahre mit Kind nicht Vollzeit in den Medien buckeln zu können/wollen – fragen wir uns schon, wie das alles laufen soll.
Ja ja, „Geld ist unwichtig“, mögen manche sagen. Ich möchte aber nicht nur Luft und Liebe, sondern gerne auch die Waschmaschine mit integrierter Trocknerfunktion. Dazu kommt der Blick nach links und rechts. Meine Schwester zum Beispiel ist gerade schwanger. Festangestellte Schifffahrtskauffrau, der Reeder haut trotz Corona einen Bonus nach dem nächsten raus. Wie Aal-Dieter seine Ware auf dem Fischmarkt. Neuer Maxi-Cosi mit 360-Grad-Drehfunktion und Adapter für den Kinderwagen? Null Problemo. Bei mir auf der Rückbank meines Zweitürers: ein alter Kindersitz vom Facebook-Marketplace. Alles hakt und ist schmuddelig und nervt.
Eifersucht vs. Neid
Der Unterschied zwischen Eifersucht und Neid lautet übrigens: Eifersucht beschreibt die Angst, etwas zu verlieren, was man bereits besitzt oder vermeintlich braucht. Neidisch wiederum bin ich, wenn ich etwas haben will, was andere besitzen. Sprich: Ich bin eifersüchtig, dass die Arbeitskollegin meines Freundes ihn zum Lachen bringt (sie hat bei der Weihnachtsfeier übrigens vor ihm auf der Tanzfläche blankgezogen. Hände hoch, BH aus, true story!). Neidisch bin ich auf Geld, natürliche Locken, Menschen, denen Fahrradhelme stehen und die ihre Großeltern noch haben. Oh, und durchgängig – also wirklich durchgängig – habe ich Futterneid.
Neid kann dabei unterschiedliche Formen annehmen: Konstruktiver Neid (= den Wunsch hegen, dasselbe zu haben wie Person XY) und destruktiver Neid (= hier schwingt die Hoffnung mit, dass ein anderer Mensch etwas verliert. Neid und Missgunst gehen Hand in Hand). Na, immerhin habe ich noch „die gute Sorte“ Neid. Juhu.
Der soziale Vergleich – vor allem unter Freunden – ist der Nährboden für das bohrende Gefühl im Bauch. Wir leben in einer Bubble, ähnliche Interessen, ähnliche Ziele, ähnlicher Lebensstil. Von der Begeisterung für Efeututen bis zu den weißen Reeboks. Das bietet Gelegenheit zum Vergleich. Natürlich komme ich auch so gut zurecht. Trotzdem wäre als Schwangere im vierten Stock der Supermarkt-Lieferdienst ganz komfortabel gewesen. Oder sich regelmäßig eine medizinische Fußpflege zu gönnen, statt monatlich den Zehennagel falsch zu schneiden, Youtube nach Hausmitteln für eingewachsene Nägel zu durchforsten und mit einer Stirnlampe für Nachtwanderungen eigene kleine Operationen auf dem Wohnzimmerboden durchzuführen.
Unbedachter Konsum trotz Sparen
Am meisten ärgert mich, dass ich größtenteils emsig spare: Käufe bei Mamikreisel, ebay Kleinanzeigen, ALDI statt Edeka, vor der Mittagspause mit Kollegen nochmal in die mitgebrachte Stulle beißen, um im Restaurant nicht in Völlerei zu verfallen. Und dann gebe ich Geld für den größten Scheiß aus. Also wirklich. Müll. Müll!
In einem verzweifelten Moment mitten in der Nacht im Wochenbett habe ich sogar ein Horoskop gekauft. Schluchzend saß ich über dem frischen Baby und hatte eine Krise, dass ich ja gar nicht weiß, was für ein Mensch aus ihm wird. Dass ich ja noch zig Jahre warten muss. Zack, 35 Taler für ein personalisiertes Horoskop aus der Schweiz gelassen. Dümmste Anschaffung des Jahres. Ein dunkler Moment. Dann doch lieber in einen Kindersitz investieren, der nicht schon von fremden Kleinkindern vollgegöbelt wurde.
