Es heißt: Wenn man ein Kind bekommt, ändert sich das ganze Leben. Allerdings nicht nur für Euch, liebe Eltern. Auch für uns Nicht-Eltern wartet eine neue Realität: Denn oft hört Ihr uns nicht mehr richtig zu. Unser Gehirn versteht das: Da ist nun mal ein neuer Mensch. Ihr habt nun andere Sorgen. Trotzdem kann es uns in den Wahnsinn treiben. Aus einer einst großartigen Freundschaft werden zwei Welten mit einer kleinen Schnittmenge. Das erfordert Arbeit. Das musste auch ich mit meiner Freundin lernen. Bei einer unserer ersten Verabredungen nach der Geburt dachte ich, ich hätte eigentlich auf die Glückwunschkarte im Krankenhaus schreiben müssen:
„Willkommen du kleiner neuer Mensch, und damit: Adieu, Freundin“.
Ich schnüre mir gerade euphorisch die Sneaker zu, voller Vorfreude, meine Freundin im Park zu treffen. Ich hab richtig Bock. Auf Geschichten, tratschen, lachen, schweigen.
Da vibriert das Handy. „Ich nehme die Kleine mit, sie wird aber bestimmt schnell einschlafen“. Hurra. Carlotta kommt mit. Na toll. Ein kurzer böser Gedanke: Vielleicht sollte ich doch wieder die Wollsocken anziehen und daheim bleiben, denn im Zweifel habe ich davon mehr. Aber ich will eine gute Freundin sein, ich stehe das jetzt durch und trete in die Pedale Richtung Stadtpark.
Man könnte meinen, ich bin ein garstiger, kinderloser Unmensch. Nein, es kommt noch viel absurder: Ich bin selber schwanger. 32.Woche, erstgebärend. Mit einem Bein stehe ich noch auf Seite der Kinderlosen, mit dem anderen stecke ich halb in der Elternzeit. In acht Wochen sitze ich also im selben Boot wie meine Freundin, und trotzdem – wenn wir schon bei Zahlen sind – fühlt sich die Wahrheit eher so an:
Freundin treffen ohne Kind: 5 von 5 Sternen.
Freundin bringt ihr Kind mit: 2 von 5 Sternen.
Die kleine Carlotta ist etwas über ein Jahr alt, ihre Mama kenne ich aus dem Sportverein. Damals hatte ich noch nicht mal meine Periode. Wir kennen uns also schon sehr sehr lange. Ich kenne meine Freundin in ihrer Phase als fanatischer Greys-Anatomy-Fan, als sie durchgängig Zitate rausgehauen hat. Oder als sie den schlacksigen Kerl mit dem Flaum über der Lippe in ihrer Teeniezeit gedated hat, der gerne über Rennräder philosophierte. Aber nichts, nicht mal annährend, ist anstrengender als ihre Phase als Mama mit Kleinkind.
Dabei würde ich sie sogar als relativ entspannte Mutter bezeichnen.
Aber eine Mutter bleibt eine Mutter. Ein Mensch mit geteilter Aufmerksamkeit. Und am Ende gewinnt immer – richtig – das Kind. Auch wenn sich meine Freundin im Park noch so bemühte, Sichtkontakt mit mir zu halten, konnten die Augen gar nicht anders, als immer wieder zu Carlotta zu huschen: Steckt sie sich gerade irgendwas Dreckiges in den Mund? Braucht sie einen Keks? Dazu der Drang des kleinen Mädchens, doch bitte laufen zu lernen. So mussten wir ständig von der Picknickdecke hoch und meine Freundin in gebückter Haltung hinter ihr her, ich verloren daneben. Was mich aber beinahe in den Wahnsinn trieb: Carlotta steht auf Flugzeuge. Das heißt, immer wenn sie eins hörte, musste ihre Mama sie schnappen, lossprinten, ein Loch in den Baumkronen suchen und mit dem Finger auf das Objekt der Begierde zeigen. Meistens geschah das inmitten meiner Erzählungen. Irgendwie hatte das alles so keinen Sinn. Ich konnte keine einzige Geschichte beenden. Es war einfach nur saunervig. 1:0 für die Wollsocken zuhause in meiner Schublade.
