anonym geschrieben

Verheiratet, enge Freunde, gut bezahlter Job ich hatte das Vorzeigeleben schlechthin. Doch eine Dating-App und Langeweile brachten alles durcheinander. Ich wollte mehr vom Leben und bekam das große Gefühlschaos. Wie alles begann, lest ihr in Teil 1.

Ich stürzte mich mit der Chat-App und einem neuen Profil in die Ablenkung. Jede Minute, die ich alleine war, habe ich dort mit anderen Männern geschrieben, mit manchen mehr auf einer Wellenlänge, mit anderen weniger. Ich würde es als Wiederaufbaumaßnahme meines Egos sehen, das war nämlich komplett am Boden. Nach einer Woche traf ich Paul. Ich bin da überhaupt nicht tief rein, aber Paul war da und hat mir zugehört. Ich habe viel erzählt und war von Anfang an ehrlich und habe auch direkt meine Ehe erwähnt, von der der Prinz nie wusste, bis zum Schluss nicht.

Mit Paul war es ähnlich wie mit dem Prinzen, wir waren sehr auf einer Wellenlänge, aber nicht identisch, jeder hatte seinen eigenen Charakter und wir haben uns über Tage und Wochen kennengelernt. Nur muss ich sagen, dass ich nie mit dem Herzen dabei war, er war eine Ablenkung für mich und ich steckte in der anderen Sache noch viel zu tief drin. Jeden Tag kam das Thema Prinz auf. Ich habe noch oft Tränen in den Augen gehabt und ich wollte einfach nur eins, eine Erklärung und dann meinetwegen auch einen Abschied. Vernünftig, erwachsen – dann wäre für mich auch ein Strich unter der Sache gewesen, aber so konnte ich das nicht abschließen. Ich schleppte das jeden Tag mit mir rum. Es wurde besser, aber nicht leichter.

Er war nicht der Prinz den hatte ich auf ein Podest gestellt

Paul wurde zu einer Art bester Freund mit einem kleinen Plus dahinter. Ich erzählte ihm einfach alles, die erste Geschichte aus 2020, was das mit mir gemacht hatte, die Geschichte mit dem Prinzen und auch alles, was zuhause so lief. Meine Gedanken, meine Gefühle, meine Unsicherheiten. Er wusste bzw. weiß mehr von mir als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Und natürlich haben wir auch über Sex geschrieben, Fantasien ausgetauscht und auch hier hat es sehr gepasst. Er war aber nicht der Prinz, den hatte ich auf ein Podest gestellt und niemand wäre an ihn herangekommen.

Trotzdem rückte der Prinz zumindest in den Hintergrund, bis ich eines Abends eine Nachricht von ihm erhielt. Nach zweieinhalb Monate Ghosten schrieb er: „Nightclub heute Abend!“ Mehr nicht. Ich war hin- und hergerissen, es war endlich die Chance, ihn zu sehen. Zu dem Zeitpunkt war ich aber krank und mein Mann war ebenfalls zuhause. Mein Kopf begann zu arbeiten, aber ich sah keine Möglichkeit dort hinzukommen. Es ging einfach nicht und ich war wieder am Boden zerstört. Natürlich hatte ich ihm danach nochmal geschrieben, aber auch hier wieder keine Reaktion, er war wieder im Ghost-Modus. Ich habe ihn gelassen.

Natürlich habe ich ihn geküsst

Zwei Monate ging das mit Paul, wieder nur Schreiben, keine Fotos. Dann kam es zum Treffen. Kein Hotel, kein gemeinsames Essen. Ein bisschen aus den Fehlern in der Vergangenheit hatte ich gelernt und wir trafen uns auf halber Strecke zwischen unseren beiden Wohnorten zum Spaziergehen.
Ich weiß noch wie heute, dass ich mich gefreut habe, ihn endlich zu sehen. Dass ich gespannt war, wie er aussieht – beschrieben hatte er sich schon im Chat. Und dass ich ihn umarmen und mich für die letzten zwei Monate bedanken wollte. Ohne ihn wäre es für mich schlimmer gewesen.

