Wir spazierten die Straßen auf und ab. Links, rechts… beide Kinder schliefen im Kinderwagen. Meine Nachbarin und ich unterhielten uns. Über unsere letzten Tage, Wochen, was so ansteht und wie es mit unserem Hauskaufplänen aussieht. Ich erzählte ihr, dass es schlecht aussieht. Naja, auch, dass wir uns von dem Wort „schlecht“ in dem Zusammenhang verabschiedetet haben, denn es sollte einfach gerade nicht sein. Wir, Hörby und ich, hatten uns nämlich eine Frist gesetzt, die eingehalten werden musste, um ein Haus zu kaufen. Die Frist war seine Kündigung. Aus verschiedenen Gründen, in erster Linie natürlich bürokratischen, war ein Hauskauf mit zwei Selbstständigen, davon einer frisch selbstständig, nicht so einfach zu realisieren. Es musste also bis Februar klappen und da es nicht klappt, hakten wir das Thema ab.
Ich erzähle meiner Nachbarin davon. Und dass wir einen neuen Plan A haben. Wir sind nun als Familie überhaupt nicht mehr gebunden, können machen, was wir wollen. Kein Arbeitgeber, (noch) keine Schule und keine Bank wartet auf uns oder unser Geld, daher nutzen wir das jetzt aus. So der Plan. Sobald wir coronabedingt dürfen, hauen wir ab. Raus, mal gucken wohin, wie lange. Wir lassen uns einfach treiben. Vielleicht zwei Wochen, vielleicht zwei Monate. Kein Plan. So der Plan.
Und wir liefen weiter, die Straßen auf und ab. Links, rechts… beide Kinder schliefen im Kinderwagen. Wir erreichten einen Weg, den ich im Moment häufiger gegangen bin. Dort wurde ein neues Haus gebaut. Vor einigen Wochen, als wir merkten, dass wohl die Zeit gewinnt und wir vielleicht doch noch mehr Gas geben sollten, versuchten wir dort jemanden zu erreichen, aber es ging keiner dran. Es war zu mieten. Wollten wir ja eigentlich nicht und irgendwas war an diesem bestimmten Tag los, deswegen ließen wir wieder davon ab.
Könnte der Eigentümer sein
Heute, an diesem Nachmittag, sah es jedoch besonders schön aus – das Miethaus, was wir eigentlich nicht wollten. Von der Sonne wurde es angeleuchtet und der Bauzaun war weit aufgestellt. Ich erzählte meiner Nachbarin, dass wir uns für dieses Haus interessiert haben, es aber eigentlich nicht in Frage kommt. Sie zeigte auf einen Mann, der versteckt hinter einem Zaun stand. „Könnte der Eigentümer sein, frag doch mal nach, ob es schon vermietet ist.“ Ich schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde hatte ich Zeit, bis ich wieder zuhause sein muss. Warum also nicht? Was heißt schon „eigentlich“ und „eigentlich“ will ich ja auch nur Zeit schinden und mir mal anschauen, was man alles so bauen kann… für den Fall, dass wir irgendwann mal bauen sollten.
Der vermeintliche Eigentümer (der es wirklich war) kam auf mich zu, fragte sehr nett, wie er mir helfen kann. Wir kamen sofort in ein Gespräch und er schlug mir vor, dass ich mir das Haus gleich anschauen könnte, wenn ich wollen würde. Ich rief Hörby an, der nur wenige Minuten entfernt war und da standen wir auf einmal in diesem Neubau – diesem ziemlich schicken Neubau. Der Eigentümer, der auch noch unser Nachbar sein würde, war so nett, dass wir uns am liebsten mit einem Bier auf die noch nicht vorhandene Terrasse gesetzt hätten und mit ihm über unsere gleichaltrigen Kinder und unser Leben geschnackt hätten. Das Haus: perfekt. Perfekt für uns. Groß, gut geschnitten. Wir Eltern hätten eine eigene Etage für uns, die Kinder große Zimmer, ein Keller als Büro. Die beste Ausstattung, die Lage ein Traum. Scheiße… dachte ich mir. Wir wollten doch nicht mehr mieten. Mein Plan, unser Plan, ging nicht auf. Ich biss mir irgendwie da schon in den Arsch, dass ich das Haus überhaupt betreten habe. Es fühlte sich an als wäre ich in spiegelglattes Wasser, was nach einem langen Sturm endlich zur Ruhe gekommen war, mit Anlauf reingetreten.