Das innere Feuer erlöschen lassen?
So, nun aber zurück zum Neid. Meinem Geldneid. Ich möchte gerne an mir arbeiten, nicht mehr sabbernd auf das Konto anderer zu schauen, während ich selber mein wunderschönes Leben führe. Oft hegt sich bei mir, glaube ich, der Groll, weil ich in meinem Berufsfeld ungerecht bezahlt werde (so finde ich, denkt wahrscheinlich jeder über sich): Ich buckel ohne Mittagspause, mit tagesaktuellem Stress, nach Studium, Volontariat, zig unbezahlten Praktika, mit Überstunden, die eine Polonäse auf meinem Stundenkonto tanzen. Und dann höre ich von Bekannten, die einen recht simplen Bürojob und damit einen Haufen Asche machen. Und dabei pünktlich um 16:59 Uhr den Kuli fallen lassen. Dann stelle ich mir manchmal die Frage, ob ich die falsche Wahl getroffen habe. Die Wahl für den Herzensjob, mit dem ich aber kein Eigenheim in Hamburg finanzieren kann. Oder ob ich lieber im öffentlichen Dienst einen Reibach machen sollte und mir dann täglich Bio-Lachs in den Ofen schiebe.
Wie könnte ich mit einem Job leben, der mein Konto anschwellen lässt? Dann denke ich an Jack Dawson und seine Rede an Rose in Titanic. „Die halten Sie gefangen, Rose. Und Sie werden eingehen, wenn Sie da nicht ausbrechen. Vielleicht nicht sofort, weil Sie stark sind. Aber früher oder später wird das Feuer, das ich so an Ihnen liebe, Rose, dieses Feuer wird irgendwann verlöschen.” Ja, dann lieber mit Feuer im Hintern im Discounter einkaufen. Arbeitszeit ist Lebenszeit.
Mein Schneider – mein Vorbild
Diese drei Strategien habe ich für mich am Ende entwickelt, um mit meinem Geldneid umzugehen. Erstens: Akzeptanz. Neid kann anspornen, Neid kann einem klarmachen, was einem wichtig ist. Oder auch nicht. Und manchmal ist es auch einfach wichtig, ein Gefühl anzunehmen. Dann bin ich halt neidisch. Ist doch okay. Ich fühle, was ich fühle. Zweitens: Mir einreden, dass der Fachkräftemangel in zehn Jahren so gravierend sein wird, dass ich immer noch die Chance auf ein bisschen Reichtum habe, wenn ich es denn rein theoretisch will und bereit wäre, dafür zu kämpfen. Und Drittens: Mein Schneider Yücel.
Ein Türke mit runder Brille und einem verschmitzten Grinsen in den Endvierzigern. Während Yücel mir neue Druckknöpfe an den Strampler näht, erzählt er mir von seinem Sohn, inzwischen Teenager. Der habe in seiner Babyzeit eine Hirnhautentzündung gehabt, die Chancen auf eine Behinderung und den Tod standen extrem hoch. Doch sein Vater hat gebetet und Allah versprochen, sein eigenes Restaurant und das gute Geld aufzugeben, wenn sein Sohn gesund werden sollte. Und so kam es. Der Junge wurde gesund, Yücel gab sein Restaurant samt Schichtdienst auf und machte eine Schneiderei auf. „Nun kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Ich war mit ihm im Freibad, ich war an den Feiertagen und am Wochenende für ihn da. Wenn er werktags eine Schulaufführung hatte, habe ich die Nähmaschine einfach ausgemacht und saß in der ersten Reihe“, erzählte er mir. „Ich verdiene so viel weniger, aber mein Junge ist gesund. Wir haben bei Regen ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Herd. Mehr brauchen wir doch eigentlich nicht.“ Recht hat Yücel.