Folge 6 von unserem digitalen Roman
„Amor, ich hoffe, du hast auch ein paar schöne Schlüpfer dabei. Du weißt schon. Ohne ausgeblichene Stellen im Schritt“, sagt Lupita mit einem Lächeln.
„Ursula!“, zische ich sie an. „Nicht vor dem Taxifahrer.“
„Der spricht doch nur Spanisch. Als ob der jetzt Deutsch kann. Testen wir es: Hey – lieber Fahrer, du toller Mann“, sagt Lupita. Keine Regung. Er konzentriert sich weiter auf die bunten Gassen Cartagenas. Ab und zu schaut er mir im Rückspiegel in die Augen. Er sieht müde aus, mit seinem grauen Haar, das zurückgegelt ist.
„Weißt du, die Flecken in meinen Slips zeugen von einem sauren Scheidenmilieu und einem sehr gesunden Ausfluss“, sage ich stolz. Ich halte Alea fest im Arm, der Gurt ist um uns beide gewickelt. Es gibt hier keine Taxis mit Kindersitzen. Und ein Mietauto mit Autoschale war zu teuer. Zum Glück fährt der alte Mann langsam.
Liebesleben? Welches Liebesleben
„Also Slip ist das falsche Wort. Ich kenne deinen Wäscheständer, mi linda. Das sind gefühlt ausgeleierte Snoopy-Schlüpfer aus den Neunzigern. Ich hoffe, du hast dir noch zwei, drei neue Teile gekauft für diesen Urlaub. Wenn du schon Freiheit in eurer 3-Monats-Pause aushandelst, sollte zumindest die Unterwäsche stimmen“, sagt Lupita.
„Oh Gott, ich schlafe hier doch mit niemandem. Die Pause ist, um uns zu besinnen, auf das, was uns wichtig ist. Durchzuatmen. Keine Verpflichtungen zu haben. Abstand zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass Moritz diese Pause zum Bumsen nutzt. Und ich werde es auch nicht. Das könnte ich nicht ohne schlechtes Gewissen. Und ich habe nachts immer noch Alea samt Babyphone-Dienst an der Backe“, antworte ich ihr.
„Heißt das, du würdest zum Beispiel diesen Taxifahrer nicht gerne verführen wollen?“, fragt Lupita.
Tatsache. Er bedient meine Alte-Männer-Fantasien. Ende 50 ist er locker. Der Abturner aber: Die Mafiosi-Frisur und quadratische Lederschuhe wie im Altersheim.
„Du hast mir in letzter Zeit gar nichts mehr über euer Liebesleben erzählt, Mia. Also deins und Moritz`“, sagt Lupita und putzt dabei ihre Sonnenbrille.
„Wir hatten ja auch keins mehr. Wir hatten oft wochenlang keinen Sex. Ich war genervt, wenn er nicht da war. Und ich war genervt, wenn er da war. Keine Libido, kein Bedürfnis. Dazu war ich einfach nur ausgelaugt und saumüde“, sage ich und bin dabei froh, dass meine Kleine noch nicht sprechen kann und verträumt aus dem Fenster guckt.
„Ich meine, du musst Moritz ja nicht die ganze Nacht reiten. Aber mal so … 10 Minuten für ne Missionarsnummer geht ja schon klar müde, finde ich“, sagt sie.
Geheimcodes und Weltenbummler
Es sind die kleinen Momente, in denen mir klar wird, dass Lupita kinderlos ist. Man kann keinem Menschen erklären, wie sich Verliebtheit anfühlt, wenn man es selbst nicht erfahren hat, und genauso wenig kann ich kinderlosen Mitmenschen erklären, wie es ist, ein Kind zu haben. Dieses unsichtbare Band, wenn zwei Menschen den Geheimcode und den Wahnsinn kennen, spüre ich nur mit anderen Eltern.
„Puh, nee ey. Man liegt ja auch nicht nur faul auf dem Rücken. Selbst als passiverer Teil muss ich mein Becken durchdrücken, mal die Beine um ihn schlingen, meinen Bauch anspannen. Selbst dafür fehlt mir oft die Kraft“, sage ich.