Jeder, der diesen Text liest, fragt sich sicher: Wer ist nun das Kind in diesem Park? Klein-Carlotta oder die Autorin? Ich weiß, dass meine Einstellung unreif und egoistisch ist. Aber ich fühle, was ich fühle. Und versuche alles, dass meine Freundin nichts davon mitbekommt. Dabei werde ich zu etwas, was ich nie sein wollte: Einer Lügnerin. „Klar, bring deine Tochter gerne mit!“. „Quatsch, die ganzen Babyfotos in unserer Whatsapp-Gruppe stören mich nicht. Sie ist so ein süßes Kind“.
Und liebe Mamis, versteht mich nicht falsch, ich finde Euren Nachwuchs tatsächlich süß. Aber manchmal möchte ich – ungeduldig wie ich bin – platzen. Letztens war ich mit einer anderen Freundin in der Pizzeria verabredet. Ich wollte ihr so gern von der Hochzeit meiner Schwester erzählen oder von meinen Sorgen, denn mein Partner ist in Kurzarbeit. Nichts davon war möglich, denn ihr Sohn wollte „Obstgarten“ spielen. Im Eifer um Äpfel und Birnen hat er den Laden kurz und klein geschrien. Nicht vor Wut, sondern aus Freude und Euphorie. Das war zwar süß, aber ein sehr einseitiger Dialog.
Das Problem sind dabei weniger die Gespräche über Körpersekrete oder Erziehungsmethoden, sondern dass die Gespräche eigentlich keine Gespräche sind. Sie sind ein Kabelsalat voller loser Sätze, weil immer wieder ein kleiner Störenfried die Leitung kappt. Wenn man die Kids anschaut, sieht man manchmal noch imaginär die Schere in der speckigen Hand und ein diabolisches Grinsen.
Das Klischee besagt: Frischgebackene Eltern sind schlechte Freunde. Bisher konnte mir noch kein befreundetes Päarchen das Gegenteil beweisen. Aber so ist das halt, da kommt ein neuer Mensch, die Dinge ändern sich. Trotzdem frustriert es. Meine Freundinnen mit Anhang scheinen oft so gedankenabwesend. Ich möchte am liebsten mit den Fingern vor ihrem Gesicht schnipsen. Wahrscheinlich haben sie über wichtige Dinge nachzudenken, über Impfungen, Beikost oder die KITA-Schließung. Aber wir leben doch im hier und jetzt, und gerade, hier und jetzt, sitze ich vor ihrer Nase. Wir sehen uns so selten, bitte schau mich an, nicht durch mich hindurch.
Und warum erscheinen Eure Termine immer wichtiger als meine? Wir richten uns immer nach dem Mittagsschlaf oder der Schnupfnase Eurer Schützlinge, natürlich. In den Augen von Elternteilen scheinen wir Kinderlosen allerdings wie Rentner zu sein: Mit unendlich viel Zeit und Schlaf gesegnet. Das stimmt nicht. Und selbst wenn, bitte reibe es mir nicht unter die Nase. Selbst wenn es vermutlich wahr ist. Und wenn ich seufze: „Oh, bin ich heute müde!“. Dann fühle ich mich müde. Relativier es bitte nicht mit einem „Na, du hast Luxusprobleme, warte bis du Kinder hast“. So ein Spruch frustriert mich. Schlaf ist doch kein Wettkampf. Gefühle sollte man nie kleinreden.
Bevor ich zum Schlusswort komme, noch ein Fun-Fact: Den Männern in meinem Umfeld geht es nicht so. Während meine Freundinnen ihre Kinder scheinbar überall mit hinnehmen, wird dem Vater offensichtlich häufiger ein kinderloser Männerabend gegönnt. Zumindest kennt mein Freund das Problem mit seinen Kumpels gar nicht. Die kommen – obwohl sie Väter sind – immer allein. Wundert mich das? Nein. Sollte sich in der Hinsicht dringend etwas ändern? Ja.
So, zurück zu meiner guten Freundin aus dem Park.
Die letzten Treffen liefen nicht so rosig. Schlechtes Gewissen auf beiden Seiten. Lose-Lose. Wie schaffen wir ein Win-Win?
Klar ist, dass beide Seiten Kraft aufbringen müssen. Ich persönlich rufe mir öfter ins Gedächtnis, dass alles nur Phasen sind. Klar, auch Phasen können kackennervig sein. Aber jede Phase ist irgendwann vorüber. Ich habe außerdem gelernt, dass es okay ist, wenn mal Funkstille herrscht. Das bedeutet nicht das Ende der Freundschaft, sondern ist nur eine kurze Werbeunterbrechung in einem sonst ganz fantastischem Hollywoodstreifen.
