Namensliste

Wir hatten sie uns so zuckersüß vorgestellt: Ein kleines Mädchen, blonde Hobbit-Locken, Cord-Latzhose und Grübchen, spielt mit ihren Gummistiefeln in einer Pfütze und dreht sich frech grinsend zu uns herum, wenn wir sie rufen: „Komm, Thalia!“

Uns gefiel der Name und – wenn überhaupt – dachten wir an die griechische Muse der Dichtung und Unterhaltung. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, so wenigen Menschen wie möglich von unseren Namensideen zu erzählen. Aber ich trage das Herz auf der Zunge und da wir schon das Geschlecht nicht wissen, wollte ich zumindest über Namen plaudern. Na gut, seien wir ehrlich: Ich wollte nur einmal die Bestätigung hören: „Och, süß. Das ist ja ein niedlicher Name!“. Stattdessen entsetzte Gesichter, hochgezogene Augenbrauen, verwirrte Emojis bei WhatsApp: „Thalia?! So wie die Buchhandlung?“. Das hatten wir völlig verpennt. Dadüm. Seitdem schwebt über unserem kleinen Pfützenmädchen ein großes Fragezeichen, und wir können Sie in Gedanken gar nicht mehr zum Essen reinrufen. 

Niemals im Leben hätte ich gedacht, wie schwer es mir fallen würde, ein Kind zu benennen. Bei Haustieren oder fremden Babys war ich immer so einfallsreich und schnell, immerhin gibt es mehr Namen auf der Welt als man überhaupt googlen kann. Doch plötzlich muss ich mein eigenes Fleisch und Blut taufen und erstarre: Wie soll ich einem Wesen einen Namen schenken, das ich noch nicht mal kenne? Was weiß ich denn, ob da später ein stiller Jonathan oder ein lustiger Kalle draus wird.   Er wird diesen Namen täglich hören. Wir werden ihn täglich aussprechen. Der Name wird von Klassenlehrern aufgerufen, in Vereinen gebrüllt, auf Geburtstagskarten geschrieben, auf Visitenkarten gedruckt, ja, sehr wahrscheinlich auch auf seinem Grabstein stehen. Das ist ein Druck, der mich fertig macht. Eine riesige Verantwortung. Soll er sich ein Leben lang dafür rechtfertigen, was seine Eltern da fabriziert haben?

[Anekdote: Ich war im Studium Schwimmlehrerin im Bremer Brennpunkt Osterholz-Tenever. Ein Junge aus der Seepferdchengruppe hieß (ohne Witz!) Jack Daniel. Seine Badesachen hat er auch in einen Jack-Daniels-Whiskey-Werberucksack gestopft. Welcher Standesbeamte hat das genehmigt?]

Gerade bei einem Jungen fällt mir die Wahl besonders schwer. Die Namen, die mir ins Herz gehen, sind in den Top-20 der Namenslisten. Alles was darunter ist, geht mir nicht ins Herz. Einen Tod muss man sterben. Ein Mädchen kann gefühlt außerdem oft als Baby, Kind, Teenager, Frau und Oma einen lieblichen Namen tragen. Aber welche Frau möchte später einen bärtigen, starken Holzfäller-Typ daten, der Mio oder Lino heißt? Mal ganz davon abgesehen, dass Lino auch der Hämorrhoiden-Elefant aus der Werbung heißt.  

Das klingt ja wie eine Prostituierte

Die Krux ist natürlich immer: Jeder verbindet Namen mit bestimmten Personen, Geschichten, Milieus, Filmfiguren, Bekannten. 

Ich hätte als Mädchennamen zum Beispiel auch Lyanna toll gefunden – die wilde Bogenschützin aus den Game-of-Thrones-Büchern, die durch Schlamm galoppiert und sich nicht von den Männern unterkriegen lässt. Mein Freund fand Lyanna grauenvoll: „Das klingt ja wie eine Prostituierte oder Stripperin“. Joa, stimmt. Geht auch. „Und heute an Stange Nummer 4 – bitte einen Applaus für Lyanna!“. Wie kann ein und derselbe Name so unterschiedlich für uns klingen? Von der abenteuerlichen Kriegerin zum Showgirl. Zumindest den Schlamm hätten sie gemeinsam. Oder das Reiten. 

