Viele Paare kennen es: Nach der ersten Verliebtheit sinkt die Hemmschwelle. Was einst Tabuthema war, wird zur Selbstverständlichkeit. Zum Beispiel die Eiterpickel des anderen ausdrücken. Einen größeren Liebesbeweis gibt es kaum.
Das Licht ist gedimmt. Die Kerzen im Wohnzimmer flackern. Es duftet nach Rotwein, Amore… und Fußpflege: Eben noch haben wir geknutscht. Nun quietscht das Sofa nicht vom Geschlechtsverkehr, sondern von den ruckartigen Bewegungen der Fußreibe.
Früher hobelten wir Parmesan, nun Hornhaut.
Wie Parmigiano Reggiano fallen die Stückchen auf die sorgfältig ausgebreiteten Handtücher unter uns. Romantisch. Auf dem Fußboden stehen noch die Essig-Fußbäder, um die Haut aufzuweichen.
Wann sind wir so eklig geworden?
Einst – noch frisch verliebt in der Studenten-WG – habe ich mir abends extra heimlich eine Apfelschorle und einen Butterkeks ans Bett gelegt. Gegen den morgendlichen Mundgeruch. Kaugummis und Co. fand ich zu auffällig. Come on, niemand riecht morgens nach Menthol. Aber Butterkeks und Zuckergetränk konnten das Übelste abwenden. Neun Jahre später knutschen wir morgens, obwohl unser Rachen nach Tierkadavern stinkt.
Ein guter Kapitän sticht auch in die rote Flut
Nach dem Frühstück – vom selben Eierlöffel essen ist natürlich normal – folgt die Dusche. Wie viele Frauen komme ich hier meiner Enthaarungspflicht nach: Ich rasiere seine Nacken- und Rückenhaare. Mit Freude mache ich aus dem Biest eine Beauty. Er hat mir im Gegenzug schon öfter ein eingewachsenes Schamhaar aus dem Intimbereich gezogen, nachdem ich nach dem Waxing wieder schlampig gepeelt habe.
Nach der Dusche ziehen wir uns an – nicht ohne vorher an der Kleidung des Anderen zu riechen. Stinkt das schon nach Schweiß oder hält es noch einen Tag aus? Die Toilettenfrage beantworte ich mal ganz clever politisch: FDP ja, AFD nein. Gelb darf der Partner zuschauen, braun tabu. SPD? Ansichtssache. Beim Tamponwechsel bitte ich meinen Partner hinaus. Er hat im Wochenbett trotzdem schon mein Blut weggewischt und wir hatten natürlich auch schon während meiner Tage Sex. Wie haben wir als Teenie so schön gesagt? Ein guter Kapitän sticht auch in die rote Flut.
Wie bei uns fällt bei den meisten Paaren nach der ersten Verliebtheit die Hemmschwelle. Wir zeigen unsere wahren Gesichter. Wenn das Fundament der Liebe erbaut ist, geht es hinunter in den Keller für die Gräueltaten. Gemeinsames Pickelausdrücken wird zum liebevollen Ritual. Manche sollen angeblich in den Zahnzwischenräumen des Partners herumstochern. Jeder hat seine eigenen Grenzen. Für uns gilt:
Gemeinsame Zahnbürste? No-Go.
Gegenseitig Schlaf aus den Augen pulen? Go.
Er hat weitergeküsst und die Erektion nicht verloren. Hut ab.
Wer setzt fest, was iii und was mmm ist? Warum ist Sperma im Mund normaler als Augensekret am Finger? By the way: Das war vielleicht einer meiner ersten Momente, in dem Ekelgefühl für die Körperflüssigkeiten meines Partners auftrat.
Mein erster Freund: Lasse. 17 Jahre jung. Er hat mich gerade im Ferienhaus seiner Großeltern bei St. Peter Ording entjungfert, wir liegen kuschelnd auf der Häkeldecke. Plötzlich fließt das Sperma aus mir heraus. Erschrocken fasse ich mir zwischen die Beine und schreie auf: „Uäh, was ist das?!“, und schmiere das Sperma in die selbstgemachte Decke seiner Oma. Niemand hatte mich als Teenager darauf vorbereitet, dass das Sperma nicht in der Vagina bleibt.
Lasse fand meine Reaktion nicht so cool. Katharina aus der Parallelklasse, mit der er mich betrog, allerdings schon.
Ich habe für diesen Artikel überlegt, was wohl unser intensivster, ekligster Paar-Moment war, also mit meinem jetzigen Freund und Vater meines Kindes. Highlights waren auf jeden Fall das Ohrwasser und die Nagel-OP.
Im Sommer 2014 hatte ich eine Gehörgangsentzündung. Kommentar meines Ohrenarztes, bei dem ich öfter saß: „Na, Frau Pelling, wieder eine Q-Tip-Party gefeiert?” Ohja. Und ich bereute die Gaudi nicht. Bis ich mich mit höllischen Schmerzen im Bett krümmte und mein Freund meine durchgesiffte Drainage aus dem Gehörgang zog. Wenig später war ich auf Ibu600 und wir hatten wunderbaren Sex. Irgendwann küsste er mich am Hals und sagte, dass der irgendwie nass sei. Anscheinend floss Wundwasser aus dem Ohr über das Schlüsselbein. Was soll ich sagen. Er hat weitergeküsst und die Erektion nicht verloren. Hut ab.
Paare, die eklige Dinge tun, sind glücklicher
Unser innigster Moment war dann die (Leute, geht rechtzeitig zum Arzt!) Nagel-Behandlung. Mich quälte ein fieser eingewachsener Zehennagel, ich war zu faul, um zum Arzt zu gehen und jammerte meinen Partner voll. Mutig schnappte er sich seine Stirnlampe und zog mit Pinzette, Schere und Knipser ins Gefecht. Da lag ich, Holzlöffel zwischen den Zähnen, meine schwitzigen Füße auf seinem Schoß, er mit dem Lichtkegel seiner Kopflampe auf der Entzündung, in meinem Nagelbett rumstochernd.
Ich war so selig. Selten habe ich mich mehr geliebt gefühlt. Passend dazu summte er: „Und alles nur, ahaaa, weil ich dich liebe…“ von den Toten Hosen. Ja, anders erträgt man sowas wohl auch nicht.
Wen würde ich außerdem anrufen, um Eiterpickel auf dem Rücken auszudrücken? Freundinnen? Meine Mutter? Nee. Als Single würde ich sie still ertragen. Oder eben gar nicht erst sehen, weil, naja, wer siehts denn schon?
US-amerikanische Wissenschaftler der University of Ohio State haben in ihrer Studie „Couple Intimacy and Relationship Satisfaction“ übrigens herausgefunden, dass Paare, die eklige Dinge tun, glücklicher sind. Die Intimität stärke ihre Partnerschaft. Das überrascht mich nullkommanull.
Denn wenn ein Tabuthema zur Selbstverständlichkeit wird, ist das meiner Meinung nach schon per se ein Gewinn für die Beziehung. Wenn aber auch Dinge, die in uns normalerweise Ekel hervorrufen, liebevoll umsorgt werden, ist das doch der ultimative Liebesbeweis. Vielleicht stehen die drei Buchstaben in „iii“ für:
innig, intensiv, intim.
Ich jedenfalls werde weiterhin Herzchen in den Augen haben, wenn mein Partner fragt, ob es heute Italienisch gibt. Nicht nur, wenn es in die Pizzeria geht, sondern auch, wenn es wieder körpereigenen Parmesan auf dem Sofa rieselt.
Romantik ist, was ihr draus macht. Hauptsache keine Pasta.