Als ich dann neben seinem Auto geparkt hatte und er ausstieg, dachte ich: „Ok, gar nicht mein Typ!“ Ich bin voll ins oberflächliche Denken reingekommen. Wenn ich mich schon mit anderen Männern treffe, dann muss es auch zu 100 Prozent passen, dann muss ich mir in allem sicher sein, alles gut finden bzw. mit allem leben können und da ist die körperliche Anziehung schon ein großer Punkt. Wir gingen spazieren, haben viel geredet, er war sehr interessiert an mir, hat mir Aufmerksamkeit geschenkt, war höflich, respektvoll und zwischenmenschlich, charakterlich war er ein mega Typ. Natürlich habe ich ihn dann auch geküsst, auch wenn ich mir unsicher war, was sein Aussehen anging. Alles andere hatte mich aber überzeugt.

Ich fing an, eifersüchtig zu werden

Als ich dann zuhause war, war da kein schlechtes Gewissen, nichts. Ich konnte damit leben, hatte mir wirklich eine Parallelwelt aufgebaut. Der Kontakt mit Paul wurde noch intensiver, wir telefonierten nahezu täglich auch mal über Stunden. Wir nutzten jede Minute aus, machten alles möglich, denn auch er war in einer Beziehung. Vier Wochen nach dem ersten Date, gab es ein zweites Date in einem Hotel. Was dort passiert ist, beantwortet sich von allein. Und wieder war ich zuhause kalt und stumpf, habe mich selbst gefragt, wie ich so sein kann.

Dazu kam nun noch etwas Weiteres: Ich fing an, auf Pauls Freundin eifersüchtig zu werden. Ich habe ihm keine Szene gemacht und ihn dafür auch nicht verurteilt, wenn er Zeit mit ihr verbrachte, aber ich habe innerlich gemerkt, dass es mich gestört hat. Unser Kontakt wurde immer intensiver und ich merkte, dass sich bei mir was aufbaute. Gefühle, ganz leicht, ich war mir nicht sicher, ob sie reichen würden. Natürlich hatten wir auch Diskussionen und Streit und jedes Mal hatte ich große Angst, dass er danach weg ist, mich auch im Stich lässt, wie der Prinz. Ich fing an, mich durch Paul zu hinterfragen, mein Verhalten zu hinterfragen und auch mich selbst zu ändern. Das hatte ich vorher noch nie getan. Wir waren auf Augenhöhe, immer ehrlich und immer respektvoll. Er hat auch viel verkörpert, was ich bei meinem eigenen Mann vermisste, was eingeschlafen war oder was ich in unserer Ehe nicht mehr sah.

Ich musste wissen, was sein Geheimnis war

Ich kam vom Prinzen emotional immer weiter weg. Ich war fast so weit, dass ich mich verabschieden, alles löschen konnte. Doch dann habe ich ihn mit meinem neuen Profil auf der anonymen Plattform wiedergefunden und musste ihm schreiben. Ich musste wissen, was sein Geheimnis war. Denn Menschen wie er und ich sind nicht einfach auf einer anonymen Plattform, für die man keine Bilder oder andere Informationen hinterlegen muss.

Natürlich hatte mein neues Profil einen neuen Namen, auch ein anderes Alter. Ich schrieb ihm, bekam innerhalb von Sekunden eine Antwort. Seine dritte Frage war schon gleich, ob es jemanden bei mir zuhause gibt. Ich bejahte und stellte die Gegenfrage. Mein Herz klopfte, als ich eine Antwort bekam: Er war auch verheiratet. Er beschrieb seine Frau als nahezu perfekt, nur im Bett war es ihm zu wenig und er suchte eine lockere Affäre.