Ein Haken hat das Haus jedoch. Der Garten. Winzig und angrenzend an einen Parkplatz in Ostausrichtung. Aber mein Gott, dachten wir uns, ist halt so. Ich sah mich schon morgens mit meinem Kaffee (ich würde mir eine kleine Kaffeemaschine ans Bett stellen) im Morgenmantel auf der Dachterasse stehen, die ans Schlafzimmer angrenzte. Herrlich.
Ist das unser Haus?
Wir verabschiedeten uns von unserem Traumnachbarn und verließen das Haus. Wir haben beide ein paar Minuten nichts gesagt. Ich denke, dass wir beide Angst hatten, es auszusprechen. Ist das unser Haus? Unser neues Zuhause? Wieder ein Miethaus?
Wir lieben unsere jetzige Wohnung so sehr. Nicht nur, weil sie wunderschön ist, sondern auch, weil hier so viele Emotionen dranhängen. Wir haben einen riesigen Garten, den schönsten Ausblick. Eine Pferdewiese angrenzend und ganz viel Sonne. Aber sie ist zu klein. Zwei Zimmer zu klein. Dazu kommt noch, dass wir keinen Keller mehr haben – schimmelig. Extrem schimmelig. Deswegen horten wir alles, was wir besitzen, in unserer „zu kleinen“ Wohnung. Der Garten ist nicht direkt zu betreten, wir nutzen ihn also viel weniger, als wir könnten. Und dann sind hier noch ein paar andere Haken, die uns immer wieder die Augen verdrehen lassen.
Das Haus wäre eine tolle Lösung. Für die nächsten Jahre. Bis wir dann wirklich was kaufen werden. Das wird wahrscheinlich erst in zwei Jahren realisierbar sein. Bis dahin könnten wir es uns in dem neuen Haus richtig schön machen – richtig schön! Aber wir bezahlen dort auch so viel Miete, dass wir locker-flockig ein richtig schönes Häuschen in Hamburg abbezahlen könnten – das, was wir im letzten Jahr gesucht und nicht gefunden haben. Dann ist da aber ja noch unsere Flexibilität, die wir noch zwei Jahre haben. Wir können machen was wir wollen. Reisen, wohin wir wollen. Nach Italien fahren und nicht wieder kommen – wenn wir wollen. Interessiert niemanden. Nur das Marmeladenglas, dass mit vielen kostbaren Momenten gefüllt wird. Oder könnte das auch in unserem Minigarten mit Ostausrichtung gefüllt werden?
Wir entschieden uns dafür, uns fürs Haus zu bewerben. Das Haus ist sehr beliebt, den ganzen Tag über wurde es besichtigt. Der Eigentümer sagte uns, dass er eigentlich schon genug Bewerber hat und sich schon morgen entscheidet. Wir mussten also schnell agieren. Wir sagten uns, dass wir uns immer noch entscheiden können, falls wir wirklich eine Zusage bekommen sollten. Und noch am gleichen Abend klingelte mein Handy. Wir kriegen das Haus, wir würden perfekt reinpassen. Nochmal: Scheiße. Mein Herz rutschte in die Hose und ich fing erstmal an zu heulen. Aus Freude? Aus Angst? Ich wusste es nicht. Klar war aber, wenn wir nicht doppelt (eine Monstermiete) zahlen wollten, müssen wir in zwei Tagen alles fix machen. Unsere zu kleine, aber wunderschöne Wohnung kündigen, die uns oft nervt, aber auch so am Herz hängt und den Mietvertrag für das „perfekte“ Haus mit kleinem Garten unterschreiben. Was werden wir machen? Was würdet ihr machen?
