Abbrechen ist selten gut. Schule abbrechen, Urlaub abbrechen, Nägel abbrechen. Aua. Ein Abbruch allerdings ist das Sahnehäubchen in der Tomatensuppe: eine Diät abbrechen. Was für eine Euphorie. Ein Dopamin-Sturm nach dem Apfelstrudel. Weg mit dem scheiß Magerquark – hallo griechischer Joghurt! Adieu ungesüßter Tee, Bonjour Rhabarberlimonade. Selten im Leben habe ich etwas weniger bereut, als nach dem „Neuanfang Diät“ in mein altes Raster zu verfallen und mit einem Lächeln, in dem man noch Nutellareste zwischen den Schneidezähnen sieht, in den Tag zu starten.
Pizzabrötchen und Milchreis
Kurz die harten Fakten: Ich bin 33 Jahre alt, 169 cm groß und 92 Kilo schwer. Ich schwimme einmal wöchentlich im Verein und liebe Radfahren, bin sonst aber tendenziell faul. So faul man als Elternteil sein kann. Während der Schwangerschaft habe ich mich sehr gewissenhaft gesund ernährt und durch das Stillen danach sogar abgenommen. 82 Kilo wog ich am Ende des Wochenbetts.
Dann aber habe ich mich durchgängig dafür belohnt, dass ich Zuhause auf das Kind aufpasse. Mit Käse-Schinken-Pizzabrötchen vom Lieferservice oder einem Pastateller voll Milchreis mit Zimtzucker. Gerne auch zwei Teller hintereinander. Ich habe geschlemmt und mich für schlaflose Nächte mit Kalorien getröstet.
Mein Partner und ich lieben Kochen, und das am liebsten frisch. Aber auf das Ofengemüse kommt halt noch Grillkäse. Und Parmesan. Und daneben noch ein Knoblauch-Dip. Aber unten, ja unten ist ja Gemüse! Wir haben auch essensspezifische Spitznamen. Für meine Vorliebe, das Vollkornbrot morgens in der Schublade zu lassen und den Eierkarton euphorisch hervorzuzaubern, nennt mich mein Freund „Lady Pancake“. Er wiederum hat sich durch den üppigen Einsatz von Butterschmalz den Kosenamen „Señor Grasa“ (übersetzt „Herr Fett“) verdient. Er hat allerdings einen 1A-Stoffwechsel, außer einem kleinen Bierbauch weist nichts auf Völlerei hin. Ich wiederum werde als „leicht adipös“ im Geburtsbericht beschrieben.
Meine Diäterfahrungen
Ich habe immer mal wieder kurze Phasen, in denen ich denke, ein kleiner Gadget-Kauf macht mich ultraschlank: ein Zuccini-Spiralschneider? „Wow, ich werde nie wieder im Leben Nudeln essen!“ Kaufen. Meal-Prep-Tupperdosen? „Wow, ich werde krass gesunde Mittagsportionen im Büro dabei haben und die werden auch noch appetitlich aussehen.“ 3,2,1 – meins. Anmerkung: Meal Prep funktioniert nur so lang, bis man merkt, dass irgendwie alles auf Reispfannen hinausläuft und aufgewärmtes Essen einfach ein Downer ist. Punkt.
Ich habe keine Erfahrung mit der berühmten Kohlsuppendiät, dafür aber mit WeightWatchers (Eier 0 Punkte? Da bin ich am Start. Zumindest für drei Monate) und damals Detlef D! Soosts Programm „Body Change – I make you sexy“. Entschuldigung, sexy war ich schon vorher. Den Body können wir trotzdem gerne „changen“. Das Programm setzt auf Eiweiß und kurze Sporteinheiten, sprich: Brot und Nudeln waren tabu, aber Fleisch, Linsen & Co. gab es en masse. Es fühlte sich einfach falsch an.
Ich habe viel abgenommen, was aber eher daran lag, dass ich zu jeder Zeit als Studentin in der Nachtschicht bei Mercedes Motoren zusammengebaut habe (eine gute Zeit! Denn der italienische Schichtleiter Tino, 43, der mit Walkie-Talkie rumlief, hat mich morgens immer Heim gefahren. Auf dem Rückweg waren wir auf dem LIDL Parkplatz driften. Ich habe mich sehr wild gefühlt).
Anyway: Ich saß also nachts um drei am Mittagstisch und schlemmte Hackeintopf mit drei Bockwürsten. Der Fleischkonsum dieser Diät hat mich fertiggemacht. Das Tolle war, dass es einen Cheat-Day gab. Einen Tag in der Woche durfte ich essen, was ich wollte.