Ich bin außerdem dazu übergegangen, meine Geschichten nicht mehr beim Treffen im Park loszuwerden. Ich höre zu und übe mich in Geduld. Im Gegenzug schicke ich ab und zu ellenlange Sprachnachrichten, berichte aus meinem Leben, über kleine Abenteuer, Skurriles aus dem Joballtag. Sie hört die Sprachnachrichten dann ab, wenn sie die tausendmillionste Runde mit dem Baby in der Trage durch den Innenhof schlendert. Oder gerade die nächste Fuhre frischgewaschener Bodys auf dem Wäscheständer faltet. So ist mein Leben für sie wie ein kleiner Podcast. Meine Freundin muss mir auch nicht antworten. Ich möchte nur, dass sie weiß, was mich gerade bewegt.
Und am allermeisten rufe ich mir ins Gedächtnis: Herrgott, bald bist du selber dran. Dann stehe ich auf der anderen Seite. Als Mutter mit geteilter Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es mit Kleinkindern und der Kommunikation wie mit einem Staffelstab. Er wird immer weitergereicht, bis man irgendwann wieder eine gute Zuhörerin ist, und eine neuefrischgebackene Mami los sprintet.
Ich stehe dann schon mal an der Startlinie.
Ich habe relativ jung ein Baby bekommen (23 Jahre) und muss sagen, ich merke bis jetzt keine negativen Auswirkungen auf meine Freundschaften. Meine Freunde sind alle noch in einer komplett anderen Lebensphase, studieren, müssen kaum Verantwortung übernehmen, feiern jedes Wochenende usw. Aber Interesse und Verständnis ist trotzdem da. Wir treffen uns eben nicht mehr abends zum trinken, sondern morgens zum frühstücken oder mittags zum spazieren. Sie kommen auch vorbei und passen auf mein Baby auf, damit ich Zeit zum lernen habe oder einfach ein paar Minuten für mich selbst. Vielleicht ändert sich das alles auch, wenn mein Baby anfängt zu laufen. Aber ich habe schon auch das Gefühl, dass es mit der Einstellung meiner Freunde zusammenhängt. Wir haben viel über die kommenden Veränderungen in meiner Schwangerschaft gesprochen und reden auch immer offen über unsere Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen. Ich finde das sehr wichtig für eine Freundschaft und es scheint bis jetzt auch wirklich gut für uns zu sein. Außerdem hat eine meiner besten Freundinnen noch bis vor zwei Monaten mit meinem Freund, meinem Baby und mir in einer WG gewohnt (und auch die komplette Schwangerschaft). Vielleicht hat das auch generell zu mehr Verständnis und Empathie in unserem Freundeskreis geführt.
Ich will der Autorin damit auch nicht zu Nahe treten, aber vielleicht würde ein offenes Gespräch helfen. Und vielleicht auch einfach die Frage an sie selbst, was genau es denn ist, was sie so sehr daran stört. Ich will die Gefühle der Autorin nickt klein reden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es Probleme sind, die sich nicht klären lassen könnten.
Ich muss allerdings auch sagen, dass ich das Vorurteil, Kinder würden Freundschaften zerstören, so nicht kannte. Vielleicht führt dieser Glaubenssatz auch zu einer Art self fulfilling prophecy. Aber wie gesagt, vielleicht ändert sich auch alles, sobald mein Sohn älter wird. Oder meine Freunde sind doch nicht so ehrlich zu mir, wie ich dachte.
Ui, ich fürchte der Text wird dieser Freundin in ein paar Wochen doch etwas peinlich sein … 😀 Mütter sind tatsächlich oft unaufmerksam, eben weil das Baby/Kleinkind die Aufmerksamkeit braucht und sich holt. Dagegen kann man wenig tun. Zum Glück werden Kinder aber älter und dann entspannt sich die Lage wieder. Ich habe mich in der ersten Zeit gerne mit meinen Freund*innen getroffen – zum Spazieren mit Baby, in der Mensa mit Baby, auf der Party mit Baby oder zum Grillen mit Baby. Manchmal natürlich auch ohne Kind, je nachdem wie ich Lust hatte.