schwangerschaft Corona

Das vorherrschende Gefühl meiner Schwangerschaft war immer: unwirklich. Dass ein Kind unter meinem Speckbauch wächst, dass ich plötzlich ein Elternteil sein werde, dass ich bald einen anderen Menschen aus mir herauspressen soll. Und dazu kommt das Chaos vor der Haustür: ein Virus. Eine Pandemie wie aus einem Hollywood-Blockbuster. Ebenfalls extrem unwirklich. Zusammen gemixt werden diese Dinge zu einem Cocktail der Irrealität. Zu einem Wechselbad der Gefühle.

Welch Unglück: schwanger während einer Pandemie. Zum Donner mit all den Omis mit ihrem: „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt.“ Naja. Ein Kind in Nicht-Pandemie-Zeiten zu bekommen, wäre schon ein akzeptabler Zeitpunkt gewesen. Kaum verfärbt sich der Streifen auf dem Schwangerschaftstest, nehme ich imaginär meinen Schutzschild in die Hand: Ich esse keine weichen Eier mehr, achte pedantisch auf den Verkehr, nehme meine Folsäure ein und berühre das Geländer, wenn ich Treppen hinunterlaufe. Und plötzlich fühlt es sich an, als würde etwas Winziges meinen Winzling bedrohen: SARS-CoV-2. Wird es meinen Schutzschild durchdringen? Was bedeutet es für meine Gesundheit und die meines Babys?

Es ist Frühjahr, der erste Lockdown. Die Studienlage ist eine Katastrophe. Es gibt zwar Nachrichten aus Wuhan, dass das Virus nicht gefährlich für Schwangere sei, aber Neuigkeiten aus China überzeugen mich nicht. Viele Aussagen der Ärzte sind Spekulationen. Ich sehe im TV Aufnahmen einer Intensivstation in Italien. Die Patienten mit schweren Verläufen sind an Beatmungsmaschinen angeschlossen, auf dem  Bauch liegend. Ich stelle mir mich vor, mit einer XXL-Kugel, bäuchlings an Schläuchen.

Gefühlt herrscht überall Unwissenheit. Ich reagiere nicht mehr rational. Ich schwanke je nach Tagesform zwischen „Ach, wir können uns ruhig umarmen!“ und „Oh Gott, ich trage ein Lebewesen in mir, ich muss mir sofort die Hände desinfizieren, nachdem ich diesen Kugelschreiber angefasst habe.“ So richtig Sinn macht das alles nicht. Aber was genau sinnvoll ist, scheint ja niemand zu wissen.

Neben der primären Sorge um die Gesundheit des Babys macht mir die finanzielle Lage zu schaffen. Mein Freund muss in Kurzarbeit und mir als Selbstständige brechen fast alle Aufträge weg. Ich kündige sofort meine Sportmitgliedschaft, meinen Dauerauftrag an die Umweltorganisation, verabschiede mich von Streaming-Diensten. Wir stellen uns um. Tschüss Rewe Frischetheke, hallo Lidl.  An dem Tag, als mir für die nächsten Monate die Jobs entzogen werden, bin ich gerade einmal in der 10. Schwangerschaftswoche. Ich fahre mit zittrigen Händen am Fahrradlenker heim, stehe schlurzend an der Ampel und werde von Passanten angestarrt. Meine Mama ruft mich an, redet mir ins Gewissen, dass ich gerade jetzt ruhig bleiben muss, damit ich die vermeintlich sichere 12-Wochen-Grenze unbeschadet überstehe. Es fällt mir schwer, ruhig zu bleiben, immerhin rattert es im Hinterkopf, wie die Miete bezahlt werden soll. 

Ohne Ziel!