Der Taxifahrer blickt in den Rückspiegel zu mir. „Ya estamos aquí“, nuschelt er mit tiefer Stimme und steigt aus. Lupita ist als Mexikanerin Muttersprachlerin, doch auch ich verstehe Spanisch ganz gut. Nach dem Abi war ich ein Jahr lang in Guatemala. Eine Zeit, in der ich davon träumte, mal eine kleine Weltenbummlerin zu werden. Stattdessen freue ich mich nun – elf Jahre später – einen Keks, wenn ich es mit Alea zu einem Ausflug in die Lüneburger Heide schaffe. Es ist ein schönes, privilegiertes Leben, aber dennoch nicht so wild, wie ich dachte, dass es einmal werden würde.
Glasklares Wasser, Palmen, Kokosnüsse im feinen Sand
Ich nehme Alea in die Trage, um im Kinderwagen unsere Taschen und Koffer zu schieben. Die kleinen Strandhütten liegen vor uns und mir stockt der Atem. Egal, was in diesem Urlaub noch passiert. Egal, wie oft ich dieses Kind alleine bespaßen muss – dieser Blick ist es wert. Glasklares Wasser, Palmen, Kokosnüsse im feinen Sand. Während des Check-Ins kann ich mich gar nicht konzentrieren, ich möchte schreien und Luftsprünge machen und mit meinem Baby in die Wellen springen. Lupita strahlt mich an.
„Dafür hat sich jeder Ärger mit der Arbeit gelohnt, verdad amor?“
Oh, die Arbeit. Mein Chef war natürlich nicht begeistert, dass ich kurz nach dem Ende der Elternzeit, direkt zum Berufseinstieg, zwei Wochen Urlaub nehme. Ungünstiges Timing. Er war sehr wortkarg im Gespräch und seufzte immer wieder. Zum Glück hatte ich das Stadtteilzentrum gewarnt, dass sich meine Abwesenheit bei einer zähen Eingewöhnung in der Kita verlängern könnte. So weiß nur meine engste Vertraute von Kolumbien. Die restlichen Kollegen denken, dass ich mir extra nochmal Urlaubstage genommen habe, um Alea früher aus der Kita abzuholen und abrufbereit zu sein.
Stattdessen zappelt meine Kleine nun auf mir herum, um der 50er Sonnencreme zu entkommen. Eine Lüge, die mir Unbehagen bereitet. Eine Lüge, die ich eigentlich nicht bringen kann. Aber wie sagt Großwesir Dschafar in Aladdin? „Harte Zeiten verlangen harte Maßnahmen“. Ich musste fliehen. Meine Kollegin Josephine schrieb mir an jenem Abend noch, dass mein Nachfolger Nicola – der Wikinger Linksträger – blöde Kommentare losgelassen hatte. Dass man sich „auf Mütter ja eh nicht verlassen könnte“, dass es „ja absehbar gewesen sei“. Der Bursche wird mich noch kennenlernen.
Nüchtern, ohne Smiley
Da vibriert mein Handy. Moritz möchte wissen, ob wir heil in der Unterkunft angekommen sind. Ohne Smiley. Eine nüchterne Frage. „Hey! Funkstille, Mia!“, ruft Lupita, die ihre wunderschönen Brüste gerade in einen Bikini stopft. „Auspacken können wir später noch, nun ruft la playa.“
„Es ist immer noch seine Tochter, die am anderen Ende des Erdballs ist“, sage ich und tippe ins iPhone. Sie nickt mit dem Kopf und wirft mir einen Luftkuss zu.
„Sorry, na klar. Das stimmt natürlich. Und was ich auch noch sagen wollte: Danke, dass du diesen Trip mit mir machst! Das bedeutet mir viel“, sagt Lupita.
Wir lächeln uns an.
„Danke für den Flug. Das ist der Wahnsinn“, flüstere ich.
Dann nimmt Lupita Alea in den Arm, damit ich mich fertig machen kann, und zeigt ihr unser Hüttchen. Als ich mich ausziehe und meinen Schlüpfer in die Zimmerecke werfe, landet er zufällig genau mit dem Schritt nach oben. Tatsächlich, er ist ausgeblichen. Ein großer weißer Fleck. Ich brauche wirklich neue Unterwäsche. Naja, hier wird ja eh nichts passieren…