Keine Jeans für mich
Nun – sieben Jahre später – ist für mich jeden Tag Cheat Day. Und das macht mich verdammt glücklich. Durch die Gassen zu spazieren und sich einen Crêpe zu krallen, wann immer man möchte … what a time to be alive! Was mich aber fertigmacht, ist das Fertigmachen. Also: Klamotten. Body Positivity oder Neutrality hin oder her – die meisten Fummel sehen schlank besser aus. Sie fallen richtig, sie kneifen nicht, sie sind lang genug, also gehen akkurat über den Po.
Eine schlanke Freundin von mir kauft ausschließlich Secondhand und sieht fantastisch aus. Würde ich mich mit meiner Größe 44 so Vintage kleiden wie Marie Nasemann, würde ich aussehen wie die alte Taubenfrau von „Kevin allein Zuhaus“. Und: Schwitzen schlanke Frauen eigentlich weniger in Acryl und Polyester? Frage für eine Freundin.
Ich habe schon lange vor meinem Baby Schwangerschaftshosen getragen, immerhin sind Leggins Leben. Und eine halbe Leggins ist besser als keine Leggins. Doch inzwischen nervt mich das ständige Gezuppel. So war ich letzte Woche bei H&M auf der elendigen Suche nach einer passenden Jeans. Keine Chance. Bin mit meinem Po nicht reingekommen. Nicht mal in die sehr lockere Mom Jeans. Jetzt erschließt sich mir auch, warum darin alle Ärsche aussehen wie ne platte Flunder. Frauen mit Apfelpos passen nicht in Mom Jeans. Zumindest nicht in meiner Größe anscheinend. Das fuckt mich dann schon sehr ab. Ich sah vor dem inneren Auge schon meinen persönlichen Alptraum: Die Bonprix-Reklame im Briefkasten.
Vielleicht doch eine Diät?!
„Fit for fun“? Das kann nur Satire sein.
Ich komme ins Grübeln, während ich neben meinem Laptop die salzigen Känguru-Chips liegen habe. Was verbinde ich mit einer Diät? Einerseits Mundgeruch. Diesen Mundgeruch, den man bei Hunger bekommt, weil man während der ICE-Verspätung keinen gesunden Snack am Hauptbahnhof findet und stattdessen schlechtgelaunt mit knurrendem Magen im Zeitungsladen unmotiviert Bestseller durchblättert. Vor allem aber verbinde ich Diäten mit schlechter Laune. Essen macht mich so verdammt glücklich. Und damit meine ich nicht gedünsteten Brokkoli – auch nicht, wenn er mit fancy Pinienkernen serviert wird – sondern Essen, das mit dem Geschmacksträger Fett zubereitet wurde und auf der Zunge explodiert. Essen, auf das man sich den ganzen Tag schon freut. Essen für die Seele.
Es wird vielleicht die Zeit kommen, in der ich eine ausgewogene Ernährungsumstellung durchlebe und Freude an Fitness finde. Apropos: „Fit for fun“? Das kann nur Satire sein. Doch diese Zeit ist noch nicht gekommen. Und wird mit Kind auch sicher noch warten. Wie soll ich die Trotzphase ohne Soulfood überleben?
Spieglein, Spieglein
Zwei Punkte bringen mich zu der Annahme, dass ein Leben ohne Schönheitsideal-Körper und ohne Kalorienzählerei die schönere Alternative für mich ist. Erstens: das Spiegeldrama. Ich weiß von Freundinnen, die sich täglich im Spiegel begutachten. Einfach so nach dem Duschen dastehen und beschließen, mittags nur einen Salat zu bestellen, weil sie ja später noch zum Italiener gehen. Ich gucke meist nur aktiv in den Spiegel, um Zecken nach einem Waldspaziergang aufzuspüren. Der Rest ist mir relativ wumpe. Außer wenn ich – wie früher – versuche abzunehmen. Dann mehrt sich die Spiegelzeit. Eine Entwicklung, die ich so nicht mehr haben will. Zu alt für den Scheiß.
Und Zweitens: Was ist, wenn ich morgen überfahren werde? Was ist, wenn ein unentdecktes Hirnaneurysma in dieser Nacht platzt? Möchte ich, dass meine letzte Mahlzeit ein Feldsalat mit Radieschen war? „Defintiv nicht“, denkt sich Lady Pancake, greift nach dem Eierkarton und stellt den Raffinadezucker bereit.