Welch Glück: schwanger in einer Pandemie. Durch die fehlenden Aufträge habe ich plötzlich Zeit. So, so viel Zeit. Und ich nehme die geschenkte Zeit an die Hand und gehe mit ihr spazieren. Ich starre aus dem Fenster und beobachte Wolken, fülle seit Ewigkeiten endlich mein Malbuch mit Buntstiften aus, ich fahre Fahrrad ohne Ziel. Ohne Ziel! Einfach nur, um in die Pedale zu treten. Das ist seit Jahren nicht passiert. Ich sortiere meine Sockenschublade, im Hintergrund Taylor Swifts neues Folklore Album. Normalerweise würde ich ein neues Album auf dem Weg zur Arbeit streamen oder halb gestresst beim Kochen. Jetzt sitze ich im Schneidersitz auf den Dielen, falte im Schneckentempo meine Strumpfhosen und höre genau auf den Text. So fühlt es sich also an, wenn man zur Ruhe gezwungen wird. Ganz schön schön. Wunderschön.  Ich bin mir sicher, dass mein Baby diese Ruhe spürt, miterlebt. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele Stresshormone aus meinem normalen Arbeitsalltag über die Nabelschnur in sein kleines, warmes Zuhause gefunden hätten, würde draußen keine Pandemie toben.

Wo soll ich stillen?

Doch welch Unglück: schwanger in einer Pandemie. Es ist der zweite Lockdown. Ich bin inzwischen in der 37. SSW und der Druck auf die Blase ist höher als der auf Gesundheitsminister Spahn. Ich möchte am liebsten mit den Beinen überkreuzt spazieren gehen, auch wenn ich weiß, dass sich am Ende nur zwei Tröpfchen in der Blase befinden. Und nun: Gibt. Es. Keine. Toilette. Wie soll ich mich draußen noch von A nach B bewegen? Nichts hat geöffnet, kein Café, kein Kino, kein Restaurant. Spulen wir einige Wochen vor – in die Gegenwart, das Kind ist inzwischen 6 Wochen alt – selbiges Problem: Wo soll ich stillen? Nicht mal mehr beim Bäcker darf ich Sitzplätze benutzen. Der Wickelrucksack steht so gut wie unbenutzt in der Ecke. Wo soll ich ihn schon mit hinnehmen? Ich hoffe, er wird 2021 nochmal ausgeführt. Und bitte nicht das zehntausendste Mal dieselbe Strecke durch den Park. Dazu kommt der mangelnde Kontakt zu anderen werdenden Müttern. „Ach die Tina! Die habe ich vor 20 Jahren beim Schwangerschafts-Schwimmen kennengelernt“ – Sätze, die niemals von mir fallen werden. Keine Kurse, keine offenen Elterntreffs, keine Berührungspunkte. Wer Kontakte einschränken soll, holt sich keine neuen dazu. So habe ich bis heute als frischgebackene Mutter keine Mutti-Freunde. 

Welch Glück: schwanger in einer Pandemie. Es hört sich absurd an … aber das Virus sorgt dafür, dass ich weniger neidisch bin. Wie schlimm klingt das bitte? Aber es ist wahr. Mein Instagram-Feed ist nicht mehr voller nackter Beine, die sich am Strand räkeln (Gott verfluche diesen blöden #VitaminSea), ich beneide niemanden mehr, der Lehrer ist und Beamtengehalt bekommt, und ich muss mir keine Sorgen mehr machen, durch Schwangerschaft und Elternzeit im Job etwas zu verpassen. Keine Gedanken verschwenden, wohin der Babymoon gehen könnte, den man sich nicht leisten kann. Keine Sorgen haben, dass heimlich eine absurde Babyparty geplant wird. 

Wir schaffen das

Außerdem beschwingt mich und meinen Freund ein Gefühl der Verbundenheit in unserer Beziehung: du, ich und unser Baby gegen die Welt. Krisenzeiten schweißen zusammen. Wir haben sogar einen kitschigen Moment, den ich niemals vergessen werde: Nach tagelangen Sorgen über Gesundheit & Finanzen, nach Tränen und dramatischen Whatsapp-Nachrichten an meine Freundinnen sitze ich im zweiten Trimester verträumt am Frühstückstisch und höre Hamburgs Oldie-Sender. The Stranglers trällern: „There’s always the sun, always. Always. Always the suuun.“ Von da an weiß ich, dass alles gut werden wird. Wir schaffen das. Wenige Stunden später kommt der Vater meines Blumenkohls nach Hause (so zumindest schätzt die App die Größe des Babys ein), er nimmt mich in den Arm und sagt euphorisch: „Heute war es SO regnerisch und dann kam plötzlich richtig schönes Wetter und nun mache ich mir keine Sorgen mehr.“ – Es ist mir egal, was andere sagen, das war ein Zeichen! Es war ein richtig zarter Moment. Und ein Wendepunkt in dieser Corona-Schwangerschaft. 

