„Veganer sind blass, schlecht gelaunt und können nichts essen außer Salat.“ Das ist nach wie vor ein weitverbreitetes Bild und wenn es auch noch um vegane Ernährung bei Kindern geht, hört bei einigen das Verständnis komplett auf: „Ihr könnt eurem Kind Fleisch doch nicht vorenthalten.“ Vereinzelte Schreckensnachrichten von unterernährten Kleinkindern veganer Eltern heizen die Diskussionen immer wieder auf. Doch macht vegane Ernährung unsere Kinder wirklich krank?
Sina und Katrin leben in den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands und verzichten beide auf tierische Produkte. Beide Frauen haben Töchter, doch nur Sinas Kind lebt auch vegan. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Ernährungsweisen innerhalb Katrins Familie, liegt es wirklich an der Angst vor einer Mangelernährung?
Meiden Veganer nur Fleisch?
Was genau bedeutet eine vegane Ernährung eigentlich? Meiden Veganer nur Fleisch? Menschen, die nur auf Fleisch verzichten, sind Vegetarier, wenn jedoch keinerlei Produkte tierischen Ursprungs auf dem Speiseplan stehen, sprechen wir von einer veganen Ernährung. Viele vegan lebende Personen vermeiden in allen Lebensbereichen Produkte oder Beschäftigungen, die eine Ausbeutung von Tieren zur Folge hätten.
Sina lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Schwarzwald und hat sich schon im Alter von 10 Jahren dazu entschlossen, vegetarisch zu leben. „Irgendwie habe ich vorher verdrängt, dass das, was ich da esse, wirklich Tiere sind, die ich doch so sehr liebe“, so die heute 27-jährige. Seit nun inzwischen acht Jahren gehört sie zu den circa 1,13 Millionen Veganern in Deutschland, zu denen auch ihr Mann zählt. Vegan zu leben bedeutet, hingegen der allgemeinen Annahme, meist jedoch nicht nur auf Lebensmittel tierischen Ursprungs zu verzichten, sondern laut PETA Deutschland e.V. „tragen Veganer auch keine Kleidung oder Schuhe, die aus tierischen Materialien wie Leder, Pelz, Daunen oder Wolle bestehen. Sie verwenden nur Kosmetikprodukte und Reinigungsmittel, die keine tierischen Inhaltsstoffe enthalten und nicht in Tierversuchen getestet wurden. Darüber hinaus gehen Veganer nicht in Zoos, besuchen keine Zirkusse mit Tieren und reiten in ihrer Freizeit nicht auf Pferden.“
Auch Katrin verzichtet bewusst auf tierische Produkte, wie beispielsweise Milch. Nach jahrelangen gesundheitlichen Problemen und unzähligen medizinischen Untersuchungen wurde bei der Schleswig-Holsteinerin letztendlich eine Laktoseintoleranz entdeckt. Diese Unverträglichkeit betraf ursprünglich alle Menschen – und erst im Laufe der Evolution begann der Mensch, Lactase, das Enzym zur Milchverdauung, auch im Erwachsenenalter zu produzieren. Nach wie vor können höchstens ein Drittel der Weltbevölkerung problemlos Milch konsumieren. Nachdem die Mediziner Katrin im Anschluss an die Diagnose nicht weiterhelfen konnten, nahm sie das Problem selbst in die Hand, stellte ihre Ernährung um und strich alle tierischen Produkte von der Zutatenliste. „Nach kurzer Zeit waren die Schmerzen weg“, so Katrin. Das ist bereits zweieinhalb Jahre her und schnell merkte sie, dass für die Umstellung auch ihr Geldbeutel dankbar war: „Durch das viele Kochen und Planen kam der finanzielle Aspekt dazu. Das überraschte mich. Aber klar, Obst und Gemüse ist günstiger als Fleisch.“ Es gäbe auch viele teurere pflanzliche Fleischalternativen, allerdings seien diese eben auch nicht unbedingt gesund. Das Wohl der Tiere liegt Katrin auch sehr am Herzen und ist ein weiterer Grundstein ihrer veganen Ernährung.