Warum nicht gleich so ehrlich, Herr Prinz? Ich wollte das Gespräch beenden, die Info hatte mir gereicht, das war die Erklärung, zumindest ansatzweise, zumindest ein Grund. Aber ich konnte das nicht beenden, ich hing zu sehr an ihm und ich wollte ein Treffen. Wollte sehen, wie er aussieht und wie er auf mich reagiert, wenn er weiß, wer ich bin. Paul hatte ich unbewusst hintenangestellt, für mich zählte (mal wieder) nur der Prinz.

Natürlich erzählte ich Paul davon, ich war immer ehrlich zu ihm und er akzeptierte es. Fünf Tage ging das mit dem Prinzen. Dazwischen war jedoch noch ein Wochenende, in dem ich mich bewusst ausgeklinkt und gesagt habe, dass ich nicht erreichbar bin, weil ich Zeit mit meinem Mann verbringe. Ich hatte zu sehr Angst, mich zu verraten, sein Ausfragen ging schon wieder los und ich konnte mich nicht so verstellen, dass ich ihm komplett andere Antworten als „damals“ hätte geben können. Ich wollte dennoch authentisch sein und wusste ja auch, dass ich meinen Mann damals mit meinen Antworten überzeugt hatte.

Bis zum Schluss habe ich damit gerechnet, dass er einen Rückzieher macht

Der Prinz und ich leben in der gleichen Stadt, also war ein spontanes Treffen kein Problem. Nach fünf Tagen wollten wir zusammen lunchen gehen. Bis zum Schluss habe ich fest damit gerechnet, dass er einen Rückzieher macht, hat er aber nicht. Er war vor mir beim Restaurant, ich sah ihn dort schon stehen. Dann löste ich via Nachricht auf, wer ich bin. Ich wollte ansatzweise fair bleiben, er sollte selbst entscheiden, ob er mich sehen will oder nicht. Er wollte, also ging ich zum ihm. Mit Herzrasen und zitternden Beinen, ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt. Ich versuchte, die Coole zu spielen, die Unnahbare und mir auch nicht anmerken zu lassen, wie schlecht es mir damals gegangen war. Sein Ghosten war gute fünf Monate her. Ich hatte ihn mir anders vorgestellt, ein anderes Bild in meinem Kopf gehabt, aber er gefiel mir.

Ich hatte eine Millionen Fragen, doch als wir im Restaurant saßen, musste ich mich erstmal sammeln und fing an zu lachen, wie absurd war diese Geschichte denn? Wir unterhielten uns, er fragte mich was, ich fragte ihn was. Dennoch musste ich ihm alles aus der Nase ziehen und richtige Antworten gab er mir trotzdem nicht. Ich verstand ihn nicht, ich konnte ihn selbst face-to-face nicht greifen.

Ich habe noch Nachrichten in meinem Handy gespeichert und auch noch im Kopf, die unfassbar süß waren, die mir Honig um den Mund geschmiert haben, die ehrlich rüberkamen, dass er sowas wie mit mir noch nie erlebt habe und er davor Angst habe, wir haben rumgeblödelt und übers Heiraten geredet… Es waren so oft Nachrichten darunter, in denen er mir Komplimente machte, was für eine tolle Frau ich bin, dass er von mir fasziniert ist, dass er mich liebhat und dass wir das schon irgendwie gemeinsam hinbekommen – wenn auch nur freundschaftlich, dass wir uns gegenseitig im Leben haben wollen, egal in welcher Verbindung. Und dann ghostet er mich?

Der erste Schritt zum Kuss kam von ihm

Seine Antwort war nur, dass er ein schlechtes Gewissen bekommen habe. Aber really? Dann rede doch Klartext! Trotz allem hatte er mich immer noch um den kleinen Finger gewickelt, dumm und naiv. Wir landeten bei mir im Auto, der erste Schritt zum Kuss kam von ihm. Dann führte eins zum anderen. Ich sagte ihm, dass ich das will, aber auf Augenhöhe, dass er mit mir reden muss, er mir einfach sagen kann, wenn er eine Pause braucht. Und wenn ihm das zu viel würde, dass er mir dann die Chance geben soll, mich zu verabschieden, sodass ich abschließen kann.