Welch Unglück: gebären in einer Pandemie. Puh. Es ist der größte Schatten, den dieses verdammte Virus auf das Glück eines Kindes wirft. Die ständige Angst, ob mein Partner die Geburt erleben kann, ob er an meiner Seite sein darf, bleiben darf. Die Klinikvorschriften quer durchs Land gleichen einem Labyrinth voller absurder Entscheidungen. Ich lese in der Zeitung, dass Männer in einem Landkreis „nur zur tatsächlichen Geburt ab 10 cm Muttermundöffnung“ in den Kreissaal dürfen. Ok. Wie nennen die Schlauberger, die sich so einen Blödsinn ausgedacht haben, die endlosen Stunden voller Wehen in der Eröffnungsphase? Ist das keine Geburt? Mein tiefstes Mitgefühl geht an alle Frauen, die coronabedingt ihr Kind allein zur Welt bringen mussten. Es zerreißt mir das Herz!

Bei meiner eigenen Geburt Anfang Dezember muss mein Freund zwei Stunden vor der Klinik ausharren, bis der negative Schnelltest da ist und ein Kreissaal frei wird. Ich liege währenddessen auf einer Liege in einem engen Flur voller Geräte, weil kein anderer Raum verfügbar ist. Wohl auch eine Folge des Corona Babybooms (laut meiner Frauenärztin, Hebamme und meines Apothekers sei dieser deutlich spürbar). Mein Muttermund ist sechs Zentimeter offen, ich veratme fleißig die Wehen und wimmere das Klinikpersonal an, dass ich meinen Freund brauche. Wann darf er endlich kommen? Ich habe doch schon längst einen Abstrich gemacht! Die zwei Stunden, in denen ich alleine mit meinen Wehen kämpfe, ohne seine Hand und Motivation an meiner Seite, sind die schmerzhaftesten Kontraktionen der gesamten Geburt. Ich fühle mich furchtbar allein und verfluche die Fledermäuse, das Labor, den Markt, oder was auch immer es am anderen Ende der Welt war, das nun dafür verantwortlich ist, dass ich mutterseelenallein an die Klinikwand starre.

Ohne Partner an ihrer Seite 

In unserem Fall erlebt der Papa noch rechtzeitig, wie sein Sohn das Licht der Welt erblickt. Trotzdem bin ich nach der Geburt recht melancholisch. Ich muss wegen eines Notkaiserschnitts drei Tage in der Klinik bleiben, eine ambulante Geburt war nicht möglich. Zum Glück erwischen wir eines der beiden Familienzimmer, mein Freund darf also bleiben. Oma und Opa dürfen uns natürlich nicht im Krankenhaus besuchen, und so sehen sie das Enkelkind, auf das sie Jahre sehnlichst gewartet haben, zum ersten Mal nur digital per Videocall. Viel schlimmer ist aber der Anblick der ganzen Frauen, die sich an ihren Baby-Beistellbetten klammernd über den Klinikflur schleppen. Ohne Partner an ihrer Seite. 

Welch Glück: Wochenbett in einer Pandemie. Während das Leben stillsteht, stille ich. Wir beobachten stundenlang den Säugling, der in unserem Daunenkissen zu versinken scheint. Niemand klingelt, niemand rüttelt uns aus unserer Trance. Wir starren und starren. Ein Neugeborenes, besser als jede Netflix-Serie, ähnliches Suchtpotenzial. Corona bietet uns die Chance, so wenig Besuch wie möglich in unseren Familienkosmos zu lassen, ohne entfernte Verwandte, Freunde und Kollegen vor den Kopf zu stoßen. Wir fühlen uns wie in Disneys Dornröschen, als die drei Feen den Hofstaat in einen tiefen Schlaf versetzen.  Das Volk schläft ein, draußen herrscht Stille, während wir in unserem Turm die Tage im Bett verbringen. Oder wie in „Frozen“ (übrigens völlig überbewertet! Es lebe Team Vaiana): Das Corona-Wochenbett ist wie der ewige Winter, der sich über Arendelle legt. Ich ziehe mir als frisch gebackene Mama die Handschuhe aus, baue mir meinen eigenen Palast aus Spucktüchern und Wochenbettvorlagen und summe: „Ich lass los, lass jetzt los – und ich schlag die Türen zu.“