Vor 14 Monaten ist Sinas Tochter zur Welt gekommen und ihre Eltern achten auch bei ihrem Nachwuchs auf eine vegane Ernährung. Es leuchte ihnen nicht ein, warum sie für ihr Kind extra Fleisch, Milch und Co. einkaufen sollten, wenn sie sich beide aus Überzeugung vegan ernähren würden. „Jedes Kind wächst doch irgendwie mit den Essgewohnheiten der Herkunftsfamilie auf und bei uns gibt es eben nichts vom Tier.“
Das Pflanzenreich bietet alles
Wie geht die Familie mit den Bedenken um, dass eine Ernährung ohne Fleisch, Milch und Co. vor allem bei Kindern zu einem Mangel an Nährstoffen führen könne? Sina ist zertifizierte Ernährungsberaterin und beteuert, dass es keinen Grund zur Angst gebe und eine vegane Ernährung in jeder Lebensphase problemlos möglich sei: „Das Pflanzenreich bietet alles, was man braucht, um gesund zu sein“, nur Vitamin B12 müssten Veganer noch extra zu sich nehmen. Bereits vor und vor allem während ihrer Schwangerschaft musste sie sich anhören, dass sie ihrem Kind schaden würde. „Und was war? Ich hatte eine vollkommen unkomplizierte Schwangerschaft. Am Ende kam da doch tatsächlich ein kerngesundes und quietschfideles Vier-Kilo-Baby, dem es an nichts fehlte.“
Katrins 6-jährige Tochter isst, im Gegenteil zu ihrer Mutter, auch tierische Produkte. Laut Katrin hat das aber gar nichts mit einer Angst vor einer Mangelernährung zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit der Selbstbestimmung ihrer Tochter. Ihr Kind war schon dreieinhalb Jahre alt, als Katrin beschloss, ihre Ernährung umzustellen, und sie wollte ihre Tochter nicht zwingen es ihr gleich zu tun: „Ich kann es ihr nur vorleben und ihr die Richtung zeigen. Den Weg muss sie aber selbst gehen. Mit Zwang geht das nicht.“ Sie mache sich auch keine Sorgen um eine unzureichende Ernährung ihrer Tochter, wenn diese sich auch für eine vegane Ernährung entscheiden würde. „Ich würde behaupten, sie ist jetzt besser versorgt als die Zeit, bevor ich vegan geworden bin. Warum? Weil ich mich mehr mit den Nahrungsmitteln auseinandergesetzt habe als früher und weiß, wie wichtig Supplemente sind – übrigens auch für Mischköstler.“
Ähnlich geht auch Sina mit dem möglichen Wunsch ihrer Tochter nach tierischen Produkten um. „Wir sind uns absolut einig, dass wir niemals mit Verboten arbeiten werden. Zu Hause und innerhalb der Familie wird vegan gegessen, außerhalb wird aufgeklärt – wie sie sich entscheidet, bleibt ihr völlig wertfrei überlassen. Aber eben erst zu einem Zeitpunkt, wo sie überhaupt in der Lage ist, bewusst zu entscheiden.“ Bei der Wahl einer Kita wird Sina ebenfalls darauf achten, wie das Essensangebot ist und hofft darauf, dass es auch vegane Optionen geben wird. Bei Katrins Tochter was das nicht möglich: „Ich hätte gerne darauf geachtet, allerdings wohnen wir ziemlich ländlich und das Thema pflanzenbasierte Ernährung ist hier noch nicht angekommen. In der Kita war es sogar ein Diskussionsthema und ich wollte nicht zwischen der Beziehung zu den Erzieherinnen stehen. Jetzt geht sie in die Schule, da bringt sie Ihr Mittagessen einfach selbst mit.“
Da redet kein Mensch über Mangelerscheinungen
Am liebsten isst Katrins Tochter, wie so viele Kinder, Pommes und Nudeln, ihre Mutter achtet jedoch sehr darauf, dass ihr Teller möglichst bunt gefüllt ist. Die Töchter der Frauen essen beide gern Rohkost in allen Formen und Farben und beide Mütter achten auf eine ausgewogene Ernährung der ganzen Familie. Katrin versteht nicht, wieso vegane Ernährung per se verteufelt wird, wenn bei manchen anderen Familien „das einzige Obst im Einkaufswagen der Orangensaft ist.“ Sina sieht das ähnlich: „Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass es kommentarlos hingenommen wird, wenn Kinder ausschließlich trockene Nudeln, Fruchtzwerge und Marmeladentoast essen. Da redet kein Mensch über Mangelerscheinungen, aber sobald das Wörtchen „vegan“ im Raum steht, ist der Aufschrei groß. Menschen, die behaupten eine vegane Ernährung würde Kindern schaden, haben schlichtweg keine Ahnung von dem, was sie da erzählen. Fakt ist: Es ist sehr gut möglich, gesunde vegan ernährte Kinder großzuziehen. Dafür gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele.“ Die Entwicklung ihrer Tochter würde die vegane Ernährung jedenfalls nicht negativ beeinflussen. „Wir haben ein stinknormales, durchschnittliches, zuckersüßes Kind.“
Sina findet ihr übrigens über @mutimbauch