Die Kinder hätten mehr Platz zu spielen
Den ganzen Tag unterhielten wir uns darüber, sprachen mit Familie und Freunden, zählen die Vorteile und Nachteile auf. Man bedenkt, dass mein Mann ab nun an selbstständig ist, wir beide. Ich habe gerade ein Unternehmen gegründet. Finanziell bedeutet es für uns gerade alles, aber keine Sicherheit. Aber im neuen Haus haben wir mehr Raum zu arbeiten, effektiver zu sein. Die Kinder hätten mehr Platz zu spielen, Kinder im gleichen Alter als Nachbarn. Aber was ist mit unserem Plan viel zu reisen? Dann zahlen wir Miete für nichts. Schmeißen sie aus dem Fenster heraus. Bei einem Eigenheim zahlen wir wenigstens ab, hier zahlen wir dafür, dass es leer steht.
Hin und her. Ja, Nein. Mein Bauch verkrampfte sich immer mehr. Jetzt oder erst in zwei Jahren wieder. Denn das Haus ist zwar teuer, aber für Hamburg, in der Größe, mit der Ausstattung ein Schnäppchen. Das klingt ziemlich absurd, ist aber so. Wenn wir dieses Haus nicht nehmen, werden wir noch zwei Jahre in unserer Wohnung bleiben. Wahrscheinlich.
Und wenn wir doch noch mal eine solche Chance bekommen sollten, wäre sie nicht „um die Ecke“, so, dass wir unsere Kinder aus der Kita nehmen müssten, irgendwo neu anfangen, um dann irgendwann wieder umzuziehen. Ihr merkt… ein „Falsch“ oder „Richtig“ gab es hier für uns nicht. Noch nicht einmal ein „Vernünftig“ oder „Unvernünftig“. Denn was ist schon vernünftig?
Wir sagten das Haus zu. Es sollte so sein. An diesem besagten Tag sollte ich dort langlaufen. Wir haben das Haus bekommen. Es sollte so sein. Also sagten wir „Ja, wir wollen es.“
Ein Tag später hatten wir den Termin zur Unterzeichnung des Mietvertrags. Unsere Wohnung haben wir natürlich noch nicht gekündigt, aber wir hatten unserer Vermieterin (mit der wir ein gutes Verhältnis haben) telefonisch schon mitgeteilt, dass wir etwas anderes im Blick haben*. Mittags, genau eine Stunde vor dem Termin, hatte ich den Mietvertrag auf dem Tisch. Ich las ihn durch und wusste, dass wir einen Fehler machen. Wir setzten uns wieder an den Tisch. 14:45 Uhr. Eigentlich müssten wir jetzt losfahren – zum Termin. Aber wollen wir das machen? 15:00 Uhr. Ich rief den Eigentümer an und sagte, dass wir noch einen Tag Bedenkzeit brauchen. Für uns ist das eine wirklich schwierige Entscheidung. Wir sprechen hier in Hamburg nämlich über einen fast sechsstelligen Betrag Miete, den man in weniger als vier Jahren bezahlt. Und wir sprechen über weniger Flexibilität. Und den Ausblick auf einen Parkplatz anstatt, auf eine Pferdewiese.
Der Eigentümer sagte uns, dass wir ihm bitte am Abend Bescheid geben sollten. Eine Stunde nach unserem Gespräch, griff ich wieder zum Hörer. „Es tut mir total leid, aber mein Bauch sagt: Nein. Wir unterschreiben nicht.“ Er versicherte uns, dass das kein Problem ist und einen Tag später hatte das Haus neue Mieter. Und wir. Wir bleiben wir. In unserer schönen Wohnung. Werden weiterhin zwei Zimmer zu wenig haben und weiterhin einen nassen Keller akzeptieren müssen. Wir lagern unsere Sachen jetzt ein, kaufen für die Kinder ein Hochbett, so haben sie mehr Platz. Wir misten nochmal richtig aus und können es kaum erwarten, wenn wir mit den Füßen im warmen Sand stehen und wissen, dass wir ohne schlechtes Gewissen weg bleiben können.
Nur eins weiß ich trotz unserer Entscheidung nicht… hat da jetzt mein Kopf oder mein Bauch entschieden? Beides fühlt sich nach wie vor an wie das unruhige Wasser, nach einem unvorsichtigen Sprung in das gerade zur ruhe gekommene Gewässer.
*In Hamburg braucht man eine Vermieterbestätigung, dass man immer pünktlich die Miete gezahlt hat und muss daher (schon bevor man überhaupt einen Zuschlag hat) mit seinem bisherigen Vermieter über einen Auszug sprechen.