Er willigte ein und wir verabschiedeten uns. Ich war wieder auf einem Hoch, ich hatte zumindest das was ich wollte: Ich hatte ihn einmal gesehen und vielleicht hatte ich nicht alle Antworten, aber ich hatte ihm alle Fragen gestellt. Hätte er sich ab diesem Zeitpunkt nie wieder gemeldet, es wäre für mich zumindest okay gewesen. Auf dem Rückweg telefonierte ich mit Paul, erzählte ihm alles. Er bestätigte mich, dass ich jetzt zumindest das hatte, was ich wollte: ein Treffen. Dann fuhr ich nach Hause. Meinen Mann brauche ich hier nicht zu erwähnen, das schlechte Gewissen war nicht da. Ich lebte weiter teils in Welt 1 und teils in Welt 2.

Ich nahm ihm sein Verhalten ziemlich übel

Mit dem Prinzen hatte ich wieder intensiven Kontakt, da war wieder viel Leichtigkeit drin, aber von meiner Seite aus war es nicht mehr so, wie es mal war. Ich war immer noch zu sehr verletzt, nahm ihm sein Verhalten ziemlich übel. Er merkte es und sprach mich an. Wir hatten ein wirklich gutes Gespräch, so tief, wie wir es noch nie hatten, und ich war überrascht, dass das mit ihm auch ging. Das gute Gefühl bestärkte sich wieder, obwohl ich auch wusste, dass ich gegen seine Frau niemals eine Chance hätte. Er lobte sie in den Himmel, immer und immer wieder. Aber wollte ich denn mein Leben überhaupt aufgeben? Für ihn hätte ich es wahrscheinlich getan, muss ich ganz offen und ehrlich sagen.

Ich weiß nicht, was es im Endeffekt war, vielleicht doch sein schlechtes Gewissen oder sein Job, mit dem er quasi verheiratet ist. Aber seit vier Wochen herrscht hier kein Kontakt mehr. Wir haben noch ein-, zweimal geplant uns zu sehen, es zeitlich dann aber doch nie hinbekommen. Die Gespräche waren wieder locker, aber er war sehr im Stress. Dann kam nichts mehr. Ob es mich stört? Hm … ja schon irgendwie. Aber ich kann damit leben, ich bin emotional wohl doch schon weiter weg von ihm. Ich habe mit ihm in einer Blase gelebt, fünf wunderschöne Monate, auf die fünf Monate folgten, die ich vergessen möchte, wäre da nicht Paul. Es ist okay soweit, ich habe es mir anders gewünscht, mir auch mehr Respekt gewünscht, aber ich kann damit umgehen.

Seit einem Jahr dieselben Fragen: Was will ich?

Dann gibt es da noch Paul. Seit nun acht Monaten täglicher Kontakt ohne eine einzige Unterbrechung, drei Treffen in diesen acht Monaten, weil die Entfernung und auch die Umstände bei uns beiden nicht mehr zulassen. Er ist mein bester Freund geworden, der mich auch sexuell anzieht und auch er bringt meine Welt ins Schwanken.

Und nun stehe ich hier, seit einem Jahr immer dieselben Fragen im Kopf: „Was will ich? Wie stehe ich zu meinem Mann? Was für ein eiskalter Mensch ist in einem Jahr nur aus mir geworden? Bin ich bereit, alles aufzugeben für ein paar Schmetterlinge im Bauch, die mit der Zeit auch vergehen?“ An der Ehe hängt viel für mich und ich gebe sowas nicht kampflos auf. Ich habe seit Monaten ein Gedankenkarussell im Kopf. Es dreht und dreht sich, aber immer nur im Kreis, ich komme kein Stück vorwärts.