Wie viel muss man selbst erlebt haben, um mitsprechen zu können? Das frage ich mich gerade, als ich vor dem leeren Word Dokument sitze und meine wütenden Zeilen in die Tasten hauen möchte. Ja… wie tief muss ich selber in der Scheiße gesessen haben, damit ich laut aussprechen darf, dass da keiner hingehört? Eine Antwort darauf kann ich selber nicht geben, auch, wenn ich selber schon ziemlich in der Scheiße saß. Was ich aber weiß, ist, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen, dass wir glücklich sein dürfen. Schon heute, nicht erst morgen.
Ich saß auf dem Friseurstuhl und hatte endlich Zeit in Ruhe die Nachricht meiner Freundin zu lesen, die mir vor ein paar Tagen ein „kleines Buch“ geschickt hatte, in dem sie erklärte, wie unglücklich sie in ihrer Ehe ist. Meine Freundin kenne ich schon seit 15 Jahren und in dieser Zeit bekam ich nicht nur ihre Ehe mit, sondern auch ihre erste Beziehung, die zweite und die Dates dazwischen. Und all das, was ich da mitbekam, gefiel mir nicht. Einerseits okay, denn es ist nicht mein Leben, es ist nicht meine Beziehung. Doch eins, dass spiegelte sich von Beziehung zu Beziehung wider: sie liebte sich zu wenig, gab sich immer wieder auf, verzieh Fehler oder macht andere Fehler zu ihren, sie flatterte in ihren Beziehungen mit, wie ein Fähnchen im Wind und jedes Mal wurde es eine Notbremse. Eine heftige Notbremse, die schon viel schneller hätte gezogen werden müssen.
Ich kenne dieses Gefühl, das Gefühl, das Ende der Straße zu sehen, die Sackgasse und den Tacho, der anzeigt, dass ich noch viel zu schnell bin, noch viel zu sehr aufs Gas drücke. Auch ich war in einer solchen Beziehung, die mich geprägt hat, die mich einige Jahre meines Lebens gekostet hat. Die Jahre, in denen ich geliebt habe und die, in denen ich nicht vergessen konnte. Denn diese Beziehung war toxisch – aufs Äußerste. Doch ich konnte mich nicht lösen, war wie gefangen und musste erst richtig tief auf den Boden fallen, um zu verstehen, dass das nicht meine Vorstellung von Glück ist. Wann ich das verstanden habe? Als ich von der zweiten Frau einen langen Zettel mit all den Liebesbekenntnissen der letzten Jahre bekommen habe, die mein damaliger Freund auch ihr schrieb. Da war auf einmal also das Ende der Sackgasse erreicht und mein Airbag ging auf. Heftig. Viele Rippen waren gebrochen und mein Herz. Doch irgendwann heilte es.
Meine Mutter sagte mir damals, als ich kurz davor war, vor Liebeskummer alles hinzuschmeißen, dass ich es jetzt wenigstens schon hinter mir habe, dass ich daraus lernen werde und irgendwie auch froh sein kann, dass ich so früh schon weiß, was ich nicht will. Und ja, das stimmt. Es klingt irre, aber irgendwann habe ich verstanden, dass mich diese schreckliche Erfahrung auch stärker gemacht hat, klarer und voller Vertrauen in mich und darauf, dass dort draußen jemand wartet, der mir guttut.
Meiner Freundin antwortete ich, dass es so nicht weitergeht. Keinen Zentimeter. Dass eine Beziehung nicht aus Hingabe und Aufopferung besteht, sondern aus Liebe und Vertrauen. Dass es keinen Ausweg mehr gibt, dass sie das Ende der Straße ganz klar vor sich sieht und egal, wie sehr sie probiert, sich anzupassen, es wird nicht funktionieren. Nicht so, wie sie es verdient hat. Nicht so, wie Glück sich anfühlt. Nicht so, wie wir das Leben schätzen sollten. Ich schrieb ihr, dass es besser wäre, wenn sie ihre Tasche packt – und zu mir kommt. Sie schrieb, dass sie sich nun wieder vertragen haben und sie ihm noch eine letzte Chance geben würde.
Noch eine letzte Chance.
Die Zeit mit meinem Exfreund war schrecklich. Ich kann mich an keinen schönen Moment erinnern, diese Jahre waren wie ein schwarzes Loch, dass mich immer mehr vom Leben entfernt hat. Und doch bin ich heute im Frieden mit der Zeit, mit meinem Exfreund, mit mir. Ich habe in erster Linie mir verziehen, dass ich so mit mir umgehen lassen habe und mich im Umkehrschluss selbst so behandelt habe. Und ich habe ihm verziehen, der mich höchstwahrscheinlich gar nicht bewusst (um mich) betrog. Ob ich diese Jahre gerne streichen würde? Eigentlich schon, doch ich habe aus ihnen gelernt, mehr als ich es in der Theorie jemals tun könnte. Umso mehr schmerzt es mich, wenn ich Frauen erlebe, die noch nicht wissen, wie viel sie wert sind. Frauen, die Fremde sind oder Freundinnen. Frauen, die so viel mehr wert sind, als sich anzupassen. Frauen, die denken, dass Ehe bedeutet, gefangen zu sein. Frauen, die Angst haben, alleine zu sein. Frauen, denen der Mut fehlt, sich Hilfe zu holen.
Denn es geht. Denn ihr, nein wir, sind stark genug, um unseren ganz eigenen Weg zu gehen, am besten mit jemandem an der Hand, der einen gerne begleitet. Doch unser Leben muss unser Weg sein. Unser Glück muss in unserer Hand liegen. Nicht jeder muss in die Scheiße fallen, um zu verstehen, wie es sich im Himmel anfühlt. Wir müssen nicht den Schmerz erfahren, um zu verstehen, wie wir ohne ihn leben. Dafür müssen wir aber achtsam sein. Mit uns, unseren Gefühlen, unserer Zeit – die uns keiner wiedergibt. Vielleicht weiß ich jetzt auch eine Antwort auf die Frage vom Anfang… denn ich denke, dass wir nur durchs „drüber sprechen“ hinbekommen, dass nicht jeder diese schmerzhafte Erfahrung machen muss.