Ich selber trage einen selteneren Namen. Es hat mich damals betrübt, dass es keine passende Diddl-Tasse für mich gab, aber eigentlich fand ich es immer toll, dass niemand auf dem Schulhof hieß wie ich. Einen Gefallen, den ich meinen Kindern wohl nicht geben kann, denn mein Partner liebt klassische Namen. Beziehung heißt Kompromiss. Gott, wie ich das hasse. Warum sind Namen nicht wie Netflix-Serien? Heute entscheide ich, morgen du. 

Ist es vielleicht mehr mein Ego?

Ganz hilfreich ist dabei übrigens die App „Kinder“. Wie bei „Tinder“ können beide Partner bei einem Namen nach links oder rechts swipen, am Ende werden die Matches angezeigt. Das hat auch unser Namenskuddelmuddel eingegrenzt. 

Ach, wären da bloß nicht diese lästigen Listen. Deutschlandweite Trends, regionale Unterschiede, Prognosen. Meine Schwester sagt immer, ich soll mich dabei nicht so auf die Hitlisten versteifen. Aber ich komme täglich ins Grübeln: Werden Fiete, Ben und Henry nicht die „Daniels“ & „Philipps“ ihrer Generation? Oder die „Stefan & Sabine“ aus der Generation unserer Eltern? Die Kleinen sollen doch nicht zig Namensdoppelgänger von der Krabbelgruppe bis im Studium haben. Oder würde sie es überhaupt nicht stören? Ist es vielleicht mehr mein Ego, was sich mehr einen originellen statt beliebigen Namen wünscht? Das Netz sagt zum Glück, dass es heutzutage viel mehr Namensvielfalt gibt als früher. Sprich: Die damalige Nummer Eins 1967 (Thomas) gab es viermal häufiger als zum Beispiel 2014 den Spitzenreiter (Ben). Irgendeiner muss halt die Liste anführen, ob sein Name dann wirklich querbeet über die Spielplätze der Republik gerufen wird, bleibt die Frage. 

Vielleicht bin ich auch nur ein harter Kritiker. Wird im Bekanntenkreis ein Kind geboren, denke ich zu 90% dabei: Uäh. Oder eben: Langweilig. 10% finde ich ganz niedlich. Wie wird das Umfeld auf meine Nachricht aus der Klinik reagieren? Sollte mich eigentlich nicht jucken. Tut es aber. 

Wir gehen nun mit jeweils zwei Namen für jedes Geschlecht in den Kreissaal rein. Mal schauen, wie der/die Lütte ausschaut. Die Frage ist also nicht nur ob XX oder XY, sondern ob X oder Y. Ob das Bauchgefühl stimmt. Ob sich unser Name mit dem Säugling im Arm richtig anfühlt. Oma und Opa machen sich auch schon Gedanken, was wir wohl fabriziert haben. Ich habe gesagt: „Macht Euch keine Sorgen. Kinder wachsen in ihre Namen hinein. Und selbst, wenn ich mein Kind Ursula nenne, werdet ihr trotzdem ein Leben lang die Uschi über alles lieben“. Das hat sie beruhigt. Mich auch ein bisschen. Vielleicht verschwindet das Fragezeichen über der kleinen Thalia in ihrer Pfütze auch wieder ein wenig. 

„Ursula, komm!“, klingt doch auch süß.

 Wehe, jemand macht mir diesen Namen jetzt kaputt.

Zum Abschluss (weil hey, obligatorisch, wenn es um Babynamen geht), hier eine Liste von Namen, die in Deutschland tatsächlich für Kinder genehmigt wurden: 

  • Schokominza
  • Lafayette
  • Kantorka
  • Klee
  • Godpower
  • Blaubeere
  • Champagna
  • Cinderella-Melodi
  • Despot
  • Fanta 
  • Gneisenauette
  • Imperial-Purity
  • Katzbachine
  • Legolas
  • Matt-Eagle
  • Milka
  • November
  • Siebenstern oder
  • Solarfried.